Liste Pilz soll bald umbenannt werden
Wien (pk) - War der Wahlkampf 2017 tatsächlich der schmutzigste in der Geschichte Österreichs,
wie vielfach suggeriert wurde? Worauf haben die Wahlkampfmanager der Parteien in ihren Kampagnen gesetzt? Und welche
Strategien haben sich letztendlich als erfolgreich erwiesen? Um diese Fragen ging es am Abend des 14. Dezember
bei einer Podiumsdiskussion im Parlament. Anlass dafür war die Präsentation des Buches "Wahl 2017.
Loser, Leaks & Leadership", zu der Nationalratspräsidentin Elisabeth Köstinger gemeinsam mit
den HerausgeberInnen Thomas Hofer und Barbara Toth eingeladen hatte. Schon zum vierten Mal haben der Politikberater
und die Falter-Journalistin eine Nachlese zu Nationalratswahlen vorgelegt, mit tiefen Einblicken hinter die Kulissen
des Wahlkampfs und Analysen von ExpertInnen.
Aber nicht nur das Buch, auch die heutige Podiumsdiskussion förderte die eine oder andere Überraschung
zutage. So kündigte Abgeordneter Alfred Noll eine baldige Umbenennung der Liste Pilz an. Allgemein wurde die
Erwartung geäußert, dass die neue Regierung die gesamte Legislaturperiode hält. Noch nicht abgeschlossen
ist für die SPÖ die Affäre Silberstein: Christoph Matznetter ließ das Wort Betriebsspionage
fallen und kritisierte die Untätigkeit der Justiz.
Hofer: Reformerzählung wird ein bisschen ins Rutschen kommen
Nach Ansicht von Autor Thomas Hofer ist der Wahlkampf der SPÖ dieses Mal jedenfalls misslungen, nachdem diese
ansonsten immer sehr professionelle Wahlkämpfe geführt habe. Dafür habe die ÖVP, "die
durch die letzten Wahlkämpfe gestolpert ist", 2017 sehr professionell agiert. Eine gewisse Wandlung sei
bei der FPÖ bemerkbar gewesen.
Insgesamt habe es ein ambitionierteres Storytelling als in den bisherigen Wahlkämpfen gegeben, sagte Hofer,
wobei es seiner Meinung nach schwierig sein wird, die "Erneuerungsgeschichte" in die Regierungsarbeit
einfließen zu lassen. "Die große Reformerzählung wird schon ein bisschen ins Rutschen kommen",
glaubt er. Leichter werde es sein, das "Flüchtlings-Framing" weiterzuführen. Was der Regierung
auch helfen werde, sei die Konjunktur, die schnurre, und dass die Opposition zum Teil noch immer angeschlagen ist.
Allgemein erwartet der Politikberater in der politischen Auseinandersetzung einen deutlich aggressiveren Ton.
Glück: Regierung muss Gemeinsamkeit signalisieren
Sie habe sich gewundert, dass die Silberstein-Affäre der SPÖ nicht mehr geschadet hat, meinte Kommunikationsberaterin
Heidi Glück, langjährige Pressesprecherin von Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Der Wahlkampf
sei schon sehr schmutzig gewesen, meinte sie, sie persönlich habe die seinerzeitigen Anwürfe gegen Schüssel
aber als schmutziger erlebt. Durch die sozialen Medien hätten die Wahlkämpfe heute aber jedenfalls eine
ganz andere Dimension.
Als Narrativ für die neue Regierung schlägt Glück "Aufbruch" vor. Zudem sei es wichtig,
Gemeinsamkeit zu signalisieren und Themen gemeinsam zu präsentieren. Die Konfliktlinien müssten in Zukunft
wieder zwischen Regierung und Opposition verlaufen und nicht zwischen den Regierungsparteien. In diesem Sinn hält
Glück die Idee, einen Regierungssprecher zu etablieren, grundsätzlich füreine gute. Dieser müsse
aber gut verankert sein.
Matznetter: Gesellschaftliches Klima wird rauer
Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christoph Matznetter ist die Affäre Silberstein noch nicht
abgeschlossen. Er erwartet morgen einen Bericht der Task-Force und glaubt insgesamt, dass der mutmaßliche
Versuch, die SPÖ-Kampagne auszuspionieren, langfristig Folgen haben wird. In anderen Ländern gebe es
bereits Parteien, die geheimdienstartige Strukturen haben, Background-Checks bei ehrenamtlichen MitarbeiterInnen
machen und keine unverschlüsselten E-Mails mehr verschicken, meinte er, dieses gegenseitiges Belauern und
Misstrauen könnte auch in Österreich Einzug halten. Das gesellschaftliche Klima werde rauer, befürchtet
er ein Ende der "liebenswürdigen österreichischen Verhältnisse". Empörend ist für
Matznetter auch, dass die Justiz nach den eindeutigen Aussagen eines Wahlkampfmitarbeiters keine Ermittlungsschritte
gesetzt hat.
Was die zukünftige Rolle der SPÖ als Oppositionspartei betrifft, kündigte Matznetter an, nicht nur
Dinge kritisch aufzeigen zu wollen, sondern auch Alternativvorschläge vorzulegen. "Dass wir das können,
haben wir bereits gezeigt." Er erwartet jedenfalls heftige Auseinandersetzungen, auch wenn ihm ein konstruktives
Klima lieber wäre. Zur FPÖ merkte er an, es sei erstaunlich, dass diese "einen zweiten politischen
Suizidversuch unternimmt".
