EU-Gipfel - Abgeordnete diskutieren Gemeinsame Verteidigungspolitik, Soziale Säule der
EU, Brexit, Migration und Kulturpolitik
Wien (pk) - Die Gründung einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und
Verteidigung – kurz PESCO genannt -, der Brexit und die soziale Dimension der EU standen am 13. Dezember im Mittelpunkt
des EU-Hauptausschusses, der im Vorfeld des morgigen Europäischen Rats zusammentrat. Diskutiert wurden zudem
Fragen der Migration sowie der Bildung und Kultur.
Erstmals leitete Nationalratspräsidentin Elisabeth Köstinger den Ausschuss. Für Bundeskanzler Christian
Kern wird es wohl die letzte Ausschusssitzung gewesen sein, in der er den Abgeordneten als Regierungschef Rede
und Antwort stand. Ebenso wird Sebastian Kurz aller Voraussicht nach das letzte Mal in seiner Funktion als Außenminister
im Ausschuss anwesend gewesen sein. Dementsprechend groß war heute auch das Medieninteresse an diesem EU-Ausschuss,
der wie immer öffentlich tagte. Trotz der unterschiedlichen politischen Wege, die Außenminister und
Bundeskanzler in Zukunft gehen werden, war die Einschätzung der genannten europäischen Themen auf weiten
Strecken von Gleichklang geprägt.
Unterschiedliche Meinungen zur sozialen Dimension der EU
Unterschiedliche Standpunkte traten insbesondere in Bezug auf die soziale Dimension der EU auf, die für die
SPÖ eine zentrale Frage für den Weiterbestand der EU darstellt. Während Kurz die Auffassung vertrat,
dass es angesichts der großen Unterschiede kaum möglich sein werde, die Sozialsysteme anzugleichen und
man daher keine falschen Hoffnungen wecken sollte, trat der Bundeskanzler dafür ein, zu gemeinsamen Mindeststandards
zu kommen. Sollte das nicht gelingen, dann würde das die Wirtschaft treffen, sagte er auch im Hinblick auf
die negativen Folgen der geltenden Entsenderichtlinie. Er forderte zudem, auch die Arbeitslosenrate als Parameter
neben dem Budgetdefizit und der Inflationsrate einzuführen. Größte Skepsis gegenüber einer
möglichen Sozialunion wurde seitens der Freiheitlichen geäußert.
Es gehe darum, welches Europa wir wollen, betonte Bundeskanzler Kern und sprach sich auch in diesen Fragen für
mehr Kompetenzen der Union aus, zumal man auch mit der Steuerpolitik dafür sorgen müsse, dass mehr Mittel
für sozial– und wirtschaftspolitische Themen zur Verfügung stehen. Er warnte davor, vor der eigenen Haustür
neue Steuerparadiese entstehen zu lassen. Unterstützt wurde er in dieser Einschätzung von den Abgeordneten
des SPÖ-Klubs, die die soziale Dimension als ein entscheidendes Feld für die Zukunft der EU bezeichneten.
So hält es Andreas Schieder (SPÖ) für eines der großen Versäumnisse der Union in den
letzten Jahren, dass man diese soziale Dimension zu wenig berücksichtigt hat. "Wenn es etwas gibt, was
die EU zum Scheitern bringen kann, dann ist das die soziale Ungleichheit und das soziale Gefälle zwischen
West und Ost", ergänzte dazu Jörg Leichtfried (SPÖ). Die EU habe ihr Wohlstandsversprechen
nicht eingehalten, merkte er kritisch an.
Ein starkes Sozialsystem sei wichtig, reagierte darauf Außenminister Sebastian Kurz, der gleichzeitig betonte,
dass soziale Fragen eine nationale Aufgabe darstellen. Man müsse sehr genau prüfen, wo mehr Zusammenarbeit
möglich ist und wo Staaten und Regionen besser entscheiden können. Die starken sozialen Unterschiede
in den einzelnen Staaten machen seiner Meinung nach eine Angleichung der Sozialsysteme fast unmöglich.
Strikt gegen eine Sozialunion äußerte sich Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Die bisherige Entwicklung
kritisierte sie als eine Einbahnentwicklung und wies ebenso wie Bundeskanzler Kern auf die Entsenderichtlinie hin.
Belakowitsch glaubt, dass eine Sozialunion nicht zu finanzieren sein werde, deshalb sollte man viel mehr auf nationaler
Ebene handeln, um die Unterschiede auszugleichen.
