Aktuelle Europastunde im Nationalrat zu laufenden Vorbereitungen; Opposition ist skeptisch
Brüssel/Wien (pk) - In seiner ersten Rede vor dem Nationalrat zu den laufenden Vorbereitungen für
den österreichischen EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2018 hat Europaminister Gernot Blümel den von
Bundeskanzler Sebastian Kurz eingeschlagenen Kurs wiederholt. Für die Regierung liegt die Zukunft Europas
demnach in dem von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgelegten vierten Szenario "weniger,
aber effizienter". In welchen Fragen Blümel sich in Hinkunft eine stärkere europäische Ausrichtung
vorstellt und in welchen Bereichen den Nationalstaaten mehr Entscheidungsspielraum eingeräumt werden soll,
ließ er weitgehend offen, wie NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon kritisierte. Geht es um die Schwerpunkte Österreichs
während seines Vorsitzes, will Blümel auf Basis des Trioprogramms mit Bulgarien und Estland in den kommenden
Wochen ein nationales Schwerpunktprogramm erarbeiten. Besonders beleuchten will die Regierung darin die Bereiche
Sicherheit und Migration. Blümel geht angesichts der Europawahl im Frühjahr 2019 zudem davon aus, während
des österreichischen Vorsitzes noch einige EU-Dossiers, die jetzt noch in Verhandlung stehen, zu einem Abschluss
bringen zu können.
In die Vorsitzzeit Österreichs fallen neben dem Abschluss des Brexit auch die Verhandlungen für den mehrjährigen
EU-Finanzrahmen. Die Herausforderungen in der EU seien Blümel zufolge jedenfalls mannigfaltig, einen wichtigen
Faktor für die Zukunft der EU sieht er wie der Koalitionspartner in einem bürgernäheren Europa.
Beide Regierungsparteien unterstrichen in der Debatte außerdem ihre pro-europäische Haltung, was von
der Opposition etwa aufgrund von Sympathien für die Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor
Orban oder der Nähe zur französischen Front National seitens der FPÖ stark angezweifelt wurde.
Die Regierung finde sich im EU-Parlament teilweise in einer europafeindlichen Fraktion wieder, kritisierte beispielsweise
Europaabgeordnete Angelika Mlinar (NEOS), das sei ein "unerträglicher Umstand". Sie erwartet von
Bundeskanzler Sebastian Kurz, die FPÖ dazu zu zwingen, sich von der "Fraktion Europa der Nationen und
der Freiheit" (ENF) zu verabschieden. Außerdem vermisst sie Österreichs Position etwa in Fragen
des digitalen Binnenmarkts, des Ausbaus der Eurozone oder zu "Dublin neu".
Europaabgeordneter Othmar Karas (ÖVP) machte auf die besondere Mitverantwortung Österreichs für
die Zukunft der Europäische Union während der Rats-Troika bis Ende Juni 2019 aufmerksam. Für ihn
muss Österreich die Rolle des Brückenbauers beibehalten. "Wir werden nichts erreichen, wenn wir
uns auf Kosten der EU profilieren wollen", sagte er. Das gemeinsame Projekt müsse über taktische
und parteipolitische Einzelinteressen gestellt werden. Schwerpunkte erwartet er in den Brexit- und Budgetverhandlungen,
der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion oder dem Kampf gegen Steuerhinterziehung. Sollte das Friedensabkommen
mit Minsk zudem weiterhin nicht umgesetzt werden, sind die Russland-Sanktionen aus seiner Sicht zu verlängern.
Die große Verantwortung Österreichs im EU-Reformprozess unterstrich auch Europaabgeordnete Evelyn Regner
(SPÖ). Dafür reiche es aber nicht aus, wenn sich Kanzler Kurz proeuropäisch vor der Europafahne
äußere. "Es kommt nicht auf die Inszenierung an", so die mahnenden Worte Regners, es brauche
kein "Schmalspureuropa", wie sie auf Anspielung auf den Kurs der Regierung meinte. Sie fordert Bemühungen
für ein soziales und steuerlich gerechtes Europa, außerdem soll Österreich während des Vorsitzes
die richtigen Partner im Auge behalten.
ÖVP und FPÖ betonen Pro-EU-Kurs
Seitens der Abgeordneten der ÖVP und FPÖ wurde der proeuropäische Kurs der Regierung stark betont.
Reinhold Lopatka (ÖVP) meinte, dass Österreich aktiv und zuverlässig an einer positiven Zukunft
der EU mitwirken werde. Man wolle das Subsidiaritätsprinzip in der EU weiterentwickeln, Schwerpunkte sieht
er zudem im Abschluss der Brexit-Verhandlungen, im EU-Budget, das sich mit dem Austritt der Briten verringern wird
oder den Schutz der EU-Außengrenzen. Österreich werde sich außerdem wie Bulgarien für eine
Beitrittsperspektive weiterer Westbalkanstaaten einsetzen.
Geht es nach Johann Gudenus (FPÖ), hat die Vernunft mit dem nunmehr eingeschlagenen Regierungskurs auf europäischer
Ebene gesiegt. Die EU brauche einen Kurswechsel, Österreich könne diesen während des Vorsitzes wesentlich
mitgestalten. Zu kurz gekommen ist für ihn in den letzten Jahren neben der Subsidiarität innerhalb der
EU außerdem die Bürgernähe. Was Ungarns Premier Viktor Orban betrifft, hätte die Regierung
in weiten Bereichen große Einigkeit erzielt. Orban sei ein "braver, aufrechter Europäer",
der in der Flüchtlingskrise mit dem Schutz der eigenen Grenzen lediglich EU-Regeln befolgt habe. Will man
Sicherheit für die BürgerInnen schaffen, gehöre die illegale Masseneinwanderung an den EU-Außengrenzen
gestoppt. Nach Meinung des FPÖ-Klubchefs bedingen Migration und Terrorismus einander.
