Status quo und Zukunftsperspektiven
Wien (imba) - Im Rahmen von SY-Stem, einer internationalen Stammzellkonferenz, die von 22. bis 24. Februar
am Vienna BioCenter in Wien stattfindet, stellte Jürgen Knoblich, der Koordinator der Stammzellforschungs-Initiative
am IMBA, die neuen Stammzell- Forschungsgruppen sowie aktuelle Forschungsschwerpunkte und jüngste Erfolgsgeschichten
vor.
Zukunftszweig der modernen Biomedizin
Die Stammzellforschung ist eine wichtige Triebfeder für die moderne Biomedizin: Ob Krebs und andere Zivilisationskrankheiten,
seltene Erkrankungen oder neue Anwendungen für die Regenerationsmedizin– weltweit setzen WissenschaftlerInnen
auf Stammzellen, um die Ursachen von Krankheiten zu erforschen und neue Therapiemöglichkeiten zu erschließen.
Stammzellen sind die „Alleskönner“ unter den Zellen. Sie haben das Potenzial, Gewebe des menschlichen Körpers
neu zu bilden und sind somit für die regenerative und die personalisierte Medizin nicht mehr wegzudenken.
Auch als „Modellorganismus“ eröffnen Stammzellen neue ethische Dimensionen – denn dank Stammzellen, die in
der Petrischale gezüchtet werden, könnten in Zukunft Tierversuche erheblich reduziert werden.
Das IMBA genießt mittlerweile Weltruf in der Stammzellforschung. Bereits 2013 sorgte der Stammzell-Pionier
Jürgen Knoblich mit seinen Gehirn-Organoiden für eine wissenschaftliche Sensation. Die erstmals am IMBA
entwickelte Technologie wird mittlerweile weltweit angewandt und erlaubt es, neurologische Krankheiten direkt am
menschlichen Gewebe zu erforschen.
Umfangreiche Stammzellinitiative am IMBA
Seit 2016 wurde der Stammzellfokus am IMBA kontinuierlich ausgebaut. In der hauseigenen „Stem Cell Core Facility“,
werden seit 2016 iPS Zellen gezüchtet. Das sind Körperzellen, etwa aus einer Blut- oder Hautprobe, die
zu Stammzellen umprogrammiert werden. Sie sollen in Zukunft nicht nur der IMBA Stammzellforschung zugutekommen,
sondern für die gesamte österreichische Wissenschaftsgemeinde verfügbar sein.
An unterschiedlichsten Themen der Stammzellbiologie forschen mittlerweile am IMBA 7 Gruppen – Jürgen Knoblich
arbeitet an der ständigen Weiterentwicklung der Gehirnorganoide, um Krankheiten wie Epilepsie, Autismus, Schizophrenie
oder Gehirntumoren eingehender erforschen zu können. Zu einigen dieser Projekten gibt es bereits Kollaborationen
mit klinischen Partnern.
Sasha Mendjan hat sich zum Ziel gesetzt, die komplexe Entwicklung des menschlichen Herzens zu verstehen. Dazu spielt
er diese im Labor nach und lässt aus iPS Zellen Herzgewebe in der Petrischale wachsen. So möchte er die
Basis für neue Behandlungsmöglichkeiten bei Herzkreislauferkrankungen finden. Darüber hinaus will
er seine Herz-Modelle so weiterentwickeln, dass sie aus Zellen von Patienten gewonnen und zum Testen von Medikamenten
verwendet werden können.
Ulrich Elling gelang bereits 2011 ein außerordentlicher Clou, nämlich die Entwicklung einer Technologie
zur Herstellung von haploiden Stammzellen, was bis dahin nicht möglich war. Seit 2017 steht nun basierend
darauf eine Biobank für die wissenschaftliche Gemeinschaft zur Verfügung: Haplobank ist ein „Archiv der
Mutanten“, mit dem sich einzelne Gene und Wechselwirkungen zwischen Genen noch effizienter erforschen lassen.