Breite Unterstützung für PESCO
Die Gründung einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung (PESCO
– Permanent Structured Cooperation) wurde sowohl von Kern als auch von Kurz begrüßt. Österreich
werde an der Zusammenarbeit teilnehmen, soweit es die Neutralität zulässt, betonte der Kanzler und hob
insbesondere den zivilen Charakter des österreichischen Beitrags, etwa in Form des Katastrophenschutzes oder
im Bereich der Cybersicherheit, hervor. PESCO bringe mehr an Sicherheit, zeigte sich Außenminister Kurz froh
über den eindeutigen Fortschritt zu einer engeren Kooperation, denn kein Land könne die komplexen Aufgaben
allein stemmen. Jetzt gehe es darum, PESCO mit Leben zu erfüllen. Keineswegs ziele man mit PESCO auf eine
gemeinsame europäische Armee unter einem Kommando ab, machte Kurz gegenüber Claudia Gamon (NEOS) klar.
Sie unterstützte PESCO als einen ersten Schritt zur gemeinsamen Verteidigungspolitik und stellte aus ihrer
Sicht fest, eine solche intensivierte Kooperation mache nur Sinn, wenn man langfristig eine europäische Armee
und eine gemeinsame Verteidigungspolitik installiert. Demgegenüber wies SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder
auf den Neutralitätsvorbehalt hin.
Der im Dezember dieses Jahres gefasste Beschluss von 25 EU-Staaten, die Gemeinsame Sicherheits– und Verteidigungspolitik
in Form einer Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (PESCO) zu intensivieren, soll vor allem dazu dienen,
die Verteidigungsfähigkeiten gemeinsam zu entwickeln und Synergien zu finden, in gemeinsame Projekte zu intensivieren,
die operative Einsatzbereitschaft zu verbessern und den Beitrag der Streitkräfte auszuweiten. Österreich
dürfe keinem Militärbündnis beitreten, unterstrich Kurz, es gehe aber um eine enge Kooperation,
die bis zu einer gemeinsamen Eingreiftruppe führen könne. Wirtschaftliche Vorteile sieht der Außenminister
vor allem im Bereich eines gemeinsamen Einkaufs. Reinhold Lopatka von der ÖVP erinnerte in diesem Zusammenhang
an einen entsprechenden Antrag im Parlament.
Seitens der FPÖ meinte Reinhard-Eugen Bösch, dass eine gemeinsame Verteidigungspolitik schon Inhalt der
EU-Verträge sei. Bei PESCO handelt es sich seiner Meinung nach um ein politisches Signal im Hinblick auf ein
Selbstbewusstsein der EU gegenüber den USA. Die leise Skepsis von Bösch gründet sich in erster Linie
darauf, dass viele EU-Staaten auch Mitglied bei der NATO sind und sich daher weniger auf die EU als viel mehr auf
die transatlantische Zusammenarbeit verlassen. Außerdem gehe es nicht nur um zivile Fragen, merkte er gegenüber
Bundeskanzler Kern an, sondern auch um Kompetenzzentren, um grenzüberschreitende militärische Transporte
etc. Auf jeden Fall müssten die Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsbudgets erhöhen, das bedeute auch eine
Stärkung des österreichischen Bundesheers. Jörg Leichtfried (SPÖ) warnte seinerseits davor,
dass eventuell Schrott-LKW durch Österreich fahren könnten, die nicht dem technischen einheimischen Standards
entsprechen und damit die Sicherheit auf den Straßen gefährden.
Brexit: Vorsichtige Zufriedenheit über Fortschritte in Verhandlungen
Was die Brexit–Verhandlungen betrifft, so äußerten sich beide Regierungsmitglieder vorsichtig zufrieden
über die jüngst erzielten Fortschritte, vor allem in Bezug auf die Rechte der EU–BürgerInnen. Davon
sind rund 4,5 Mio. Menschen betroffen. Zur Absicherung des diesbezüglichen Abkommens soll es auch ein Monitoring
geben. Damit sei die erste Phase abgeschlossen, womit grünes Licht für die zweite Phase gegeben werden
könne, sagte Kern. Jörg Leichtfried (SPÖ) thematisierte in diesem Zusammenhang die Gesundheits-
und Altersversorgung, da in Großbritannien die diesbezüglichen Standards nicht so hoch wie etwa in Österreich
seien.
Offen bleibe die Irland-Frage, stellte Kern fest, man könne von einer "salomonischen Lösung"
sprechen, aber diese sei auch noch nicht fix. Jedenfalls gebe es das Bekenntnis, dass es keine harte Grenze geben
soll und man nicht hinter das Karfreitags-Abkommen gehen wird, strichen sowohl Kern als auch Kurz hervor.
