Exotischer Materiezustand: Wie ins
 Atom noch mehr Atome passen

 

erstellt am
26. 02. 18
13:00 MEZ

Ein neuartiger Materiezustand wurde mit TU Wien-Beteiligung nachgewiesen: Ein Elektron umkreist seinen Atomkern in großem Abstand, innerhalb dieser Bahn werden viele weitere Atome gebunden.
Houston/Wien (tu) - Was befindet sich zwischen einem Atomkern und dem Elektron, das ihn umkreist? Normalerweise nichts, doch das muss nicht so sein. Wenn der Abstand zwischen Elektron und Atomkern groß genug ist, haben dazwischen noch weitere Atome Platz. So kann ein „Riesenatom“ entstehen, das mit gewöhnlichen Atomen gefüllt ist. Gemeinsam gehen sie eine schwache Bindung ein und erzeugen damit einen neuen exotischen Materiezustand bei extrem kalten Temperaturen – man spricht von „Rydberg Polaronen“.

Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der TU Wien präsentierte diesen Materiezustand nun im Fachjournal „Physical Review Letters“. Die theoretischen Arbeiten kamen von der TU Wien und der Harvard University, das Experiment wurde an der Rice University in Houston (Texas) durchgeführt.

Ultrakalte Physik
Es sind zwei Extrembereiche der Atomphysik, die in diesem Forschungsprojekt vereint wurden: Bose-Einstein-Kondensate und Rydberg-Atome. Ein Bose-Einstein-Kondensat ist ein Materiezustand, den bestimmte Atome bei ultrakalten Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt annehmen können. Als Rydberg-Atome bezeichnet man Atome, bei denen sich ein einzelnes Elektron in einem energiereichen, hoch angeregten Zustand befindet und sehr weit vom Atomkern entfernt seine Bahn zieht.

„Der mittlere Abstand eines solchen Elektrons zu seinem Atomkern kann hunderte Nanometer betragen – das ist mehr als das Tausendfache vom Radius eines Wasserstoffatoms“, erklärt Prof. Joachim Burgdörfer. Gemeinsam mit Prof. Shuhei Yoshida (beide Institut für Theoretische Physik der TU Wien) beschäftigt er sich seit Jahren mit den Eigenschaften solcher Rydberg-Atome. Aus der langjährigen Kooperation der Wiener Forscher mit der Rice University in Houston entwickelte sich auch die Idee für das aktuelle Forschungsprojekt.

Erzeugt wurde zunächst ein Bose-Einstein-Kondensat aus Strontium-Atomen. Einem dieser Atome wurde dann mit einem Laser Energie zugeführt, um es zum Rydberg-Atom mit riesengroßem Atom-Radius zu machen. Das Verblüffende daran: Die Bahn, auf der sich das Rydberg-Elektron mit sehr geringer Geschwindigkeit bewegt, ist viel größer als der typische Abstand zwischen zwei benachbarten Atomen. Das Elektron umkreist also nicht nur den eigenen Atomkern, auch zahlreiche andere Atome liegen innerhalb seiner Bahn. Je nach Radius des Rydberg-Atoms und Dichte des Bose-Einstein-Kondensats befinden sich dort bis zu 160 weitere Strontium-Atome.

Kaum Störung durch Nachbaratome
Das Elektron des Rydberg-Atoms wird durch diese zusätzlichen Atome allerdings auf seiner großen Umlaufbahn kaum gestört. „Diese Atome sind schließlich elektrisch neutral, daher üben sie nur eine sehr geringe Kraft auf das Elektron aus“, sagt Shuhei Yoshida. In minimalem Ausmaß spürt das Elektron aber doch den Einfluss der neutralen Atome, denen es auf seiner Bahn begegnet. Es wird von ihnen ein bisschen gestreut – ohne dabei allerdings jemals seine Bahn zu verlassen. Die Quantenphysik langsamer Elektronen erlaubt solche Streuung, bei der sich am Zustand des Elektrons nichts ändert.

Wie man in Computersimulationen zeigen kann, wird durch diese verhältnismäßig schwache Wechselwirkung die Energie des Gesamtsystems verringert und so ein Bindungszustand zwischen dem Rydberg-Atom und den anderen Atomen im Inneren der Elektronen-Kreisbahn stellt sich ein. „Es ist eine sehr ungewöhnliche Situation“, sagt Shuhei Yoshida. „Normalerweise hat man es in der Atomphysik mit geladenen Atomkernen zu tun, die Elektronen an sich binden. Hier haben wir ein Elektron, das neutrale Atome bindet.“

Diese Bindung ist viel schwächer als etwa die Bindung zwischen den Atomen in einem Kristall. Daher ist dieser exotische Bindungszustand, den man als Rydberg-Polaron bezeichnet, auch nur bei extrem tiefen Temperaturen zu beobachten. Würden sich die Teilchen schneller bewegen, würde diese Bindung sofort aufbrechen. „Für uns ist dieser neue, schwach gebundene Materiezustand eine spannende Möglichkeit, die Physik ultrakalter Atome besser zu verstehen“, sagt Joachim Burgdörfer. „So kann man Eigenschaften eines Bose-Einstein-Kondensats auf sehr kleinen Skalen präzise bestimmen.“

Originalpublikation: F. Camargo et al., Phys. Rev. Lett. 120, 083401 (2018).
https://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/PhysRevLett.120.083401

 

 

 

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