Kikue Tachibana arbeitet an der „Mutter aller Zellen“, der befruchteten Eizelle, die als einzige Zelle die Fähigkeit
hat, einen gesamten Organismus auszubilden. Weltweit wird zurzeit intensiv danach geforscht, wie aus zwei spezialisierten
Körperzelle, nämlich Eizelle und Samenzelle, allein durch Umstrukturierung des Zellmaterials die „mächtigste
Stammzelle“ werden kann. Erst kürzlich konnte Tachibanas Team diesbezüglich wegweisende Erkenntnisse
liefern.
Nach einer internationalen Ausschreibung konnten 2017 zwei neue Stammzell-GruppenleiterInnen gewonnen werden
Noelia Urbán wechselte 2017 vom renommierten Francis Crick Institute in London ans IMBA. Im Fokus ihrer
Forschung stehen adulte Nervenstammzellen, die auch bei Erwachsenen ständig neue Nervenzellen bilden und durch
eine Reihe von Faktoren, wie etwa Bewegung, Ernährung, Stress oder Medikamente wie Psychopharmaka gesteuert
werden. Die Forscherin erhofft sich neue Einblicke in die Zusammenhänge zwischen diesen adulten Stammzellen
und neurodegenerativen Erkrankungen, Gedächtnisstörungen, sowie affektiven Störungen wie etwa Depressionen.
Bon-Kyoung Koo wurde im Oktober 2017 als Gruppenleiter ans IMBA berufen. Zuvor forschte er an der Universität
Cambridge und am niederländischen Hubrecht Institut in Utrecht. Er beschäftigt sich mit den Mechanismen
der Zellerneuerung unsere Organe. Viele unserer Organe, wie etwa Magen oder Darm, müssen stetig Zellen erneuern,
um funktionsfähig zu bleiben. Adulte Stammzellen machen dies möglich. Diese körpereigene Regeneration
wird durch komplexe molekulare Signale streng kontrolliert. Koos Forschung ist daher gerade hinsichtlich der Krebsentstehung
von Magen- und Darmkrebs sehr relevant. Auch der bis dato wenig erforschte Leberkrebs steht im Visier des Forschers.
Klinischer Nutzen, Netzwerke und Zukunftsperspektiven
Zusammen mit dem renommierten Stammzellexperten Marius Wernig, der in Stanford mittels Stammzellen an neurologischen
Erkrankungen forscht, Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck, einem Pionier der direkten Reprogrammierung
von Hautzellen in Gehirnstammzellen, sowie Martha Feucht, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie,
die an Epilepsie bei Kindern forscht, wurden Status Quo und Zukunftsperspektiven in der Stammzellforschung analysiert.
Dabei wurde insbesondere die Signifikanz der heimischen Forschung im internationalen Vergleich betont und der klinische
und gesellschaftliche Nutzen beleuchtet.
„In den letzten Jahren ist Österreich in den Blickpunkt der internationalen Forschergemeinde, gerückt,
nicht zuletzt aufgrund der Errungenschaften am IMBA. Jürgen Knoblich und sein Team haben mit den ersten Gehirn-
Organoiden echte Pionierarbeitet geleistet, und damit der Forschung an neurologischen Erkrankungen eine völlig
neue Richtung eröffnet,“ sagte der renommierte Stammzellforscher Marius Wernig, der an der Universität
Stanford mit Stammzellen an verschiedenen Nerven- und Hautkrankheiten forscht. 2016 verbrachte er einen Forschungsaufenthalt
am IMBA. „Vor allem die Infrastruktur im Bereich der Stammzelltechnologie ist im internationalen Vergleich beeindruckend
und gerade für junge WissenschaftlerInnen nicht selbstverständlich. Als Österreicher freue mich
ganz besonders, dass ein junges österreichisches Institut wie das IMBA in der Weltklasse der Stammzellforschung
mitmischt.“
Frank Edenhofer ist Professor für Genomik an der Universität Innsbruck und arbeitet an zellbiologischen
Grundlagen von Stammzellen und deren biomedizinische Anwendung. Er setzt sich intensiv dafür ein, die österreichische
Stammzell-Forschung intensiver zu vernetzen und deren Sichtbarkeit national wie international nachhaltig zu stärken.
