Über 1.150 Resolutionen von Gemeinden beschlossen
Wien (gemeindebund) - „Der Frust in den Gemeinden ist groß“, sagten Gemeindebund- Präsident Bgm.
Mag. Alfred Riedl und Vizepräsident LAbg. Bgm. Rupert Dworak (Präsident GVV Niederösterreich) am
12. Feber. „Wir haben Verträge mit dem Steuerzahler, dass wir nicht mehr ausgeben als wir einnehmen. Der Bund
belastet die Gemeindefinanzen aber durch die Abschaffung des Pflegeregresses ohne ausreichende Abgeltung der Mehrkosten
enorm. Wenn wir diese Verträge – Stabilitätspakt und Finanzausgleich - einhalten wollen, müssen
wir andere Ausgaben zurückstellen. Das betrifft vor allem die Ermessensausgaben bei Straßen, Kinderbetreuungsausbau
und anderen notwendigen Investitionen. Daher sind auch über die Hälfte aller Gemeinden unserer Aufforderung,
Resolutionen zu beschließen, gefolgt. Die Gemeinden erwarten sich, dass die Regierung so rasch wie möglich
eine Lösung findet“, so Riedl.
Voller Kostenersatz für die Abschaffung des Pflegeregresses
Im Juni 2017 hat der Nationalrat die Abschaffung des Pflegeregresses ohne Einbindung der Länder und Gemeinden
beschlossen. Damit können die Bundesländer seit 1. Jänner 2018 nicht mehr auf das Vermögen
von Personen, die in stationären Pflegeeinrichtungen betreut werden, zurückgreifen, um die Pflege zu
finanzieren. Gleiches gilt für das Vermögen von Angehörigen und Erben.
Die Pflegekosten müssen allerdings zu einem sehr hohen Anteil von Ländern und Gemeinden aufgebracht werden
und belasten die kommunalen Haushalte enorm. In Oberösterreich, der Steiermark – und in geringerem Ausmaß
in Kärnten – übernehmen Sozialhilfeverbände (als Gemeindeverbände organisiert) auch unmittelbar
die Leistungserbringung. In allen anderen Bundesländern müssen die Gemeinden die Pflege über die
Sozialhilfeumlagen zumindest kofinanzieren.
Die Bruttoausgaben der Länder und Gemeinden für die Langzeitpflege betragen aktuell rund 3,5 Milliarden
Euro. Rund 40 Prozent davon (etwa 1,5 Mrd. Euro) stammen aus privaten Eigenleistungen wie etwa Pensionen, Beiträge
oder Ersätze. Die Netto-Ausgaben von rund 2 Milliarden Euro teilen sich die Länder und Gemeinden nach
dem jeweiligen Sozialhilfegesetz auf, häufig 50:50.
Der Bereich der sozialen Wohlfahrt, der neben der Pflege vor allem auch die Mindestsicherung, die Jugendfürsorge
und die Behindertenhilfe umfasst, gehört seit vielen Jahren zu den am stärksten steigenden Ausgabenbereichen
in den kommunalen Budgets.
„Das Gesetz über die Abschaffung des Pflegeregresses ist „mit heißer Nadel genäht“ und wirft viele
Fragen auf. Dies kann zu jahrelanger Rechtsunsicherheit führen, wenn nicht umgehend eine Novelle erfolgt.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass sich durch die Abschaffung des Vermögensregresses der Anteil
der Menschen, die sich die Pflege selbst finanzieren, abnehmen wird und gleichzeitig Menschen schneller ins Pflegeheim
gehen, weil sie sich die Pflege zu Hause ja weitgehend selbst zahlen müssten“, betont der Sozial- und Arbeitsrechtsexperte
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal.
„Wir wehren uns nicht gegen die sozialpolitische Dimension dieser Maßnahme. Der Bund hat aber durch diese
Ho-Ruck-Aktion ohne Übergangsfristen und Begleitmaßnahmen ein funktionierendes Versorgungs- und Finanzierungssystem
über Nacht kaputt gemacht. Dass die Länder und Gemeinden nun dafür die Zeche zahlen sollen, das
sehe ich nicht ein. Die zugesagten 100 Millionen Euro werden nur einen Bruchteil der zu erwartenden Kosten abdecken
und bringen den Stabilitätspakt in Gefahr“, warnt der Gemeindebund-Chef. Die unmittelbaren Folgekosten sind
mindestens doppelt so hoch. „Darin sind aber noch nicht die Folgeeffekte wie ein größerer Andrang in
den Pflegeheimen und der daraus resultierende Ausbaubedarf eingerechnet“, so Riedl. Allein für Oberösterreich
rechnen Land und Gemeindebund mit Mehrkosten von 71 Millionen Euro. Vom Bund sind derzeit aber nur 16,7 Millionen
Euro als Kostenersatz vorgesehen.
„Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Zielvorgaben im Stabilitätspakt immer eingehalten und diszipliniert
gewirtschaftet. Das obwohl uns von Bund und Ländern bereits in der Vergangenheit Aufgaben übertragen,
aber nicht vollständig abgegolten wurden. Nun ist das Maß voll“, so Riedl und Dworak unisono. Diese
Aufgaben fallen in den sogenannten „grauen“ Finanzausgleich. So wurden die Kosten bei der Einführung des ersten
kostenlosen Pflichtkindergartenjahrs nicht vollständig abgegolten, beim Ausbau der Kleinkindbetreuung gab
es nur Anschubfinanzierungen, die Ausgaben im Bereich Gesundheit und Pflege sind enorm gestiegen, im Bereich der
ganztägigen Schulformen musste das Personal bereitgestellt werden und in allen Bereichen der Betreuung und
Pflege gab es enorme Steigerungen in den Qualitätsansprüchen. So müssen die Gemeinden beispielsweise
Zusatzkosten von rund 100 Millionen Euro jährlich alleine stemmen, wenn die Anschubfinanzierung für den
Ausbau ganztägiger Schulformen 2025 endet.
