Wien (fwf) -Um moderne Dieselfahrzeuge energieeffizient und sauber zu machen, braucht es unter anderem präzise
steuerbare Einspritzdüsen, die mit Piezo-Kristallen arbeiten. Wie diese Kristalle im Detail funktionieren,
war bisher nicht restlos geklärt. Eine Forschergruppe aus Leoben hat es nun geschafft, diese Technologie verlässlicher
und effizienter zu machen. Das ist auch für medizinische Anwendungen oder Energy Harvesting interessant.
Dieselfahrzeuge stehen derzeit wegen ihres Abgases unter heftiger Kritik. Stickoxide und Ruß trüben
das verbreitete Bild des „sauberen“ Dieselmotors. Während der Anteil an Stickoxiden nur durch Zusatz von Chemikalien
oder durch niedrigere Verbrennungstemperaturen und damit einhergehendem Verlust an Drehmoment reduziert werden
kann, hängt die Ruß-Entwicklung von der Qualität des Verbrennungsvorgangs ab. Dafür genügt
es schon lange nicht mehr, einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Kraftstoff einzuspritzen: Meist gibt die
Einspritzdüse zuerst kleinere Mengen Diesel ab. Erst wenn diese sich entzündet haben, folgt der Rest
des Treibstoffs. All das muss in Sekundenbruchteilen passieren, bei Common-Rail-Dieselmotoren sind dafür hochpräzise
steuerbare Einspritzdüsen notwendig. Magnetische Ventile sind hier oft zu träge, zum Einsatz kommen in
diesem Fall Piezo-Kristalle, eine Technologie, die wegen ihrer hohen Genauigkeit bisher in Uhren oder in der Elektronenmikroskopie
eingesetzt wurde, wo es auf millionstel Millimeter ankommt.
Eine Forschergruppe vom Materials Center Leoben (MCL) um den Werkstoffwissenschaftler Marco Deluca hat es nun geschafft,
Grundlagen zu entwickeln, um die in der Autoindustrie verwendeten Piezo-Bauteile effektiver und verlässlicher
zu machen. In einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt warf man dafür einen Blick tief ins Innere
dieser Kristalle.
Besser als Quarz
Die wesentliche Eigenschaft von Piezo-Kristallen ist, dass sie sich ausdehnen, wenn eine elektrische Spannung
angelegt wird. Umgekehrt entsteht Spannung, wenn man sie unter Druck setzt. Ein Piezo-Kristall kann also ein Ventil
öffnen, wenn er elektrisch angeregt wird. Das bekannteste Material, das diese Eigenschaft besitzt, ist Quarz,
der als Taktgeber in Uhren eingesetzt wurde. In der Autoindustrie verwendet man keramische Materialien, die „ferroelektrisch“
genannt werden und etwas andere Eigenschaften haben, erklärt Marco Deluca im Interview mit scilog: „Es gibt
einen Unterschied zum Quarz. Wenn man Druck ausübt, erzeugt man elektrische Spannung. Beim Quarz lässt
sich diese Eigenschaft allerdings nicht verändern. In ferroelektrischen Materialien hingegen kann auch die
Richtung der Ausdehnung des Materials beeinflusst werden.“
Während die Atome in einem Quarz-Kristall sehr geordnet sind, bestehen ferroelektrische Keramiken aus winzigen
sogenannten „Domänen“, die kleiner als ein Millionstel Millimeter sind. Wird eine genügend hohe Spannung
angelegt, so „klappen“ diese Domänen um und richten sich aus. „Durch dieses Klappen der Domänen erreicht
man bei gleicher Spannung eine höhere Ausdehnung als bei Materialien wie Quarz, die nur piezoelektrisch sind“,
erklärt Deluca. Diese stärkere Ausdehnung ist für Einspritzdüsen wesentlich.