„Das Spektrum der österreichischen Forschungslandschaft erstreckt sich von Grundlagenforschung im Bereich
der molekularen und zellulären Mechanismen, über die Modellierung von komplexen Erkrankungen wie Parkinsonsche
Erkrankung und Herzmuskelschwäche bis zur klinischen Anwendung, insbesondere im Bereich der Blut- und Haut-Stammzelltransplantation.
Deswegen ist besonders erfreulich, dass die österreichische Forschungslandschaft mit der Stammzellforschungs-Initiative
am IMBA eine neue erfolgversprechende Komponente erhält,“ so Edenhofer.
Auch die klinische Forschung setzt große Hoffnungen auf die Stammzellforschung. „Ich bin täglich mit
dem Leiden von Kindern mit schweren neurologischen Problemen wie Epilepsien konfrontiert, die mit dem aktuellen
Wissen oft nur schwer oder gar nicht behandelbar sind. Nach langem „Forschungsstillstand“ bei neurologischen Erkrankungen
–mangels geeigneter Krankheitsmodelle – eröffnen die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Organoide
neue Möglichkeiten. Konkret laufen zurzeit zwei Studien in Zusammenarbeit mit Jürgen Knoblichs Team am
IMBA, um die Ursachen von zwei genetisch verursachten Gehirnkrankheiten mit Organoiden zu erforschen, die sehr
schwere Symptome bei Kindern verursachen,“ sagte Martha Feucht, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie,
und Leiterin der Ambulanz für Erweiterte Epilepsiediagnostik an der Universitätsklinik für Kinder-
und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien
Stammzellen im öffentlichen Dialog
Auch im Bereich Bewusstseinsbildung und gesellschaftlicher Dialog sind Stammzellen am IMBA ein Thema. Bereits
2017 initiierten ForscherInnen rund um Jürgen Knoblich das erste Bioethik Symposium am Vienna BioCenter, das
sich der Stammzell-Thematik widmete. Am 16. März beteiligt sich IMBA auch am UniStem Day. Ziel des internationalen
„Stammzell-Tages“ ist es, Wissen über den aktuellen Stand, die Entwicklung und das Potenzial der Stammzellforschung
Schülerinnen und Schülern anzubieten. Der UniStem Day möchte Neugierde fördern, Fragen vertiefen
und Fakten vermitteln.
„Die moderne Biologie orientiert sich immer mehr in Richtung Medizin – und Stammzellforschung ist dabei eine wichtige
Triebfeder. Innerhalb von wenigen Jahren hat diese neue Technologie die Forschung geradezu revolutioniert und eröffnet
neue Möglichkeiten für eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten. Wir freuen uns, dass in Österreich
die Signifikanz von Stammzellforschung für Forschung und Gesellschaft erkannt und dementsprechend bewertet
wird, und dass wir dieses Zukunftsfeld für die Medizin am IMBA mitgestalten dürfen,“ sagte Jürgen
Knoblich.
Über IMBA
Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie gehört zu den führenden biomedizinischen Forschungsinstituten
in Europa. Im Fokus stehen medizinisch relevante Fragestellungen aus den Bereichen Stammzellbiologie,RNA-Biologie,
Molekulare Krankheitsmodelle und Genetik. Das Institut befindet sich am Vienna Biocenter, einem dynamischen Konglomerat
aus Universitäten, akademischer Forschung und Biotechnologie-Unternehmen. Das IMBA ist ein Institut der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften, der führenden Trägerin außeruniversitärer Forschung in Österreich.
Über das Vienna Biocenter
Das Vienna BioCenter (VBC) ist einer der führender Life-Science-Standorte Europas und vereint die außergewöhnliche
Kombination aus Forschung, Lehre und Privatwirtschaft an einem Campus: 1.700 MitarbeiterInnen, 1.300 StudentInnen,
88 Forschungsgruppen und 18 Biotech-Unternehmen. WissenschaftlerInnen aus 69 Nationen schaffen ein hochdynamisches
Umfeld auf internationalem Top-Niveau.
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