Erotik, Sexualität, Lyrik bis zum Verhältnis von Wort und Bild im Werk Schieles
Wien (leopoldmuseum) - Zum zweiten Mal fand am 9. und 10. November 2017 das „Symposium Egon Schiele im Leopold
Museum“ statt. Museumsdirektor Hans-Peter Wipplinger hatte 11 renommierte Wissenschaftler und Schiele-Experten
eingeladen über Ihre Forschungen und Erkenntnisse zu Leben und Werk des bedeutenden österreichischen
Expressionisten Egon Schiele (1890-1918) zu berichten.
„Das Kernstück der einzigartigen Sammlung des Leopold Museum bildet der weltweit größte und bedeutendste
Bestand an Werken Egon Schieles. Das Egon Schiele-Symposium gibt Forscherinnen und Forschern, Schiele-ExpertInnen
und Kunstinteressierten aus aller Welt die Möglichkeit zum Diskurs, aber auch zur Betrachtung der Schiele-Meisterwerke
im Original. Der aktuelle Stand der Schiele-Forschung wird im Leopold Museum, rund 100 Jahre nach dem Tod des Künstlers,
auf höchst lebendige Art und Weise diskutiert. Das Schiele-Symposium bietet ebenso wie unsere aktuelle Ausstellung
über den – wie Egon Schiele, Gustav Klimt, Koloman Moser und Otto Wagner – im Jahr 1918 verstorbenen Künstler
Ferdinand Hodler (1853-1918), die perfekte Grundlage für den Einstieg in das Themenjahr 2018 „Wiener Moderne.
Schönheit und Abgrund“.
Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums
Zum Auftakt des Symposiums am 9. November sprach die New Yorker Schiele-Expertin und Autorin des Schiele-Werkverzeichnisses
Jane Kallir (Gallery St. Etienne, New York) in ihrem Vortrag „Otto Kallir and Egon Schiele“ über ihren Großvater
Otto Kallir (1894-1978), Betreiber der Wiener „Neuen Galerie“ bis zu der aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten
erzwungenen Emigration im Jahr 1938. Otto Kallir hatte 1930 die erste umfassende Monographie zu Egon Schiele verfasst.
Dieses Buch war wiederum eine große Inspiration für Museumsgründer und Schiele-Promotor Prof. Rudolf
Leopold (1925-2010), selbst Autor des 1972 erschienenen Standardwerkes zu den Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen
Schieles. Kurator, Autor und Psychotherapeut Diethard Leopold, widmete seinem Vater den zweiten Eröffnungsvortrag
des Symposiums „Rudolf Leopold und Egon Schiele“. Jane Kallir verglich die Schiele-Sammler und Experten Otto Kallir
und Rudolf Leopold mit den Worten Egon Schieles: „Ich bin so reich, dass ich mich fortschenken muss“. Kallir sei
es nach der Emigration in die USA wichtig gewesen Schiele in den Vereinigten Staaten in die Kunstwelt einzuführen.
Es sei ihm um die Rettung eines scheinbar verlorenen Stückes österreichischer Kultur gegangen. Das Symposium,
zu dem auch Ihr Vater John Kallir und weitere Verwandte und Bekannte Jane Kallirs angereist waren, sah Sie als
„Anfang einer neuen Zeit und Kollegialität“ und als eine „Widmung an Egon Schiele“.
Mit den Worten „es ist eine Ehre nach Jane Kallir zu sprechen“ eröffnete Diethard Leopold seinen Vortrag über
Rudolf Leopold. Dessen Entdeckung Schieles sei auch die Entdeckung des eigenen Auges gewesen. Im Gegensatz zur
vorherrschenden höheren Einschätzung des Spätwerks Schiele, habe Leopold von Anfang an das frühe,
expressionistische Werk bevorzugt. Nicht die Erotik der freizügigen Darstellungen, sondern figurale Kompositionen,
Häuser und Städteansichten, Bäume und Landschaften hätten sein Interesse geweckt. Mit 18 Werken
hatte er bereits in den frühen 1950-er Jahren das Fundament seiner Sammlung gelegt.
Am 10. November beleuchtete Helena Pereña (Tiroler Landesmuseen, Innsbruck) unter dem Titel „Die Kunst des
nächsten Augenblicks“ das Thema Pubertät im Werk von Egon Schiele. In ihren Ausführungen über
das Thema Pubertät in Schieles Werk zog Helena Pereña Parallelen zu Frank Wedekinds Drama „Frühlingserwachen“.
Die Pubertät manifestiere sich dort wie bei Schiele als Spalt, als Abgrund zwischen dem Vorher und dem Nachher.
Auch Bezüge zu Edvard Munchs „Pubertät“ oder zu den Theorien des dänischen Philosophen Søren
Kierkegaards erläuterte Pereña anschaulich und verwies auch auf Parallelen in Robert Musils „Die Verwirrungen
des Zöglings Törleß“, in Form eines „Ringens um Selbsterkenntnis“.
