Zeitzeugengespräch zum Internationalen Holocaust-Gedenktag im Parlament
Wien (pk) - "Gedenken erschöpft sich nicht allein im Blick zurück. Gedenken formuliert einen
Anspruch an das hier und jetzt - in der Sprache, die wir sprechen, und in den Handlungen, die wir setzen",
betonte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka am 25. Jänner im Rahmen der diesjährigen Gedenkveranstaltung
des Parlaments an die Opfer des Holocaust.
Der 27. Jänner, an dem 1945 das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit wurde, ist
aufgrund des Beschlusses der UNO Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Auf Initiative der
damaligen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer begeht auch das österreichische Parlament seit 2012
diesen Gedenktag. In Fortführung dieser Tradition hat Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka heute zu
einer Gedenkveranstaltung ins Palais Epstein eingeladen. Ein von der Direktorin des Jüdischen Museums Wien,
Danielle Spera, moderiertes Zeitzeugengespräch mit Victor Klein, Herbert Löwy, Fritz Rubin-Bittmann und
Alfred Schreier bildete den Mittelpunkt des Abends. Das jüdische Gebet zum Totengedenken "El Male Rachamim"
wurde von Rabbiner Mordechai Fiksler gesungen.
Die musikalische Umrahmung der Veranstaltung erfolgte durch junge Musikerinnen der Universität für Musik
und angewandte Kunst Wien. Sie spielten Werke von Bruno Walter, Walter Arlen und Ernst Toch, alle drei vertriebene
jüdische Komponisten.
Sobotka: Wer sich seiner Vergangenheit nicht stellt, wird immer von ihr eingeholt werden
"Wenn Gedenken einen Sinn haben soll, dann den, aus der Erinnerung an die unzähligen Opfer des nationalsozialistischen
Rassenwahns Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft zu ziehen – in der Art, wie wir als Menschen in unserer
Vielfalt und in Respekt und Toleranz miteinander umgehen", sagte Nationalratspräsident Sobotka in seiner
Rede.
Der Nationalratspräsident erteilte allen Versuchen eine klare Absage, die österreichische Geschichte
umzuschreiben, umzudeuten oder zu relativieren. Dazu gehört für Sobotka vor allem auch, bei jedwedem
Ausdruck des Rassismus und des Antisemitismus sowie bei nationalsozialistischer Wiederbetätigung politisch
wie strafrechtlich Rechenschaft einzufordern.
In diesem Zusammenhang richtete er einen Appell an die Politikerinnen und Politiker: "Jeder, der heute in
der Politik Verantwortung trägt, ist aufgefordert, sich mit der österreichischen Geschichte und der seiner
Partei aktiv auseinanderzusetzen, sich ihr ehrlich, aufrichtig und vorbehaltlos zu stellen, den Beiträgen
der Zeitzeugen zuzuhören, nachzudenken und über unsere heutige und zukünftige Verantwortung zu reflektieren".
Aus dieser Pflicht wolle und dürfe er niemanden entlassen. "Denn, wer sich seiner Vergangenheit nicht
stellt, wird immer wieder von ihr eingeholt werden".
Einmal mehr erinnerte der Nationalratspräsident daran, dass Österreich nicht nur Opfer war. "Österreich
war Täter, Österreich hat sich schuldig gemacht, in Untat und Untätigsein".
Das Fernbleiben der IKG zeigt, wie tief die Wunden noch immer sind
Explizit bedauerte der Nationalratspräsident das Fernbleiben des Präsidenten der IKG Wien, Oskar Deutsch.
Das zeige, so Sobotka, wie tief die Wunden noch immer sind. "Präsident Deutsch sowie andere VertreterInnen
der IKG sind und bleiben eingeladen". Die Plätze würden für sie freigehalten, und sollten sie
weiter frei bleiben, würde er das auch als einen Beitrag zum Gedenkjahr verstehen.
Unter den Gästen begrüßte Sobotka seine Kolleginnen im Präsidium, Zweite Nationalratspräsidentin
Doris Bures und Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller sowie den Präsidenten des Bundesrats,
Reinhard Todt. Von Seiten der Bundesregierung nahmen Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian
Strache, Sozialministerin Beate Hartinger-Klein sowie Staatssekretärin Karoline Edtstadler und Staatssekretär
Hubert Fuchs teil.
Als RepräsentantInnen des offiziellen Österreich hieß Sobotka weiters den Präsidenten des
Obersten Gerichtshofs Eckhart Ratz, den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Rudolf Thienel sowie die Präsidentin
des Rechnungshofs Margit Kraker willkommen. Unter den Anwesenden befanden sich auch aktive und ehemalige Mitglieder
des Nationalrats und des Bundesrats, unter ihnen die Klubobleute Andreas Schieder, Walter Rosenkranz und Matthias
Strolz. Auch zahlreiche VertreterInnen des Diplomatischen Corps - unter anderen die Vertreterin der Israelischen
Botschaft – sind gekommen. Zu den Gästen zählten zudem Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften,
ehemalige Mitglieder der Bundesregierung und Volksanwaltschaft und VertreterInnen von österreichischen Gedenkinitiativen.
Ein besonderer Dank des Nationalratspräsidenten galt der Generalsekretärin des Nationalfonds, Hannah
Lessing.
Zeitzeugen erinnern sich an die dunklen Jahre
Direktorin Danielle Spera stellte Victor Klein, Herbert Löwy, Fritz Rubin-Bittmann und Alfred Schreier als
Mitglieder einer besonderen Herrenrunde vor, die sich seit Jahren jeden Mittwoch in einem Wiener Café trifft,
um über Themen der Vergangenheit wie über die Gegenwart zu diskutieren. Die "Mittwochsrunde"
versammelt einige der letzten Vertreter des jüdischen Bürgertums, das vor 1938 Wien und Österreich
maßgeblich geprägt hat. Allen gemeinsam ist ihnen trotz der unterschiedlichen Lebenswege und Weltanschauungen
ihre Liebe zu Wien und der Glaube an die österreichische Demokratie.
Die Zeitzeugen berichteten über Erfahrungen, die sie als Verfolgte des NS-Regimes gemacht hatten. So war Herbert
Löwy, geboren 1929 in Wien, als Jugendlicher, der den gelben Stern tragen musste, der Zugang zur Schulbildung
verwehrt. Er bildete sich autodidaktisch, überlebte als "U-Boot" in Wien und war 1945 einer der
(Wieder-)Gründer des Sportklubs Hakoah. Der Arzt Fritz Rubin-Bittmann wurde 1944 als Kind jüdischer Eltern
in einem Keller in der Leopoldstadt in Wien geboren, von einer nichtjüdischen Familie aufgenommen und so gerettet.
Der 1929 in Wien geborene Alfred Schreier überlebte den Krieg mit seinen Eltern in Italien. 1945 wanderte
er in die USA aus und kehrte erst vor einigen Jahren nach Wien zurück. Victor Klein wurde 1927 in Munkács
(Mukatschewo), das damals zur Tschechoslowakei gehörte, geboren. Er wurde mit seiner Familie nach Auschwitz
deportiert, seine Befreiung erlebt er im Konzentrationslager Ebensee. In den 1950er Jahren übersiedelte er
von Budapest nach Wien.
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