Wien (rk) - Dem Jüdischen Museum Wien, einem Museum der Wien Holding, wurde von den Familien de Waal und
Ephrussi das Ephrussi-Familienarchiv als Schenkung überreicht. Ein Teil der berühmten Netsuke-Sammlung
der Familie – kleine japanische Keramikfiguren – wird dem Museum als Dauerleihgabe übergeben.
Zeugnisse einer außergewöhnlichen Familiengeschichte
Das Ephrussi Familienarchiv beinhaltet vor allem Familienfotos, persönliche Dokumente, Tagebücher, Korrespondenzen,
Geschenke, Schulfotos, Berichte von Theaterbesuchen und vieles mehr. Es konnte noch vor dem Zugriff der Nationalsozialisten
gerettet werden. Wie, ist nicht ganz geklärt. Wahrscheinlich ist, dass es Ignaz Ephrussi gelang, das Archiv
in einem großen Koffer 1939 von seinem Landsitz in Kövecses in der Tschechoslowakei nach England zu
senden.
Direktorin Danielle Spera betonte: „Dieses Archiv hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich Edmund de Waal für
die Geschichte seiner Familie zu interessieren begann und es ihm gelingen sollte, diese zu recherchieren und zu
beschreiben. Wir haben uns daher entschlossen, in naher Zukunft eine Ausstellung über die Familie Ephrussi
zu präsentieren, in deren Zentrum sowohl das neu erhaltene Archiv sowie die Netsukes stehen werden.“
Japanische Keramikfiguren als Dauerleihgabe
Nach dem „Anschluss“ wurden der Familie Ephrussi nicht nur ihre Einrichtungs- und Kunstgegenstände geraubt,
sie verlor auch ihr Palais am Schottentor. Die einzigen Objekte, die der Familie Ephrussi blieben, sind 264 kleine
japanische Keramikfiguren, so genannte Netsukes. Ein Teil dieser ungewöhnlichen Netsuke-Sammlung wird dem
Jüdischen Museum Wien neben dem Familienarchiv als Dauerleihgabe anvertraut.
„Mit dem Archiv der Familie Ephrussi kehrt ein wichtiges Stück Geschichte nach Wien zu-rück. Edmund de
Waal hat zu Recht auf die Verantwortung hingewiesen, die sich aus der Erinnerung ergibt. Die Stadt Wien hat sich
dieser Verantwortung stets gestellt, sei es in der Restitution, in der kontinuierlichen Förderung jüdischer
Kultur oder in der beständigen Erinne-rungsarbeit, die durch zahlreiche künstlerische Interventionen
in den Stadtraum eingeschrie-ben ist. Wie notwendig solche konkrete Erinnerungsarbeit ist, zeigen einmal mehr schockie-rende
Zitate aus ewiggestrigem Umfeld, die nicht nur diese Arbeit konterkarieren, sondern auch durch beschwichtigende
Aussagen von offizieller Seite nicht aus der Welt zu schaffen sind“, betont Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny.
„Das Jahr 2017 war mit rund 130.000 BesucherInnen das bisher erfolgreichste Jahr des Jüdischen Museums Wien.
Unser Ziel ist es, das Haus kontinuierlich aufzuwerten um BesucherInnen einen spannenden und lehrreichen Museumsbesuch
zu garantieren. Die Schenkung des Ephrussi Familienarchivs leistet hierzu einen wichtigen Beitrag, denn es stellt
eine bedeutende Bereicherung für die Sammlung des Museums dar. Wir sind daher sehr dankbar, dass die Familien
de Waal und Ephrussi durch ihre Schenkung einen Teil ihrer außergewöhnlichen Familiengeschichte für
die Öffentlichkeit zugänglich machen“, so Peter Hanke, Geschäftsführer der Wien Holding.
In seinem großartigen Buch „Der Hase mit den Bernsteinaugen“ hat Edmund de Waal die Geschichte seiner einst
zwischen Odessa, Wien und Paris verzweigten Familie beschrieben. Als Ausgangspunkt seiner Erzählung dienten
ihm die verbliebenen Netsukes, die dem Roman eine wunderbare Struktur und den einzigartigen Titel gaben.
Typoskript und archivalischer Bestand übergeben
Zusätzlich erhält das Jüdische Museum Wien auch das englische Typoskript von Elisabeth de Waals
„Exiles Return“, einem Roman der 1899 in Wien geborenen Großmutter von Edmund de Waal sowie den gesamten
archivalischen Bestand von Ignaz „Iggie“ Ephrussi.
Ignaz „Iggie“ Ephrussi, geboren 1906 in Wien, Bruder von Elisabeth de Waal und Großonkel von Edmund de Waal,
war bereits in den 1920er Jahren in die USA ausgewandert. Er arbeitete während des Zweiten Weltkriegs im amerikanischen
Geheimdienst und ging nach 1945 nach Japan. Passend zu seinem neuen Wohnort erhielt er die Sammlung der Netsukes,
die seine Eltern Ignaz und Emma Ephrussi 1870 von Charles Ephrussi als Hochzeitsgeschenk erhalten hatten. Dieser
kunstsinnige Verwandte aus den Reihen der Pariser Ephrussis hatte Marcel Proust als ein Vorbild für Swann
in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gedient.
Das Jüdisches Museum Wien dankt den Familien de Waal und Ephrussi nicht nur für die vertrauensvolle Schenkung
des Familienarchivs, sondern auch für den Erhalt eines Teils der Netsukes als Dauerleihgabe.
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