Invasive Ameisen opfern infizierte Koloniegenossen zum Schutz der Kolonie – Studie erschien
in eLife
London/Würzburg/Klosterneuburg (ist) - Ameisen töten infizierte Koloniemitglieder und schützen
so ihre Kolonie vor dem Ausbruch einer Epidemie, wenn es ihnen nicht gelungen ist, die Ansteckung mit der tödlichen
Erkrankungen zu verhindern. Bei dieser Krankheitsbekämpfung zeigen Ameisenkolonien eine frappierende Ähnlichkeit
mit dem Immunsystem, das den Organismus von Wirbeltieren schützt. Das beschreibt ein Forscherteam des Institute
of Science and Technology Austria (IST Austria), geleitet von Professorin Sylvia Cremer und mit Erstautor und PhD
Student Christopher Pull in Zusammenarbeit mit Forschern an der Royal Holloway, University of London, und der Universität
Würzburg. Ihr Artikel erscheint am 9. Jänner im Journal eLife.
Kommt eine Ameise mit dem krankheitserregenden Pilz Metarhizium in Berührung, so wird sie zu einer Gefahr
für die gesamte Kolonie. Eine Infektion unter den eng zusammenlebenden Ameisen könnte das Aussterben
der Kolonie bedeuten, wenn es nicht gelingt, die Krankheit einzudämmen. Sylvia Cremer und ihre Gruppe konnten
zuvor bereits zeigen, dass Ameisen der invasiven Art Lasius neglectus Koloniemitglieder intensiv reinigen und pflegen,
wenn sich pathogene Pilzsporen auf deren Körpern befinden. Dadurch senken sie das Risiko, dass der Pilz in
den Körper eindringt und das Tier infiziert. Doch was passiert, wenn die pflegenden Ameisen den Pilz nicht
erfolgreich entfernen konnten, und sich ein Tier mit dem Pilz infiziert? Dieser Frage gingen Sylvia Cremer und
Christopher Pull und ihre Kollaborationspartner an der Royal Holloway, University of London und der Universität
Würzburg in der aktuellen Studie in eLife nach.
Handelt es sich um infizierte Brut, ist die Antwort auf eine tatsächlich erfolgte Pilzinfektion ungleich radikaler:
In einer Serie von Experimenten fanden die Forscher heraus, dass Ameisen unbewegliche Puppen töten um den
Lebenszyklus des Erregers zu unterbrechen, sodass er sich nicht weiter ausbreiten kann. Die Ameisen gehen dabei
selektiv vor: mit Hilfe von chemischen Krankheitshinweisen detektieren sie Tiere, die bereits tödlich infiziert
sind und töten sie. „Die Koloniemitglieder sind in der Lage, kranke Koloniemitglieder schon in einer frühen
Phase des Infektionsverlaufs zu riechen und zu isolieren. Danach führen sie das durch, was wir als ‚destruktive
Desinfektion‘ bezeichnen: das Töten von Pilz und erkranktem Tier, um den Erreger daran zu hindern, ansteckend
zu werden und sich auf Nestgenossen auszubreiten“, erklärt Sylvia Cremer.
Diese destruktive Desinfektion besitzt erstaunliche Parallelen zum Immunsystem von Wirbeltieren. Infizierte Zellen
von Wirbeltieren senden ein Signal aus, das Immunzellen anlockt. Die machen Löcher in die infizierte Zelle
und injizieren giftige Substanzen, die die Zelle und den darin befindlichen Krankheitserreger töten. Ganz
Ähnliches geschieht bei Lasius neglectus, wie Christopher Pull beschreibt: „Die Tiere produzieren Ameisensäure
die den Pilz töten kann, sie muss allerdings in den Körper der Puppe gelangen um zu wirken. Bei der destruktiven
Desinfektion entfernen die Ameisen daher den Seidenkokon der Puppen und beißen Löcher in den Körper.
Durch diese injizieren sie die Ameisensäure, die den Pilz gemeinsam mit der Puppe tötet.“ Sylvia Cremer
erläutert, woher diese Ähnlichkeit stammen kann: „Ameisen in einer Kolonie arbeiten zusammen wie Zellen
eines Körpers, daher werden Ameisenkolonien auch manchmal als Superorganismus bezeichnet. Wir zeigen in unserer
Studie, welche spannenden Parallelen zwischen der Immunabwehr von Ameisenkolonien und Wirbeltieren existieren.
Die Fähigkeit, schädliche Elemente zu entdecken und zu zerstören, war wahrscheinlich für die
Evolution von mehrzelligen aus einzelligen Organismen sowie von Superorganismen aus einzelnen Tieren nötig.“
Christopher Pull, Erstautor der Studie, war von 2012 bis 2017 PhD-Studierender in der Gruppe von Sylvia Cremer
am IST Austria und ist mittlerweile Postdoc an der Royal Holloway University of London. Sylvia Cremer erforscht
die soziale Immunabwehr bei Ameisen mit dem Ziel, mehr über Epidemiologie und Krankheitsdynamik in Gesellschaften
herauszufinden.
Originalartikel: Christopher
D. Pull et al: “Destructive disinfection of infected brood prevents systemic disease spread in ant colonies”, elife,
2017, DOI: 10.7554/eLife.32073
Über das IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem
Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften,
Mathematik und Computerwissenschaften. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell
und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum
Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut
die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist
Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California
in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne, Schweiz.
Über die Royal Holloway, University of London
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für alle, die davon profitieren konnten, folgten. Ihre Vision lebt heute weiter. Als eine der führenden
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