Jenewein: FPÖ muss aufzeigen, dass sie regieren kann
FPÖ-Abgeordneter Hans-Jörg Jenewein, der kurzfristig für Generalsekretär Herbert Kickl einsprang,
berichtete, dass es in der FPÖ bereits Anfang 2017 grobe Wahlkampfpläne gab, da man Neuwahlen im Frühjahr
erwartet habe. Der für viele Außenstehende überraschende Einsatz von Humor und Augenzwinkern im
Wahlkampf, mit dem man versucht habe, Themen zu transportieren, sei daraus entstanden, dass man sich gesagt habe,
dass die politische Situation eigentlich zum Lachen wäre, wenn sie nicht so traurig wäre. Wobei die neue,
letzlich erfolgreiche, Strategie laut Jenewein auch parteiintern mit gewisser Skepsis gesehen wurde. Ein weiterer
Erfolgsfaktor war nach Meinung von Jenewein die Fokussierung auf moderne Kommunikationsmittel, Plakate würden
an Bedeutung verlieren.
Was für die FPÖ nunmehr notwendig ist, ist aufzuzeigen, dass sie regieren kann, sagte Jenewein. Man müsse
bis Ende Juni nächsten Jahres die Dinge auf den Weg bringen. "Das Liefern wird ganz entscheidend sein."
Donig: NEOS stehen für Kontrolle, Reformen und Rechtsstaatlichkeit
Das anfängliche Hauptproblem der NEOS im Wahlkampf war, dass sich die ÖVP als neue Partei inszeniert
habe und damit den NEOS das Wasser abgegraben hat, schilderte NEOS-Generalsekretär Nikola Donig. Außerdem
sei man eine Partei, die sehr schmal bei Kasse ist und in der viele ehrenamtlich arbeiten. Man habe sich aber bald
wieder gefangen.
Als Oppositionspartei wolle man sich auf keine Rolle festnageln lasse, bekräftigte Donig. Dort, wo Reformen
angegangen werden, sei man mit dabei, kündigte er an. Gleichzeitig werde man überall dort Widerstand
leisten, wo es darum gehe, Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen. Zudem wollen sich die NEOS als Kontrollpartei
etablieren.
Noll: Parteienförderung gehört drastisch reduziert
Einig waren sich Donig und Alfred Noll von der Liste Pilz darin, dass die Parteienförderung drastisch reduziert
gehört. Man begeistert Leute nicht damit, dass man Millionen in Plakatwerbung stecke, sagte Noll. "Wir
werden gemeinsam mit den NEOS viel Wirbel machen." Die Liste Pilz habe jedenfalls gezeigt, dass man auch ohne
Funktionärsbasis und staatliche Parteienförderung bei Wahlen reüssieren könne.
Noll kündigte in der Diskussion außerdem eine baldige Umbenennung der Liste Pilz an, wobei man noch
auf Namenssuche sei. Bis zum Sommer soll die Neuaufstellung der Partei abgeschlossen sein. Im Wahlkampf habe man
ein einziges Asset gehabt, die Marke Pilz, sagte Noll, es wäre fatal gewesen, hätte man in der kurzen
zur Verfügung stehenden Zeit versucht, eine weltanschauliche Bewegung zu zimmern. Nun müsse man sich
aber konsolidieren. Fundamentalopposition werde seine Fraktion nicht machen, versicherte Noll, es gebe aber gravierende
Vorbehalte gegen schwarz-blau. Die Liste Pilz will außerdem Sprachrohr für Gruppen und Bewegungen außerhalb
des Parlaments sein.
Dass die Liste Pilz so endet wie das Team Stronach, wollte Noll nicht gänzlich ausschließen, es sei
aber unwahrscheinlich.
Eröffnet wurde die Veranstaltung durch Parlamentsdirektor Harald Dossi, der die DiskussionsteilnehmerInnen
und das Publikum in Vertretung von Nationalratspräsidentin Köstinger begrüßte. Die Moderation
übernahm Barbara Toth.
Wahl 2017: Loser, Leaks & Leadership
Im heute vorgestellten Sammelband geben ÖVP-Kampagnen-Büroleiter Philipp Maderthaner, SPÖ-Kommunikationschef
Hannes Uhl, FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, Grünen-Kommunikationschefin Karin Strobl, NEOS-Generalsekretär
Nikola Donig sowie Alfred Noll und Nikolaus Dimmel von der Liste Pilz Einblicke in die Wahlkampfstrategien der
Parteien. Dazu kommen Analysen von ExpertInnen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, die die Darstellungen der
Insider ergänzen, erweitern "und manchmal auch konterkarieren", wie es in der Einleitung heißt.
Der Historiker Oliver Rathkolb setzt sich etwa mit Negative und Dirty Campaigning in vergangenen Wahlkämpfen
auseinander, während sich die Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig dem Thema Social Media widmet. Meinungsforscher
Peter Hajek rekapituliert die Wahlkämpfe im Spiegel der aktuellen Meinungsforschung. Weitere Beiträge
betreffen u.a. die Silberstein-Affäre, die Wahlkampffinanzierung, die ausufernden TV-Konfrontationen und das
"Flüchtlings-Framing".
Bedauern äußern Toth und Hofer über die männliche Dominanz unter den AutorInnen. Sie hätten
sich sehr um einen höheren Frauenanteil bemüht, schreiben sie. Politik in Österreich werde aber
auch noch im Jahr 2017 fast ausschließlich von Männern gemacht und gemanagt. Der Sammelband "Wahl
2017. Loser Leaks & Leadership" ist im Ärzte-Verlag erschienen.
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