Reformationsempfang mit Bundespräsident Van der Bellen und Kardinal Schönborn
Wien (evang) - Mit dem Reformationsempfang im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins erreichten die Feierlichkeiten
der Evangelischen Kirchen zum Jubiläum „500 Jahre Reformation“ am 24. Oktober ihren offiziellen Höhepunkt.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kardinal Christoph Schönborn richteten Grußworte an
die rund 1500 Gäste im bis auf den letzten Platz gefüllten Musikverein, darunter zahlreiche Repräsentanten
der Kirchen im In- und Ausland sowie des politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen
Lebens in Österreich. Als Festrednerin sprach Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff über
die Reformation als Sprachereignis.
Luther habe mit seinen 95 Thesen eine Aufbruchstimmung in Europa angestoßen, die alle gesellschaftlichen
Bereiche erfasst habe und deren Auswirkungen bis heute zu spüren seien, sagte der evangelisch-lutherische
Bischof Michael Bünker. Auch heute brauche es Reformation. Freiheit und Verantwortung – unter diesem Motto
steht das Jubiläumsjahr – seien dabei jene beiden Pole, an denen sich evangelisches Leben orientiert, sie
bestimmten auch den Beitrag der Evangelischen „für das Ganze der Gesellschaft“, so der Bischof. Dieser Beitrag
geschehe in „guter reformatorischer Tradition“ in erster Linie durch Diakonie und Bildung und verwirkliche sich
im Engagement der Evangelischen für ein friedliches und auf gegenseitiger Achtung beruhendes Zusammenleben
in der Vielfalt der heutigen Gesellschaft.
Van der Bellen: Kirchen als Lobby für jene, die keine haben
Das Mündig-werden des Einzelnen, der Ruf nach individueller und politischer Freiheit habe eine seiner
Wurzeln in der Reformation, erklärte Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei dem Festakt. Ob Luther
selber das wollte, sei eine andere Frage, jedenfalls wäre diese Entwicklung ein „Kollateralnutzen der Reformation“
und ein „kostbares Erbe“, an das man sich dankbar erinnere. Der Weg von der Kirchenspaltung bis heute sei „lang
und steinig“, es sei „nicht selbstverständlich, dass der evangelische Bischof und katholische Kardinal heute
nebeneinander sitzen“. Die Ökumene habe in Österreich „riesige Fortschritte“ gemacht, es gebe unzählige
Brücken zwischen den Konfessionen und eine persönliche Vertrauensbasis, die lange undenkbar war. Heute,
so der Bundespräsident, arbeiten fast alle Kirchen miteinander ohne dass es vorher notwendig wäre, divergierende
theologische Fragen vorher zu klären. Konkret erinnerte Van der Bellen etwa an das gemeinsame Sozialwort der
Kirchen oder auch an deren Engagement für Flüchtlinge: Die große Flüchtlingsbewegung von 2015
wäre ohne das vielfach ehrenamtliche Engagement der Kirchen, der Diakonie und Caritas und der Zivilgesellschaft
„nicht zu bewältigen gewesen“.
Während frühere Reformationsjubiläen oft politisch überhöht und missbraucht worden wären,
sei 2017 ein „Fest der Besinnung“ aber auch des Religionsfriedens in der allgemeinen Akzeptanz eines religiösen
Pluralismus. Religionsfriede entstehe nicht automatisch. „Im Namen Gottes Menschenrechte zu verletzen, ist ein
zentraler Angriff auf mühsam erworbene Menschen- und Bürgerrechte“, warnte Van der Bellen. Diese Freiheitsrechte
gelte es immer zu verteidigen, die Kirchen leisten, so der Bundespräsident, dazu einen wesentlichen Beitrag,
ebenso wie für die europäische Idee. Van der Bellen: „In meinem Augen besteht die Rolle der Kirchen darin,
sich für jene einzusetzen, die keine Lobby haben.“
Schönborn: Gemeinsame Verantwortung für den gesellschaftlichen Auftrag
Dass Luther nicht die Gründung einer neuen Kirche oder Konfession im Sinn gehabt habe, „sondern allein das
Zeugnis für die Kraft des Evangeliums hat ihn bewegt“, betonte Kardinal Christoph Schönborn vor den Festgästen.