Daniela Finzi (Sigmund Freud Museum, Wien) sprach im Vortrag „Schier unerschöpflich“ über Darstellungen
von Onanie und Sexualität bei Egon Schiele und Sigmund Freud. Die psychoanalytische Erforschung der Onanie
und deren Präsenz im Werk Schieles dienten Finzi als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Der im Wort Selbstbefriedung
positive besetzte Ausdruck für eine lange verurteilte Tätigkeit war schon im 18. und 19. Jahrhundert
Thema. Selbst Aufklärer wie Voltaire oder Kant warnten noch eindringlich vor der „Selbstbefleckung“. Das Verdienst
Sigmund Freuds, manifestiert in der Traumdeutung, war es „mehr als eine Deutung zuzulassen“. So sei ein Werk –
wie Schieles Schaffen – modern, weil es nicht versucht Widersprüche und Paradoxien aufzulösen.
Eva Werth (Universitätsdozentin für Deutsche Sprache und Kulturgeschichte, Paris, Autorin des Egon Schiele
Jahrbuchs) gab Einblick in das Thema „Egon Schiele und die Lyrik“. Die Literaturwissenschaftlerin widmete sich
ausführlich der Lyrik im Werk Schieles, verwies auf die Parallelen zur Dichtung Arthur Rimbauds, dessen Werk
Schiele in einer deutschen Übersetzung nachweislich besaß. Kunstkritiker und Schiele-Förderer Arthur
Roessler zufolge dürfte Schieles Freund Dominik Osen den Künstler mit Rimbaud vertraut gemacht haben.
Dass man die Lyrik Schieles verstehen könne verneinte Werth, wie denn auch seine Bilder bei allen Versuchen
einer endgültigen Deutung einen „Rest an Mysterium“ behielten.
Elisabeth Leopold (Vorstandsmitglied der Leopold Museum-Privatstiftung) gab Einblick in den „Erotischen Traum des
Egon Schiele“. Ein Expressionist, der Geistiges und Seelisches darstellen will, sei Egon Schiele gewesen, erläuterte
Elisabeth Leopold. Seine erotischen Werke, würden sich fernab von Pornographischem bewegen. Das Gesicht sei
in Schieles oft radikalen Aktdarstellungen ebenso Zentrum der Komposition wie das Geschlecht. Schiele sei es mitunter
bravourös gelungen, Traumerlebnisse in eine malerische Form zu bannen. Wenn man nur das „Was“ sieht und nicht
das „Wie“ sei man ohnehin für den Inhalt dieser Kunstwerke verloren. Die in einigen Blättern Schieles
oder auch Gustav Klimts dargestellte Masturbation sei, nach Ruth Westheimer, nicht nur eine gesunde Möglichkeit
„sich Luft zu verschaffen“, sondern auch ein Schritt der Befreiung der Frau aus der männlichen Vorherrschaft.
Die Kunsthistorikerin Pamela Kort analysierte die Bezüge zwischen dem Schaffen von „Egon Schiele und Friedensreich
Hundertwasser“. Die Werke Egon Schieles und Gustav Klimts übten einen großen Einfluss auf das Schaffen
Friedensreich Hundertwassers aus. Bereits die Schiele-Gedächtnisausstellung der Albertina im Jahr 1948 hatte
einen großen Eindruck auf Hundertwasser hinterlassen. Viele Werke weisen eindeutige Bezüge zu Schiele
und Klimt auf, seine Architekturdarstellungen ebenso, wie seine ornamentalen Kompositionen, ein Faktum das Kritiker
nicht immer positiv bewerteten und bisweilen benutzten, um an der Originalität seiner Arbeiten zu zweifeln.
Hundertwasser sei immer ein glühender Verteidiger und Promotor der beiden Protagonisten der Wiener Moderne
gewesen, ob im Inland, in Amerika oder in Paris, wohin er sich von seiner Mutter Otto Beneschs Schiele-Katalog
schicken ließ.
Rainer Metzger, Professor an der Kunstakademie Karlsruhe sprach in seinem Beitrag „Ironie, Krieg, Trotzdem Kunst“
über Schieles physiognomische Fragmente. Wie der Kopf von Schieles „Grimassierendem Selbstbildnis“ als Lithographie
Verwendung in Plakaten und Publikationen fand, erläuterte Rainer Metzger in seinem Beitrag. Im Jahr 1912 schmückte
das rot kolorierte Porträt ein Plakat für einen Vortrag Egon Friedells, ein weiteres für ein Konzert
lebender österreichischer Künstler des Akademischen Verbandes für Literatur und Musik und auch das
im selben Jahr erschienene dritte Heft der Zeitschrift „Der Ruf“, dass sich dem Thema Krieg widmete. In einem spannenden
Abriss der Geschichte der Physiognomie von der Laokoondebatte über Lavater, Messerschmidt und Polizeifotos
straffällig Gewordener führte der Vortragende zum Porträt der Moderne, als Innen und Außen
sich aus dem Schwebezustand befreiten, bei Künstlern wie Oskar Kokoschka und Egon Schiele das Fleisch nach
außen drang und die Korrespondenz von innen und außen endgültig der Vergangenheit angehörte.
