Brüssel/Wien (gemeindebund) - Mangels Umsetzung der Vergaberichtlinien wird die Europäische Kommission
unter anderem auch gegen Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Wenngleich nun Eile geboten
ist, so sollte doch Bedacht auf eine praxistaugliche Umsetzung genommen werden. Zwar liegt seit Monaten ein Umsetzungsentwurf
für das neue Vergaberecht vor, dieser wurde aber nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Auffassungen und
zahlreicher Kritikpunkte im Begutachtungsverfahren keiner Beschlussfassung unterzogen.
Aufgrund der Säumigkeit, ein entsprechendes Gesetz bis zum vorgegebenen Umsetzungstermin im April 2016 zu
beschließen, hat die Europäische Kommission am 7. Dezember 2017 beschlossen, ein Vertragsverletzungsverfahren
einzuleiten. Nun drohen Strafzahlungen in Millionenhöhe.
Trotz Zeitdrucks Praxistauglichkeit nicht außer Acht lassen
Obwohl das Koalitionsverhandlungsteam aus ÖVP und FPÖ schon angekündigt hat, diesen Umstand nach
einer Regierungsbildung so rasch wie möglich beseitigen zu wollen, sollte beim Beschluss des Gesetzes auf
eine praxistaugliche Umsetzung geachtet werden. Ein für die heimische Wirtschaft und auch für die Frage
des Aufwandes bei der Vergabe bedeutender Punkt betrifft die Berechnung des geschätzten Auftragswertes bei
Dienstleistungsaufträgen und im Speziellen die Frage, wann und inwieweit Leistungen, die vergeben werden,
zusammenzurechnen sind.
Müssen unterschiedliche Dienstleistungen zusammengerechnet werden?
Nachdem der Oberschwellenwert bei Dienstleistungen bei lediglich 209.000 Euro liegt, würde eine Zusammenrechnung
aller Dienstleistungen etwa im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben (Projektplanung, Einreichplanung, Statik, Gutachten,
Haustechnikplanung, Gartengestaltung, Bauaufsicht) sehr rasch dazu führen, dass der Oberschwellenwert überschritten
wird und daher ein europaweites Vergabeverfahren durchzuführen ist.
EuGH-Urteil ist Ausgangspunkt der Unklarheit
War bislang eine Zusammenrechnung nur von „gleichartigen“ Leistungen erforderlich (§ 16 Abs. 4 BVergG),
so soll zukünftig das Wort „gleichartig“ wegfallen. Hierbei spielt weniger die betreffende EU-Richtlinie eine
Rolle als vielmehr ein immer wieder zitiertes EuGH-Urteil (C-574/10), das viel Interpretationsspielraum offen lässt.
In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2012 (!) stellte der EuGH nämlich fest, dass es dem EU-Recht widerspricht,
wenn im Rahmen eines einheitlichen Bauvorhabens Architektendienstleistungen in drei getrennten (Bau-)Abschnitten
ohne europaweites Vergabeverfahren vergeben werden, obwohl eine Zusammenrechnung all dieser Architektendienstleistungen
den Oberschwellenwert übersteigen würde. Es handelte sich dabei um die Sanierung eines Gebäudes
in drei Phasen, wobei jeweils ein und dasselbe Architekturbüro für die Konzeption und Planung sowie für
die Aufsicht über die Ausführung der Arbeiten beauftragt wurde. Nachvollziehbar ging der EuGH in diesem
Fall davon aus, dass die Architektendienstleistungen aller drei Abschnitte zusammenzurechnen und europaweit auszuschreiben
sind, da der Oberschwellenwert überschritten wurde.
Unterschiedliche Interpretationen
Dieses EuGH-Urteil wird jedoch auch in der Weise interpretiert, dass nicht nur im Falle einer Teilung von Dienstleistungen
in Abschnitten eine Zusammenrechnung zu erfolgen hat, sondern alle (auch nicht gleichartigen) Dienstleistungen
zusammenzurechnen sind, die etwa im Rahmen eines Bauvorhabens vergeben werden.
Da der Oberschwellenwert bei Bauaufträgen bei 5,225 Millionen Euro liegt, hätte dies kurioserweise zur
Folge, dass zwar die Ausführung vieler Bauvorhaben nicht europaweit ausgeschrieben werden müsste, sehr
wohl aber die mit diesen Bauvorhaben im Zusammenhang stehenden Dienstleistungen, so die Oberschwelle (für
Dienstleistungsaufträge) von 209.000 Euro insgesamt überschritten wird. Selbst wenn die einzelnen Dienstleistungen
eigens (in Form von Losen) vergeben werden, müssten diese – gleich welchen geschätzten Auftragswert diese
haben (auch weit unter 209.000 Euro) – grundsätzlich europaweit ausgeschrieben werden.
Immense Mehrkosten zu befürchten
Abgesehen davon, dass eine derartige Auslegung dieses EuGH-Urteils zu einem immensen Aufwand für Auftraggeber
wie Auftragnehmer führt, würden infolge der Zusammenrechnungspflicht Auftraggeber nur mehr Gesamtdienstleistungsaufträge
(die alle Dienstleistungen umfassen) ausschreiben mit der Wirkung, dass vor allem kleinere und mittelständische
Unternehmungen (Ziviltechnikerbüros, Ingenieurbüros) an dem Verfahren gar nicht teilnehmen könnten.
Bedenkt man abschließend, dass sich das Interesse von Wirtschaftsteilnehmern anderer Mitgliedsstaaten in
erster Linie nach der Höhe des Auftrages richtet und einer Studie der Europäischen Kommission zufolge
ohnedies nur 1,6 Prozent (!) aller öffentlichen Aufträge im Oberschwellenbereich direkt grenzüberschreitend
vergeben werden, so sollte das EuGH-Urteil diesem Umstand entsprechend praxistauglich und damit in der Weise ausgelegt
werden, dass eine Zusammenrechnung von Dienstleistungen nur dann zu erfolgen hat, wenn es sich um gleichartige
Dienstleistungen handelt. Darüber hinaus sollte grundsätzlich hinterfragt werden, ob die derzeitigen
Oberschwellenwerte nicht ohnedies viel zu niedrig sind und daher deutlich angehoben werden sollten.
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