Mit unermüdlicher Energie habe Luther den Kern des Evangeliums verkündigt und verteidigt. Die große
Kirchenspaltung habe nicht zuletzt Luther selbst erschreckt. Heute sei zwischen den Kirchen „Neues, Hoffnungsvolles
in der Vielheit“ gewachsen, im gemeinsamen Hören auf das Evangelium, in der gegenseitigen Vergebungsbitte
und im gemeinsamen Besinnen auf die jüdischen Wurzeln des Christentums. Die Kirchen verbinde 500 Jahre nach
der Reformation die „gemeinsam getragene Verantwortung für den gesellschaftlichen, sozialen, karitativen Auftrag“.
Schönborn: „Heute geht es um des gegenseitige Lernen, was es heißt, Christ zu sein.“
In ihrer Festrede ging die Berliner Autorin und Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff auf die Rolle
Martin Luthers als Bibelübersetzer und Sprachgestalter ein: „Die Bibel hatte jahrhundertelang im trüben
Wasser gelegen, bis Martin Luther kam und ihn barg.“ Dass Luther sich dabei auf das Alte, nämlich das textliche
Original der Bibel zurück bezog, um Neues zu gestalten, sah die Büchner-Preisträgerin von 2013 nicht
als Widerspruch: „Wer sich an das Neue wagt, bedarf immer der Würde des Alten. Auch Luther hatte den Mut,
sich an das Alte zu wagen.“ Sein aggressives Verhalten gegenüber Juden sei eine „beklagenswerte“ Seite des
Reformators, ihn deswegen als Vorläufer der Nationalsozialisten zu sehen bezeichnete Lewitscharoff als „absurd“.
Vielmehr habe er mit seiner Übersetzung des Alten Testaments versucht, den jüdischen Teil der Bibel und
das Neue Testament enger miteinander zu verschweißen.
Musikalische Höhepunkte im berühmten vom evangelische Architekten Theophil Hansen erbauten Gebäude
des Musikvereins waren die „Reformations-Sinfonie“ von Felix Mendelssohn Bartholdy sowie Werke von Aaron Copland,
Max Reger und Martin Zeller. Am Dirigentenpult standen im Goldenen Saal des Musikvereins Matthias Krampe, Hanns
Stekel und Martin Zeller. Zu hören waren das Orchester und das Bläserensemble der Johann Sebastian Bach
Musikschule Wien, der Albert Schweitzer Chor Wien, die Kantorei Oberschützen, die Wiener Evangelische Kantorei
mit Kirchenchören aus Wien, der Klausenburger Kammerchor sowie das Ensemble Capella Ars Musica.
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Bei der Aufführung des dritten Satzes von Zellers eigens für das Reformationsjubiläum komponierter
„Reformationskantate“ war das Publikum eingeladen, zur Melodie von „Ein feste Burg ist unser Gott“ selbst die Stimme
zu erheben. Zeller – er leitet die Wiener Evangelische Kantorei – war anlässlich des Jubiläumsjahres
von der evangelischen Diözese Wien mit der Komposition der Reformationskantate beauftragt worden. Der beim
Reformationsempfang präsentierte dritte Teil der Kantate widmet sich der „Kraft des Glaubens in einer Welt
der Bedrängnis und Angst“, erklärte der Komponist.
Das musikalische Programm beschloss das internationale „Peace Drums Project“, bei dem Jugendliche aus Israel und
Palästina gemeinsam mit dem Orchester der Johann Sebastian Bach Musikschule Wien auf Steeldrums spielten.
Im Jahr 2017 erinnern die drei Evangelischen Kirchen in Österreich, die lutherische, die reformierte und die
methodistische Kirche, an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren. 1517 hatte der Wittenberger Theologe und Mönch
Martin Luther 95 Thesen zur Erneuerung der Kirchen veröffentlicht und damit maßgebliche Veränderungen
in allen Bereichen der Gesellschaft angestoßen.
