Können wir einer Maschine Ethik beibringen? In einem Informatik-Projekt der TU Wien untersucht
man nun alte Sanskrit-Texte und beschreibt ethische Regeln mit den Methoden der Logik.
Wien (tu) - Seit Jahrtausenden wird an den heiligen Texten der Veden geforscht. Doch nun verwendet man an
der Fakultät für Informatik der TU Wien erstmals Methoden der mathematischen Logik, um die alten Sanskrit-Schriften
zu analysieren. Das liefert der Sanskrit-Philologie neue Erkenntnisse, es ermöglicht sogar, philosophische
Dispute zu klären, über die seit mehr als ein- oder zweitausend Jahren gestritten wird. Darüber
hinaus hilft es der Computerwissenschaft, Argumentations-Tools zu entwickeln, die mit deontischen Konzepten – mit
Verboten und Verpflichtungen – umgehen können. Solche Werkzeuge sind äußerst wichtig, wenn man
Ethik in die künstliche Intelligenz einbauen möchte, etwa wenn ein selbstfahrendes Auto bei einem Verkehrsunfall
ethische Entscheidungen treffen soll.
Die Gesetze der Logik, angewandt auf alte Texte
„Die Veden sind eine große Sammlung alter Sanskrit-Texte, von denen manche sehr klare moralische Regeln enthalten
– etwa: Man soll kein lebendes Wesen schädigen“, erklärt Agata Ciabattoni vom Institut für Logic
and Computation der TU Wien. Sie leitet das Forschungsprojekt, in enger Zusammenarbeit mit Elisa Freschi, einer
Sankritistin von der österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Die altindische philosophische Schule Mimamsa, deren Wurzeln mehr als zweitausend Jahre zurückreichen, ist
dafür bekannt, einen sehr logisch-rigorosen Zugang zur Analyse der Vorschriften und Verbote in den Veden zu
wählen. Viele Jahrhunderte lang haben die Philosophen der Mimamsa klare Regeln formuliert, wie man aus bestimmten
Ausgangssätzen neue Regeln ableiten und scheinbare Widersprüche auflösen kann. „Das ist ganz eng
mit unserer Forschungsarbeit in der Logik verknüpft“, sagt Agata Ciabattoni. „Wir können solche Regeln
in einer Sprache formalisieren, die auch der Computer verstehen kann.“
So gibt es etwa einen uralten Streit über das sogenannte „Syena-Opfer“, eine vedische Vorschrift darüber,
wie man seine Feinde töten soll. Wie lässt sich das mit der Regel vereinbaren, kein lebendes Wesen zu
schädigen? „Für einen Hindu sind die Veden die absolute Wahrheit, es darf also keinen inneren Widerspruch
geben“, sagt Agata Ciabattoni. Im siebten Jahrhundert löste Prabhakara, ein indischer Philosoph der Mimamsa-Tradition,
dieses Problem, indem er verschiedene Regeln der Veda in einer logisch recht komplexen Weise kombinierte. Manche
Gelehrte hielten seine Argumentation für falsch, der Disput darüber zog sich über Jahrhunderte.
Agata Ciabattoni und ihr Team arbeiteten eng mit philologischen Forschungsgruppen zusammen, um die Mimamsa-Regeln
und die vedischen Gesetze in mathematische Formeln zu übersetzen – und sie konnten zeigen, dass Prabhakara
Recht hatte. Wenn man die vedischen Vorgaben als korrekt betrachtet, ist Prabhakaras Argumentation logisch fehlerfrei.
Somit konnte mathematische Logik einen uralten philosophischen Streit endgültig beilegen.
Ein logisches System für Ethik
„Für uns war das der erste Beweis, dass man tatsächlich etwas neues lernen kann, wenn man Indologie und
Informatik kombiniert“, sagt Agata Ciabattoni. „Aber letztlich wollen wir noch viel mehr erreichen: Wer wollen
verstehen, wie man mit mathematischer Präzision nützliche Logiken aufbauen kann, die mit Verboten und
Verpflichtungen operieren.“
Klassische Logik arbeitet mit Sätzen, die entweder wahr oder falsch sind, und sie liefert Regeln, wie man
wahre Aussagen kombinieren kann um zu neuen Aussagen zu gelangen, die ebenfalls wahr sind. So funktioniert die
Mathematik: Wenn man von etwas Wahrem ausgeht und sich an bestimmte Regeln hält, wird das Endresultat auch
richtig sein. Aber diese Art von Logik nützt uns nichts, wenn es um Ethik geht. „Wenn wir uns mit Vorschriften
und Verboten beschäftigen, interessiert uns nicht, was wahr oder falsch ist, sondern was wir tun oder lassen
sollen“, sagt Ciabattoni. „Daher benötigt man eine völlig neue Art von Logik, die man als deontische
Logik bezeichnet. Genau wie die klassische Logik kann sie in Form mathematischer Formeln ausgedrückt werden,
die uns erlauben, zuverlässig zu beweisen, ob eine bestimmte Argumentation schlüssig ist oder nicht.“
Es gab bereits Versuche, eine solche „deontische Logik“ zu entwickeln, aber bisher mit überschaubarem Erfolg.
„Unsere Arbeit mit den Veden und der Mima?sa-Schule wird uns helfen zu verstehen, wie eine deontische Logik funktionieren
kann“, ist Ciabattoni zuversichtlich. „Die alten Sanskrit-Texte liefern uns viele Argumente, die jahrhundertelang
sorgfältig analysiert wurden, und an denen wir nun unsere mathematischen Formeln ausprobieren können.“
Die Ethik selbstfahrender Autos
Eine solche deontische Logik könnte man verwenden, um Computern Ethik beizubringen. Ein System von Vorschriften
und Verboten könnte einer Maschine einprogrammiert werden, die dann automatisch nach bestimmten Regeln daraus
ableitet, welches Verhalten akzeptabel ist und welches nicht. „Denken wir an ein selbstfahrendes Auto während
eines Unfalls“, sagt Agata Ciabattoni. „Nehmen wir an, dass ein Zusammenstoß unvermeidlich ist, irgendjemand
wird auf jeden Fall verletzt – aber das Auto muss entscheiden, wen es trifft und wer verschont wird.“ Eine allgemeine
Regel wie „schade niemandem“ nützt in diesem Fall nicht. Genau wie bei den alten Veden muss man verschiedene
Regeln sorgsam kombinieren um zu einem logischen Ergebnis zu gelangen. Und vielleicht wird eine solche maschinelle
Entscheidung dann sogar ethischer und nützlicher für uns Menschen sein, als eine von Menschen getroffene
Entscheidung.
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