Wien (universität) - Die Universitätsbibliothek der Universität Wien hat den Exilnachlass und
die Exilbibliothek des weltberühmten Psychologenehepaars Karl und Charlotte Bühler erworben. Karl (1879–1963)
und Charlotte (1893–1974) Bühler waren in den 1920er und 30er-Jahren an der Universität Wien tätig
und wurden in der NS-Zeit aus Österreich vertrieben. Der Archivnachlass steht damit nun der Forschung zur
Verfügung und wird anlässlich der Buchpräsentation "Karl Bühlers Krise der Psychologie"
am Donnerstag, 7. Dezember 2017 im Archiv der Universität Wien vorgestellt.
Die Psychologen Karl und Charlotte Bühler galten als "Aushängeschilder" der Universität
Wien in den 1920/30er Jahren. Sie waren neben Sigmund Freud (1856–1939) für den Weltruhm Wiens in der Psychologie
mit verantwortlich. In der NS-Zeit wurden sie aufgrund der jüdischen Herkunft Charlotte Bühlers von der
Universität Wien sowie aus Österreich vertrieben und emigrierten ins Exil zunächst nach Großbritannien
und schließlich in die USA. "Sie konnten nur wenige ihrer wissenschaftlichen Materialien ins Exil bringen.
Der Großteil wurde von Nationalsozialisten geraubt", so Markus Stumpf, Leiter der NS-Provenienzforschung
der Universitätsbibliothek der Universität Wien. Maria Seissl, die Leiterin des Bibliotheks- und Archivwesens
der Universität Wien, bezeichnet die Möglichkeit, den Exilnachlass zu erwerben als "einen wissenschaftshistorischen
Glücksfall" und stellt klar: "Die sich noch in unserem Bestand befindlichen geraubten Buchbestände
werden jedenfalls restituiert."
Die Idee, den Exilnachlass und die Exilbibliothek der Bühlers, die sich im Besitz des Forschers Achim Eschbach
von der Universität Essen befanden, nach Wien zu bringen und für die weitere Forschung zu sichern, entstand
bereits 2014. Damals veranstaltete Friedrich Stadler vom Institut Wiener Kreis der Universität Wien gemeinsam
mit Janette Friedrich (Université de Genève) die Tagung "Karl Bühlers Krise der Psychologie".
Zudem haben die Erkenntnisse der NS-Provenienzforschung der Universitätsbibliothek der Universität Wien
durch Markus Stumpf wesentlich dazu beigetragen, die Bestände nach Wien zu holen.
Friedrich Stadler, Vorstand des Instituts Wiener Kreis und Leiter des Forums Zeitgeschichte der Universität
Wien, hält fest, dass damit "die wissenschaftshistorische und interdisziplinäre Forschung an der
Universität Wien gestärkt sowie deren internationale Sichtbarkeit erhöht wird". Mit dem Exilnachlass
und der Exilbibliothek lassen sich viele neue Forschungsfragen formulieren und wohl auch die eine oder andere Antwort
finden. Der Erwerb der Materialien stellt auch "eine Art späte symbolische Würdigung der Alma Mater
des vertriebenen Psychologenpaares" dar.
Der Exilnachlass steht ab der Präsentation im Archiv der Universität Wien und die Exilbibliothek in der
Fachbereichsbibliothek Wirtschaftswissenschaften und Mathematik der Forschung zur Verfügung.
Institut Wiener Kreis
NS-Provenienzforschung der Universitätsbibliothek Wien
Archiv der Universität Wien
Forum „Zeitgeschichte der Universität Wien“
Fachbereichsbibliothek Wirtschaftswissenschaften und Mathematik
Zum Sammelband
Karl Bühlers Krise der Psychologie. Positionen, Bezüge und Kontroversen im Wien der 1920er/30er Jahre.
Hrsg. von Janette Friedrich, Cham: Springer 2018 (Veröffentlichungen des Institutes Wiener Kreis 26).
Im Mittelpunkt des Bandes steht Karl Bühlers 1927 veröffentlichte Schrift zur "Krise der Psychologie".
Seine Analyse der sich seit Ende des 19. Jahrhunderts als eigenständige Disziplin konstituierenden Psychologie
nehmen die Autoren zum Ausgangspunkt, um die "Positionen, Bezüge und Kontroversen im Wien der 1920er/30er
Jahre" zu beleuchten. Die Themen der Beiträge reichen vom Neubeginn der Wiener Philosophie mit der Besetzung
der drei Lehrstühle im Jahre 1922 über die Forschungen zum Film unter Leitung von Karl Bühler in
den 1930er Jahren bis hin zu neuen Erkenntnissen der NS-Provenienzforschung zur Bibliothek von Karl und Charlotte
Bühler. Die Verbindungen zwischen Bühlers Krisenanalyse und dem Forschungsprogramm der Brentanoschule
werden aufgezeigt, sein Interesse am Medienbegriff des Psychologen Fritz Heider ebenso detailreich diskutiert wie
Bühlers in den 1930er Jahren begonnenes Projekt einer Lebenspsychologie und einer Sematologie als allgemeine
Zeichentheorie. Mit der Erschließung neuer Quellen und der Rekonstruktion historischer Kontexte sowie durch
komparative Textstudien leisten die AutorInnen einen originellen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, insbesondere
zur Geschichte der Psychologie und der Philosophie wie auch zur Institutionsgeschichte der Wiener Universität
am Anfang des 20. Jahrhunderts.
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