Untersuchung mit Laser- und Röntgenstrahlung
Common-Rail-Einspritzdüsen mit Piezo-Injektoren sind in der Autoindustrie seit einigen Jahren üblich,
doch es gibt einige technische Probleme. Man kämpft mit Rissen in den Keramik-Elementen, weshalb diese unter
einer gewissen Druck-Vorspannung verbaut werden. „Man hat außerdem beobachtet, dass die Performance besser
wird, wenn man die Aktoren mit etwa 50 Megapascal Druck im Motor einbaut. Die Hersteller wussten aber nicht, warum“,
sagt Deluca. Eine der Aufgaben des Projekts war, diesen Effekt besser zu verstehen. „Dazu haben wir kommerziell
verfügbare Piezo-Aktoren in Aktion mit Laser-Raman-Spektroskopie und Röntgenmethoden untersucht.“ Für
derartige Untersuchungen braucht es sehr genau fokussierbare hochenergetische Röntgenstrahlung, wie sie nur
bei Teilchenbeschleunigern ähnlich jenen im Kernforschungszentrum CERN entsteht. Damit ließe sich das
Material durchleuchten und die Positionen der Atome genau abbilden.
Deluca nutzte hierfür eine Zusammenarbeit mit der North Carolina State University, bei deren Teilchenbeschleuniger
(Advanced Photon Source) die Messungen durchgeführt wurden. „Die Raman-Spektroskopie hingegen liefert die
durchschnittliche Gitterorientierung, also die Orientierung der Domänen, im Mikrometer-Bereich und ergänzt
deshalb die Röntgen-Experimente auf einer unterschiedlichen Längenskala. Ein derartiges Raman-Equipment
gibt es bereits in Leoben“, erklärt Deluca.
Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass die mechanische Vorspannung die Orientierung der Domänen verändert:
Die Vorspannung ordnet die Domänen in eine bestimmte Richtung senkrecht zur elektrischen Feldachse. Wenn sie
nun elektrisch angeregt werden, können mehr Domänen umklappen als ohne vorgelegte mechanische Spannung.
„Dadurch erzeugt man eine größere Veränderung in der Länge des Materials“, so Deluca. Mit
diesem Wissen habe man nun die optimale Vorspannung für die technische Anwendung bestimmen können.
Risse vermeiden
Ein weiteres Ziel des Projekts war es, die Rissbildung zu verhindern. „Die Rissbildung lässt sich stoppen,
wenn man die ursprüngliche Orientierung der ferroelektrischen Domänen steuern kann.“ Dafür ist es
nötig, abzubilden, in welche Richtung die Domänen orientiert sind. „Eines der Ziele unseres Projekts
war, Methoden zu finden und zu verfeinern, die die Orientierung von ferroelektrischen Domänen messen können.“
Viele Anwendungen möglich
Dieses Wissen werde bereits industriell verwendet, berichtet Deluca. Nicht nur die Automobilindustrie ist an
dieser Entwicklung interessiert, auch andere Technologiezweige setzen auf Piezoelektrizität. „Das Problem
ist letztlich immer: Welche Orientierung ist die beste für die Anwendung? Wie lässt sich die Orientierung
von Domänen verändern? Welche Belastung ist möglich, ohne sie zu zerstören? Das wird vor allem
für Energy Harvesting oder für energieautarke Sensoren interessant sein.“ Auch in der Medizin gibt es
Anwendungsmöglichkeiten. „In allen diesen Bereichen wird aus Verformung Energie gewonnen. Das Material, das
wir analysiert haben, kann dafür verwendet werden“, sagt Deluca.
Zur Person
Marco Deluca ist Materialforscher in der Mikroelektronik-Gruppe am Materials Center Leoben (MCL). Er leitet die
Forschungsgruppe für funktionale Materialien, die sich besonders für die strukturellen Eigenschaften
von Halbleitern und Keramiken sowie für die Abscheidung dünner Oxidschichten mittels kostengünstiger
Sprühverfahren interessiert. Deluca leitet aktuell ein weiteres FWF-Projekt über Relaxor-Materialien,
welche eine ungeordnete Art von ferroelektrischen Keramiken sind. Im Projekt, das bis Ende 2019 läuft, wird
eine Kombination von Raman-Spektroskopie und atomistischer Modellierung angewendet, um Struktur-Eigenschaft-Beziehungen
in Relaxoren zu ermitteln, letztlich mit dem Ziel, den atomistischen Grund von Relaxor-Eigenschaften zu enthüllen.
Marco Deluca ist auch Privatdozent an der Montanuniversität Leoben.
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