Petra Steger (FPÖ) meinte, dass Wien im zweiten Halbjahr 2018 zum Zentrum der EU-Sicherheitspolitik werde.
Die Politik der offenen Grenzen, wie sie etwa die SPÖ vertreten hätte, habe zu mehr Unruhen zwischen
den EU-Mitgliedsländern geführt. Hier braucht es aus ihrer Sicht ein Umdenken. Österreich müsse
entscheiden, wer nach Österreich kommen dürfe, nicht die EU. Sie sei jedenfalls stolz auf den eigenständigen
und aktiven EU-Kurs der Regierung.
ÖVP-Abgeordneter Martin Engelberg (ÖVP) stand dafür ein, an der "Vision Europa" festzuhalten
und appellierte an ein gemeinsames Europa des Friedens, der Einigung, der Sicherheit und des Wohlstandes. Europa
dürfe nicht dazu genutzt werden, um parteipolitische Seitenhiebe auszuteilen, meinte er. Seine Fraktionskollegin
Martina Diesner-Wais (ÖVP) wiederum hofft, dass die gemeinsame Agrarpolitik vom österreichischen Ratsvorsitz
profitiert. Es brauche nämlich mehr Stabilität für die bäuerlichen Betriebe.
SPÖ zweifelt stark an proeuropäischer Haltung der Regierung
Seitens der SPÖ zweifelte Jörg Leichtfried (SPÖ) stark daran, dass die Regierung den EU-Ratsvorsitz
für Österreich und die EU positiv nutzen wird. Die Regierung huldige etwa Viktor Orban, der ein Anführer
jener Länder innerhalb der Union sei, die sich als Vollmitglied verstünden, wenn es etwas zu holen gebe,
der europäischen Solidarität allerdings eine Absage erteilen. "Da haben sie sich den falschen Freund
ausgesucht", kritisierte Leichtfried. Seine Zweifel machte der Abgeordnete außerdem daran fest, dass
sich die FPÖ auf EU-Ebene in einer gemeinsamen Fraktion mit EU-Gegnern wie Marine Le Pen und Geert Wilders
befindet.
Die Regierung müsse den proeuropäischen Beweis erst erbringen, so auch Kai Jan Krainer (SPÖ). Einen
Widerspruch sieht der Abgeordnete darin, dass Kurz und Strache im Grunde weniger Europa und mehr Nationalstaatlichkeit
anstreben würden. Für ihn sei etwa in Sachen Asyl, Steuerbetrug oder Klimaschutz klar, dass es mehr Europa
brauche. "Der Klimawandel wird weder in Österreich alleine versursacht noch liegt hier alleine die Lösung",
so Krainer, diese Herausforderungen seien nur international zu lösen.
NEOS haben "große Sorge" und werben für das europäische Miteinander
Starke Zweifel an der proeuropäischen Ausrichtung der Regierung kamen ebenfalls von den NEOS. Klubchef Matthias
Strolz rief dazu auf, das europäische Miteinander zu kultivieren, andernfalls werde Europa Frieden, Wohlstand
und Lebensqualität verlieren. Er vermisst in der Union eine gemeinsame europäische Außenpolitik,
denn man "hechte jeder Krise hinterher". Was es brauche, sei eine "hochaktive Afrika-Strategie",
um den Migrationsdruck zu senken. Handlungsbedarf sieht er zudem im Kampf gegen die Steuerhinterziehung von internationalen
Großkonzernen. Neben einer europäischen Steuerbehörde braucht es für ihn eine gemeinsame europäische
Asylbehörde.
NEOS-Abgeordnete Claudia Gamon kritisierte das Ausbleiben von inhaltlichen Scherpunkten während des österreichischen
Ratsvorsitzes. Das einzige Top-Thema bleibe die Subsidiarität. Diese sei allerdings bereits ein wichtiger
Bestandteil des Vertrags von Lissabon, man müsse sie nicht erfinden, nur beleben. "Das ist zu wenig",
so Gamon.
Liste Pilz warnt vor Nationalismus, Protektionismus und Abschottung innerhalb der EU
Vor dem Hintergrund des zunehmenden Zuspruchs für konservative und rechte Parteien bei den letzten Wahlen
in Europa warnte Alma Zadic (LISTE PILZ) vor Nationalismus, Protektionismus und der Abschottung innerhalb der EU.
Während voriges Jahr Pläne zur Errichtung einer Mauer zu Mexiko von US-Präsident Donald Trump noch
belächelt wurden, habe Europa zeitgleich tausende Kilometer an Stacheldraht aufgestellt. "So sieht keine
Lösung für eine globale Migrationskrise aus", kritisierte sie, auf globale Probleme gebe es nur
globale Antworten. Die Überforderung der EU während der Flüchtlingskrise 2015 führt sie darauf
zurück, dass die Mitgliedsländer nicht zusammengespielt haben. Das Flüchtlingsthema ist für
sie "noch lange nicht vom Tisch". Handlungsbedarf sieht Zadic außerdem in der europäischen
Steuerpolitik, denn Großkonzerne würden europäische Staaten gegeneinander ausspielen.
Ihre Fraktionskollegin Martha Bißmann (LISTE PILZ) vermisst insbesondere in Sachen Umwelt- und Klimapolitik
nachhaltige Maßnahmen von Seiten der EU. Die Regierung scheint das Thema zwar am Papier ernst zu nehmen,
sie glaubt aber nicht daran, dass der EU-Vorsitz genutzt wird, um die Energiewende in Europa voranzutreiben.
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