Sibylle Lewitscharoff: "Luther war Mann des Entweder Oder"
"Martin Luther war jemand, der gern auf den Tisch haute, war ein begabter Glaubensschäumer. Er besaß
kein gemäßigtes Temperament, sondern war ein Mann des Entweder Oder." Mit dieser These konfrontierte
die Berliner Autorin und Religionswissenschaftlerin Sibylle Lewitscharoff die Gäste. In ihrer Festrede unter
dem Titel "Die Reformation als Sprachereignis" unterstrich die Büchner-Preisträgerin von 2013
die sprachbildende Wirkung Martin Luthers und der gesamten reformatorischen Bewegung. Lewitscharoff, die selber
evangelisch ist, war von den drei veranstaltenden evangelischen Kirchen in Österreich, der lutherischen,
der reformierten und der methodistischen, auf Grund ihrer profunden literarischen Auseinandersetzung unter anderem
mit biblischen Themen eingeladen worden. Anlass des Empfangs waren die Feierlichkeiten zum Beginn der Reformation
vor 500 Jahren. Damals hatte Luther durch die Veröffentlichung von 95 Thesen zur Erneuerung der Kirche maßgebliche
Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft angestoßen.
In ihrer Festrede ging Lewitscharoff auf die Rolle Martin Luthers als Bibelübersetzer und Sprachgestalter
ein: "Die Bibel hatte jahrhundertelang im trüben Wasser gelegen, bis Martin Luther kam und ihn barg."
Dass Luther sich dabei auf das Alte, nämlich das textliche Original der Bibel zurückbezog, um Neues
zu gestalten, sah die Büchner-Preisträgerin von 2013 nicht als Widerspruch: "Wer sich an das Neue
wagt, bedarf immer der Würde des Alten. Auch Luther hatte den Mut, sich an das Alte zu wagen."
Die Autorin würdigte Luther jedoch auch für seine Position in den politischen Ereignissen der Zeit:
"Ein historisch wichtiges Ereignis, die Kolonisation von Teilen Afrikas und Südamerikas, fand kaum Widerhall
in Luthers Denken. Seine Weltläufigkeit beschränkte sich auf eine Reise nach Rom. Und doch: Die Wucht
der großen Welt erreichte ihn, als er am Reichstag zu Worms vor den Kaiser trat." Dort hatte sich Luther
bei Androhung der Todesstrafe geweigert, seine 95 Thesen zu widerrufen.
Sein aggressives Verhalten gegenüber Juden sei eine "beklagenswerte" Seite des Reformators,
ihn deswegen als Vorläufer der Nationalsozialisten zu sehen bezeichnete Lewitscharoff als "absurd".
Vielmehr habe er mit seiner Übersetzung des Alten Testaments versucht, den jüdischen Teil der Bibel
und das Neue Testament "enger miteinander zu verschweißen."
Sibylle Lewitscharoff wurde 1954 in Stuttgart geboren und evangelisch getauft. Sie studierte Religionswissenschaften
an der Freien Universität Berlin. Ihre literarische Karriere begann sie mit Hörspielen und Radiofeatures,
ihr erster Roman "36 Gerechte" erschien 1994. Es folgten weitere Prosatexte wie "Pong" (1998),
"Apostoloff" (2009) oder "Blumenberg" (2011) und Essaybände wie "Vom Guten, Wahren
und Schönen" (2012). Lewitscharoffs Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, so etwa 1998 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis,
dem Preis der Leipziger Buchmesse (2009) oder dem Georg-Büchner-Preis (2013).
In einem Interview mit dem evangelischen Magazin "Chrismon" hatte Lewitscharoff im Dezember 2014
eine Kirche eingefordert, die "strenger, konzentrierter" sei und sich nicht an den Zeitgeist anbiedere.
Als religiös prägend nannte sie damals für sich ihre Großmutter sowie die Autoren der Moderne,
insbesondere Franz Kafka und Samuel Beckett.
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