Belvedere-Kurator Franz Smola informierte über „Schiele und die Künstlergruppe „Neue Secession Wien“.
Smola unternahm einen Rekonstruktionsversuch der von Schiele gegründeten Künstlergruppe „Neue Secession
Wien“. Schiele-Kenner Christian Nebehay hatte einst sogar Zweifel an der Existenz der Gruppe. Anhand eines Schriftstückes
aus der „Egon Schiele-Datenbank der Autographen“ des Leopold Museum, konnte Smola nun 32 der 40 Mitglieder Gruppe
benennen, die aus der Neukunstgruppe hervorgegangen war, darunter prominente Künstler wie Hans Böhler,
Anton Faistauer, Albert Paris-Gütersloh und Broncia Koller-Pinell. Die kurze Ausstellungstätigkeit, so
etwa im Prager Künstlerhaus Rudolfinum, führte über Schieles Münchner Galeristen Hans Goltz
zu Kontakten mit deutschen Künstlern wie Wilhelm Lehmbruck oder Erich Heckel, ehe durch interne Spannungen
und den frühen Tod Schieles die Gruppe wieder zerbrach.
Norbert Christian Wolf (Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Salzburg) legte in
seinem Vortrag „Wortbild –Bildwort“ Egon Schieles Kontakte zur literarisch-politischen Zeitschrift „Die Aktion“
dar, die dem Expressionismus zum Durchbruch verhalf. Als Schieles Dichtkunst in der Berliner Wochenzeitschrift
veröffentlicht wurde, geschah dies ohne das Einverständnis des Künstlers. Kunstkritiker Arthur Roessler
hatte ohne Schieles Wissen Franz Pfemfert, dem Herausgeber der Zeitschrift, das Material übermittelt. Schiele
zeigte sich „not amused“. Dennoch entwickelte sich eine gedeihliche Zusammenarbeit, die auch zu Titelbildern der
Publikation und weiteren Veröffentlichungen von Gedichten führte. Wolf stellte Schiele als „Malerdichter
und Wortmaler“ vor. Seine bisherigen Bilder als Vorreden bezeichnend, war der Künstler, wie er gegenüber
dem Sammler Oskar Reichel formulierte, überzeugt, dass ein Glaube zu seinen Bildern entstehen werde. Nicht
nur die Qualität der Schieleschen Bilder sei unbestritten, so Wolf, sondern auch die Ausdrucksintensität,
lautmalerischen und syntaktischen Qualitäten von Schieles Dichtung.
Die Kuratorin Kerstin Jesse (Österreichische Galerie Belvedere) analysierte in ihrem Beitrag „Die W.W. Seide?
Ist sie angekommen?“ die Wechselbeziehungen von Egon Schiele und der Wiener Werkstätte. Eine genaue Betrachtung
ergab vielfältige Beziehungen Schieles zur Wiener Werkstätte. Christian Nebehay hatte noch von einem
„kurzen Zwischenstadium“ für Schiele gesprochen. Neben teils realisierten Entwürfen für Postkarten
oder einem nicht ausgeführten Auftrag für das Palais Stoclet fänden sich aber viele weitere Anknüpfungspunkte,
so etwa Schieles Modeentwürfe, die Tätigkeit seiner Schwester Gertrude als Modell der Wiener Werkstätte
und der Schwester seiner Frau Edith, Adele Harms, die Jesses Untersuchungen zufolge Mitarbeiterin der Werkstätte
gewesen sein dürfte. Immer wieder hatten die Wiener Werkstätte-Gründer Josef Hoffmann, Fritz Wärndorfer
und Kolo Moser Schiele unterstützt. Auch die Schuhe der Kleider Edith Schieles bestehen aus Stoffen der Werkstätte
und die von Schiele in einem Gemälde porträtierte Friederike Beer-Monti, ein fashion victim ihrer Zeit,
trägt ein von der Wiener Werkstätte entworfenes Kleid.
Sämtliche Vorträge der umfassenden Auseinandersetzung mit dem Schaffen des bedeutenden österreichischen
Expressionisten Egon Schiele werden im Tagungsband zum zweiten Egon Schiele-Symposium publiziert. Der Tagungsband
zum ersten Egon Schiele-Symposium ist um 10 Euro im Leopold Museum Shop erhältlich.
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