Die Zahlungen durch Großbritannien dürften sich zwischen 45 und 55 Mrd. € bewegen, konkrete Zahlen stünden
aber noch nicht fest, informierte Kern. Für das EU-Budget werde es bis zum Jahr 2020 keine Veränderungen
geben, nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs werden jedoch 10 Mrd. € fehlen, die nicht durch Verwaltungseinsparungen
wettgemacht werden können, meinte der Bundeskanzler, denn die Verwaltungskosten betrügen nur 7 Mrd. €.
Die EU stehe daher vor Grundsatzentscheidungen. Keinesfalls dürfe es zu einer Erhöhung für die Nettozahler
werden, stellte er aus seiner Sicht klar. Daher werde man innerstaatlich entscheiden müssen, worauf man verzichten
wolle - entweder auf Zahlungen aus den Strukturfonds oder im Bereich der Landwirtschaft.
Die EU müsse in ihrem Budget schlanker werden, hielt dazu der Außenminister fest, aber das sei eine
Diskussion, der man sich in den nächsten Monaten und vor allem auch während des österreichischen
Ratsvorsitzes stellen werde, merkte Kurz gegenüber Kai Jan Krainer (SPÖ) an.
Nur kleine Schritte in der EU-Migrationspolitik
Gestreift wurde in der Diskussion auch das Thema Migration. Es gebe zwar immer noch unterschiedliche Meinungen
unter den Mitgliedstaaten, betonte Außenminister Kurz, der einmal mehr den Schutz der Außengrenzen
als eine zentrale Frage unterstrich. Er wertete es daher als positiv, dass Ratspräsident Donald Tusk und andere
Länder ebenfalls den Schutz der EU-Außengrenzen in den Vordergrund stellen. Deswegen werde man auch
einen gemeinsamen Weg mit Tusk gehen.
Das Papier des Ratspräsidenten wurde auch von Reinhold Lopatka (ÖVP) und Claudia Gamon (NEOS) begrüßt,
wobei Lopatka einmal mehr auf eine gerechtere Aufgabenteilung pochte. Diesem Aspekt schloss sich auch der Bundeskanzler
an, dem gerade dieser Punkt im Tusk-Papier fehlt. Für Österreich sei es enorm wichtig, dass die EU dazu
einen Weg findet, sagte er und betonte, es gehe nicht an, dass Länder, die hohe Zahlungen erhalten, sich aus
der Verantwortung stehlen.
Angesprochen von Claudia Gamon (NEOS) auf den Resettlement-Plan meinte Außenminister Kurz, dieser sei ein
sinnvoller Weg. Wenn Österreich Flüchtlinge aufnehme, dann sei er dafür, dies über das Resettlement-Programm
zu machen. Vorher müsse aber der illegale Zustrom gestoppt werden.
Die Bedeutung von Bildung und Kultur
Die Abgeordneten Walter Rosenkranz (FPÖ) und Wolfgang Zinggl (PILZ) thematisierten die Bereiche Bildung und
Kultur. Vorgesehen ist, die Mobilität und das Programm Erasmus Plus zu stärken sowie die Partnerschaft
zwischen Hochschuleinrichtungen zu intensivieren. Angedacht ist auch ein europäischer Studierendenausweis,
zudem soll die gegenseitige Anerkennung von Hochschul– und Sekundarabschlüssen gefördert werden. Rosenkranz
sprach von wunderschönen Formulierungen, die man nur unterstützen könne. Es gehe aber auch darum,
im eigenen Land Maßnahmen zu setzen, insbesondere was die Finanzierung der Hochschulen betrifft.
Ihm zufolge muss auch das Bewusstsein für das soziale Kulturerbe gestärkt werden und in diesem Zusammenhang
kritisierte er einmal mehr das Bundesdenkmalamt und das Heumarktprojekt in Wien.
Für Wolfgang Zinggl (PILZ) wird die Frage der kulturellen Identität Europas viel zu wenig diskutiert.
Das kulturelle Erbe bestehe nicht nur aus Kunst und Bauten, sondern auch durch das Zusammenleben in der Gemeinschaft,
unterstrich er. Gerechtigkeit und Aufklärung, individuelle Freiheiten und soziale Rechte seien ein zentrales
Erbe Europas. Zinggl bedauerte, dass es in Europa noch immer einen zu starken nationalen Wettkampf gibt, anstatt
die multiple Identität und die kulturelle Vielfalt stärker zu betonen.
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