"Wir müssen Warnungen vor wachsendem Rassismus, Antisemitismus und Fremden-feindlichkeit
sehr ernst nehmen."
Wien (apa/prk) - Dsa Internationale Auschwitz Komitee ehrt Bundespräsident Alexander Van der Bellen
im Rahmen eines Besuchs in den Arbeitsräumen in der Wiener Hofburg mit der "Statue der Erinnerung"
für seine "klare Haltung und seine deutlichen Worte". Lesen Sie hier die Rede der Staatsoberhaupts
im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Generalsekretär Christoph Heubner!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Geschätzte Gäste!
Ich freue mich sehr, Sie hier in der Hofburg willkommen heißen zu dürfen und begrüße Sie
ganz herzlich. Ich fühle mich durch die Auszeichnung, die Sie mir heute zuteilwerden lassen, außerordentlich
geehrt.
Es bedeutet mir umso mehr, als sie von so berufener Seite kommt: von Überlebenden des Nationalsozialismus.
Die „Gabe der Erinnerung“ gerade heuer zu erhalten, ist für mich auch deshalb etwas Besonderes, als das Jahr
2018 in Österreich einer großen Rückschau in die Geschichte gewidmet ist – einer Rückschau,
die das Ringen um Freiheit und Demokratie, Menschenrechte und Frieden durch die Jahrhunderte nachzeichnet.
Wir gedenken des Revolutionsjahres 1848, als um grundlegende bürgerliche Rechte und Freiheiten gekämpft
wurde;
Europa erinnert sich an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren,
und im November feiern wir den 100. Geburtstag unserer Republik.
Wir gedenken aber auch der Schattenseiten unserer Geschichte: Heuer ist es genau 80 Jahre her, dass – unweit
von hier, am Heldenplatz – Österreicherinnen und Österreicher den sogenannten „Anschluss“ an Nazideutschland
stürmisch begrüßt haben, während die Verfolgungsmaschinerie der neuen Machthaber schon in
Gang gesetzt war. Damit - und mit dem darauffolgenden Novemberpogrom wurden die dunkelsten Jahre österreichischer
Geschichte eingeläutet.
Vor 70 Jahren dann – noch unter dem Eindruck der Schrecken des Zweiten Weltkrieges – nahm die UN-Generalversammlung
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte einstimmig an.
Und schließlich erinnern wir uns der 68er-Bewegung, als die Kinder der Kriegsgeneration nach den Verstrickungen
ihrer Eltern in den Nationalsozialismus, nach Schuld und Verantwortung zu fragen begannen.
Seitdem hat Österreich schrittweise einen grundlegenden Wandel vollzogen:
Auf Jahrzehnte des Verdrängens und Vergessens folgte – endlich, muss man sagen – ein spätes Erinnern,
ein Eingestehen und Annehmen der Mitverantwortung für die im Nationalsozialismus verübten Verbrechen.
Dieser nicht immer einfache Prozess der Aufarbeitung und vor allem auch der Einsicht ist noch immer nicht abgeschlossen,
wie wir dieser Tage wieder schmerzlich erfahren mussten.
Heuer, im Gedenkjahr 2018, blickt Österreich auf diese bewegten Zeiten zurück als eine, wie ich glaube,
gereifte und starke Republik, die viel aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat.
Die Überlebenden des Holocaust, ihre Kinder und Enkelkinder, sind heute in Österreich willkommen.
Viele kommen jedes Jahr über Einladung des Jewish Welcome Service, und ich freue mich, sie hier beim mir in
der Hofburg begrüßen zu dürfen.
Mit der Einrichtung des Nationalfonds beim Parlament hat Österreich 1995 ein klares und dauerhaftes Zeichen
der Verantwortung gesetzt und viele Brücken zu Holocaust-Überlebenden in aller Welt gebaut.
Die Anerkennung und Unterstützung der Opfer sind uns heute ebenso Anliegen wie die Weitergabe der Erinnerung
an die jungen Generationen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Vor drei Tagen, am 27. Jänner, jährte sich die Befreiung von Auschwitz zum 73. Mal.
Es gibt nicht mehr viele Menschen, die die bodenlose Verzweiflung, das unsagbare Grauen der Konzentrationslager
noch selbst erlebt haben.
Nur wenige können noch davon berichten.
Wir leben heute an einer Zeitenwende, an der die Erinnerung zu verblassen droht, und mit ihr das Wissen darum,
wie zerbrechlich die Demokratie, wie dünn die Decke der Zivilisation sein kann.
Die Erhaltung der Gedenkstätte Auschwitz ist ein wichtiger Beitrag zum Bewahren der Erinnerung, den auch Österreich
mit großer Überzeugung mitträgt.
Zurzeit wird, wie Sie wissen, die österreichische Ausstellung in Auschwitz erneuert. Künftig wird sie
nicht nur von den Schicksalen der österreichischen Opfer, und vom österreichischem Widerstand erzählen,
sondern auch die Täterschaft und Mittäterschaft von Österreicherinnen und Österreichern beleuchten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Es ist mir bewusst, dass die aktuellen politischen Entwicklungen in Europa und auch hier in Österreich Besorgnis
auslösen.
Gerade Menschen, die den Aufstieg des Nationalsozialismus von seinen Anfängen, die Verschärfung des politischen
Klimas und die Hassparolen selbst miterlebt haben, sehen die Menetekel an der Wand besonders deutlich.
Wir müssen ihre Warnungen vor wachsendem Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sehr ernst nehmen.
Wladyslaw Bartoszewski, der vor drei Jahren verstorbene Ex-Außenminister Polens und Überlebender von
Auschwitz hat die „Gabe der Erinnerung“ 2011 erhalten.
2010 hat er in seiner Rede am „Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus“ im österreichischen Parlament gesagt:
„Dort, wo die Gerechtigkeit
und die Vernunft schweigen,
können Dämonen lautstark
Massen in ihren Bann ziehen.“
Geschichte kann sich wiederholen, wenn wir nicht wachsam sind, wenn wir bedenklichen Entwicklungen nicht rechtzeitig
mit Vernunft und Bestimmtheit entgegentreten.
Das aus der Geschichte so schmerzvoll Gelernte darf daher nicht wieder in Vergessenheit geraten:
Denn Werte wie Humanität, Toleranz, Freiheit und Demokratie sind auch heute, im Jahr 2018, nichts selbstverständlich
Gegebenes.
Sie müssen immer wieder neu errungen werden.
Mit dem Internationalen Auschwitz Komitee verbindet mich die tiefe Überzeugung, dass wir den jungen Generationen
– mit dem Wissen um die Vergangenheit – auch Eigenschaften wie Gerechtigkeit und Vernunft vermitteln müssen.
Denn jede neue Generation muss die Lektionen aus der Vergangenheit für sich erlernen – mit dem Verstand und
mit dem Herzen.
Deshalb werden wir – und werde ich – auch in Zukunft nicht schweigen, wenn es gilt, gegen Antisemitismus und Rassismus
aufzustehen und für eine starke, lebendige Demokratie einzutreten; wenn es gilt, dem Lärm von Demagogen
mit der klaren Stimme der Vernunft zu begegnen.
Die „Gabe der Erinnerung“, die ich heute mit Freude und Demut entgegennehme, wird mir dabei eine Begleiterin sein:
als Botschaft und Vermächtnis der Überlebenden.
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