Erstmals in Österreich: Art Brut aus der Sammlung Jean Claude Volot
Gugging (museum) - Das museum gugging präsentiert die Sammlung Jean-Claude Volot. Volot ist eine der
ungewöhnlichsten Sammlerpersönlichkeiten der Gegenwart. Ihn faszinieren die existenziellen Fragen des
menschlichen Daseins: Schicksal, Zwänge und Leiden, Entsetzen und Wahn, die Schöpfungskraft und die Liebe.
Werke der Art Brut und Arbeiten bekannter sowie neu zu entdeckender Klassiker wie Karel Appel, Gaston Chaissac,
Hans Bellmer oder Louise Giamari sind in dieser Sammlung vereint. Erstmals ist diese Sammlung in Österreich
zu sehen.
Seit drei Jahrzehnten sammelt Jean-Claude Volot Kunst. Mit der Auswahl seiner Werke ignoriert er den lange als
unumstößlich geltenden Kanon in ästhetischen Fragen, den die französischen Museen und Institutionen
der Kunst durch ihre Ankaufsentscheidungen bestimmten. Volot nahm und nimmt sich Freiheiten in der Zusammenstellung
der Arbeiten, die diese Institutionen sich untersagten. Jean-Claude Volot hortet alle diese Werke in seinem eigenen
Kloster, der Abbaye d´Auberive, in der Haute Marne in einem einsamen Wald in Frankreich. Tausende Bilder,
Objekte und Skulpturen sind dort in Jahrhunderte alten Mauern gelagert, die man der Öffentlichkeit nicht vorenthalten
sollte, da sie uns Einblick in Teile unseres Daseins und vielleicht auch unserer Seele geben können - wenn
wir es zulassen.
Ein obsessiver Sammler
"Meine Kaufentscheidungen sind ein Querschnitt durch die künstlerischen Bewegungen unserer Zeit: Art
Brut, Expressionismus, Street Art, Art Singulier, Surrealismus, Populärkunst… Die ganze Sammlung stellt die
Frage nach den Menschen - ihrem Weg, ihrem Schicksal, ihren Zwängen und ihren Leiden, ihrem Entsetzen, ihrem
Wahn, ihrer Schöpfungskraft, ihrem Lieben. Wenn man alles (Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Videos)
mit einem einzigen Wort bezeichnen wollte, so ist es das Wort "menschlich", das mir in den Sinn kommt."
(Jean-Claude Volot)
Jean-Claude Volot stellte eine bedeutende Anzahl von Werken erst kürzlich verstorbener oder lebender namhafter
Künstler wie Hans Bellmer, Gaston Chaissac, Karl Appel und anderer zusammen. Er interessiert sich aber auch
für andere, eher überraschende Objekte - etwa für christlich geprägte Objekte, die von Kunsthandwerkern
oder Künstlern in Afrika in der Kolonialzeit hergestellt wurden. Wie viele Werke er erworben hat, könnte
Volot wahrscheinlich selbst nicht genau sagen. Die Vielfalt ist ein charakteristisches Merkmal seiner "Galerie".
Art Brut - eine Kategorie für Jean-Claude Volot?
Zwei Kategorien von Künstlern lassen sich in seiner Sammlung unterscheiden: Einerseits jene, die dem Usus
des Kunstmarkts entsprechen und andererseits solche Künstler, die sich am Rande der etablierten Kunstwelt
ansiedeln. Die Sammlung Volot ignoriert Kategorisierungen. Die Werke seiner Sammlung befinden sich auf gleicher
Höhe. Somit wird jegliche hierarchische Beziehung unter den Werken aufgehoben. Volot macht also Schluss mit
Schubladen - für ihn wäre es kein Problem zum Beispiel Aloïse neben Matisse und La Chaise zu hängen
und Wölfli neben Klee. Auf seine Weise, mit "seinen" Künstlern ist dies genau das, was Volot
tut. Die Sammlung setzt sich vornehmlich aus Werken zusammen, für die es gut eingeführte ästhetische
Bezeichnungen gibt, aber sie tut so, als existierten diese nicht. Sie verweist auf eine Wahrnehmung künstlerischen
Schaffens, die verwirrend ist, weil ihre Struktur nicht vorgegeben wird von Klassifikationen, die in Frankreich
in den vergangenen Jahrzehnten vorherrschten und von den meisten Kulturinstitutionen vertreten wurden. Dies ist
einer der Gründe, weshalb es sich lohnt, diese Sammlung genauer zu studieren: weil sie sich, vielleicht ohne
dass sich ihr Schöpfer dessen bewusst wäre, absolut außerhalb der Normen entwickelt hat.
(Grundlage: Katalogtext von Philippe Dagen: Portrait von Jean-Claude Volot, in:
Esprit Singulier. Fonds de l'Abbaye d'Auberive. Flammarion, Paris 2016.)
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