„2016 konnten wir den Stabilitätspakt noch einhalten. Für 2017 bereiten mir die ersten Rückmeldungen
eher Anlass zur Sorge“, sagt Riedl. Durch die jüngste Steuerreform sind die Ertragsanteile eher verhalten
gestiegen. Die gute Konjunktur ist daher nicht in den Gemeindebudgets angekommen. Sehr wohl angekommen sind aber
die Steigerungen bei vielen unserer Ausgaben, auf die Gemeinden keinen Einfluss haben – vor allem im Gesundheits-
und Sozialbereich. „Wollen wir 2018 ausgeglichen budgetieren, müssen wir andere Ausgaben zum Beispiel in der
Erhaltung und Modernisierung der kommunalen Infrastruktur oder beim Ausbau der Kinderbetreuung streichen. Schon
in der Finanzkrise mussten wir bei den Ermessensausgaben auf die Bremse steigen. Werden aber Straßen nicht
rechtzeitig saniert oder Investitionen in die Wasserversorgung aufgeschoben, wird es am Ende noch teurer.“
„Es war höchst an der Zeit, der Regierung zu zeigen, dass wir nicht als Ausfallshafter für jedes und
alles dienen können. Daher haben wir in den letzten Monaten auf unseren Aufruf, Resolutionen zu beschließen,
eine unglaubliche Welle an Rückmeldungen erhalten.“ Über 1.150 Gemeinden haben in den vergangenen Monaten
im Gemeinderat Resolutionen beschlossen, um die Regierung aufzufordern, die tatsächlichen Mehrkosten durch
den Wegfall des Pflegeregresses abzugelten. „Das ist ein lauter Ruf, den die Regierung nicht überhören
sollte. Wir haben mobilisiert und gezeigt, dass wir wie in der Vergangenheit mit einer Stimme sprechen. Wenn es
um die Sache geht, ist die Parteizugehörigkeit nicht wichtig“, mahnen die Gemeindebund-Spitzen. „Seit 1. Jänner
müssen die Länder und Gemeinden die steigenden Kosten tragen. Darum fordere ich die Regierung auf, sich
schnellstens um einen Ersatz der tatsächlichen Kosten zu kümmern. Denn wer anschafft, der soll auch zahlen“,
so Riedl.
Mindestsicherung: Ausgaben um 62 Prozent gestiegen
„Mit den Überlegungen, die Notstandshilfe in die Mindestsicherung zu geben, rollt gleich die nächste
Kostenlawine auf uns zu“, so Riedl verärgert. Gerade in der Mindestsicherung sind die Kosten in den letzten
Jahren explodiert. Die Zahl der Bezieher hat sich von 2012 bis 2016 um fast 40 Prozent erhöht. Die Ausgaben
sind im selben Zeitraum sogar um 62 Prozent (von 571,3 Mio. EUR auf 927,2 Mio. EUR) gewachsen. Auch hier steuern
die Gemeinden 30 bis 50 Prozent der Kosten bei.
„Ich halte den Plan der Bundesregierung, Notstandshilfe und Mindestsicherung in ein kohärentes System zu bringen,
für richtig. Folgerichtig wird daher der Aufwand für die Mindestsicherung, soweit er aus dieser Systemumstellung
resultiert, letztlich vom Bund zu tragen sein“, sagt Mazal.
Der Gemeindebund fordert daher:
Keine Beschlüsse mit hohen Kostenfolgen in der Zeit vor Wahlen
Schon 2008 wurden wenige Tage vor der Nationalratswahl Beschlüsse gefasst, die etwa 4,3 Milliarden an
Kosten verursachten. 2017 war es wieder soweit. Die Beschlüsse der letzten Nationalratssitzungen vor der Wahl
hatten Kosten von rund 800 Millionen Euro zur Folge. „Es ist positiv, dass die Regierung nun in ihrem Programm
festgeschrieben hat, solche Beschlüsse gesetzlich zu verhindern. Das sollte auch umgesetzt werden, um ähnliche
Situationen in Zukunft zu verhindern“, fordert Riedl.
Wer anschafft, soll auch zahlen
Zusätzlich entstehende Kosten, wie das Verbot des Vermögensregresses in der stationären Pflege,
wurden im Finanzausgleich nicht mitvereinbart oder gar eingerechnet. Können die Gemeinden den Stabilitätspakt
nicht einhalten, drohen Sanktionen bei Nicht-Einhaltung der Budgetziele. Der paktierte Kostendämpfungspfad
in der Pflege sieht maximale Steigerungen von 4,6 Prozent vor. In einigen Bundesländern liegen die prognostizierten
Steigerungen der Pflege und Sozialhilfekosten aber im zweistelligen Bereich. Das kann sich nicht ausgehen. Daher
fordert der Gemeindebund-Präsident ein Ende von zusätzlichen Kosten zulasten Dritter: „Die Gemeinden
haben es satt, als Ausfallshafter für den Bund zu dienen. Mit den Resolutionen haben wir bewiesen, dass wir
uns das nicht länger gefallen lassen. Der Bund muss endlich auch die finanziellen Folgen für Gesetze
tragen, die er beschließt.“
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