Fokus auf "austro-islamischer" Architektur im späten Habsburgerreich
Brüssel/Wien (universität) - Der European Research Council (ERC) fördert ab 2018 mit rund
1,3 Millionen Euro ein Großprojekt am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien. Im Zentrum
steht das wenig bekannte Erbe muslimischer Kult- und Bildungsbauten aus der Zeit österreichisch-ungarischer
Herrschaft in Bosnien. Der Osteuropaexperte Maximilian Hartmuth leitet das erste österreichische Kunstgeschichte-Projekt,
das den prestigeträchtigen ERC Starting Grant zuerkannt bekommt.
1878 zogen österreichisch-ungarische Truppen einen Schlussstrich unter vier Jahrhunderte osmanischer Herrschaft
in Bosnien und der Herzegowina. Die neue Verwaltung bemühte sich nach anfänglichen Unklarheiten um ein
Auskommen mit der etwa halben Million Muslime, die im Lande verblieben. Viele islamische Einrichtungen wurden renoviert
oder revitalisiert. Häufig kam es zum völligen Neubau muslimischer Bethäuser oder Schulen.
"Dass deren Inschriften zuweilen auf osmanische Stiftungen verweisen, täuscht darüber hinweg, dass
es sich bei ihrer Architektur um ein Phänomen der späten Habsburgerzeit handelt", erklärt der
zukünftige ERC-Projektleiter Maximilian Hartmuth vom Institut für Kunstgeschichte der Universität
Wien: "Die Architekten und Planer ebendieser muslimischen Kult- oder Bildungsbauten erhielten ihre Ausbildung
in der Monarchie, in der Regel in Wien."
Bemerkenswertes Phänomen kaum erforscht
Ein gutes Beispiel dafür ist eine 1887/88 auf Regierungskosten in Sarajevo errichtete "Scheriatsrichterschule",
die ein böhmischer Schüler Theophil Hansens, Architekt des Parlaments und anderer berühmter Ringstraßenbauten
in Wien, verantwortete. Der Aufgabe entsprechend, verweist die Architektur der Kadi-Ausbildungsstätte in Sarajevo
allerdings auf islamische Traditionen und nur indirekt auf Wien.
"Von einem umfassenden Verständnis dieses 'austro-islamischen' Architekturerbes sind wir noch weit entfernt",
erklärt Hartmuth weiter. Archive, vor allem in Bosnien, blieben bislang weitgehend unerforscht und viele außergewöhnliche
Bauwerke wurden nie umfassend dokumentiert und einer kritischen Analyse unterzogen. Genau das will Hartmuth nun
im Rahmen seines fünfjährigen ERC-Forschungsprojekts unternehmen.
Über Maximilian Hartmuth
Den Wiener verschlug es bereits zu Studienzeiten nach Sarajevo und Belgrad, gefolgt von vielen Jahren in Istanbul.
In der Bosporus-Metropole erwarb er 2011 an der renommierten Sabanci-Universität sein Doktorat. Seine Dissertation
behandelte die sozialen und räumlichen Zusammenhänge des Kunstschaffens in den osmanischen Balkanprovinzen.
Hartmuth ist seit 2012 an der Universität Wien und gilt als einer der wenigen Experten für die islamische
Kunst Südosteuropas. Sein Sachverständnis konnte Hartmuth auch im Rahmen eines FWF-Drittmittelprojekts
an der Universität Wien vertiefen, das sich ab 2014 der früh- und mittelosmanischen Architektur Mazedoniens
widmete.
"Im ERC-Projekt treffen meine Interessen an der Architekturgeschichte des Balkans und Mitteleuropas sowie
an postkolonialen Diskursen und anderen interdisziplinären Fragestellungen zusammen", sagt Hartmuth.
Als Leiter eines mehrköpfigen Forschungsteams wird ihm der hochdotierte Forschungspreis gestatten, eine Netzwerkerweiterung
in Richtung südöstliches Europa zu forcieren.
"Es ist eine große Anerkennung für die international sichtbaren Forschungsleistungen der Historisch-Kulturwissenschaftlichen
Fakultät, dass Maximilian Hartmuth seine Forschungen im Rahmen des ERC Starting Grants zum Erbe muslimischer
Kult- und Bildungsbauten aus der Zeit österreichisch-ungarischer Herrschaft in Bosnien bei uns durchführen
wird. ForscherInnen an mehreren Instituten der Fakultät verfolgen verwandte Fragestellungen; so dass sich
sicherlich ein äußerst fruchtbarer Austausch ergeben wird", sagt Dekanin Claudia Theune-Vogt.
Insgesamt bereits 41 ERC Grants für die Universität Wien
Seit 2007 wurden bisher 21 ForscherInnen mit einem ERC Starting Grant ausgezeichnet. Dank vierzehn Advanced
Grants, einem ERC Proof of Concept und fünf ERC Consolidator Grants liegt die Universität Wien bei nunmehr
41 ERC-Förderungen. "Die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist ein wichtiger Gradmesser für
die Universität. Mit nunmehr insgesamt 41 ERC Grants stellen die WissenschafterInnen diese institutionelle
Wettbewerbsfähigkeit der Universität Wien eindrucksvoll unter Beweis", so Rektor Heinz W. Engl.
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