DNA gibt die Auswirkungen des "Glockenbecher-Phänomens" auf Menschen der Urgeschichte
preis
Wien (universität) - Anhand der Verbreitung von Artefakten versuchen WissenschafterInnen Wanderungsbewegungen
unserer Vorfahren zu ermitteln. In der größten Untersuchung von alter DNA, die jemals durchgeführt
wurde, enthüllte ein internationales Team mit dem Anthropologen Ron Pinhasi von der Universität Wien
die komplexe Geschichte hinter den bestimmenden Zeitaltern der europäischen Urgeschichte. Die WissenschafterInnen
konnten zeigen, dass die großräumige Verbreitung des "Glockenbecherphänomens" am Übergang
zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit sowohl durch die Weitergabe von Ideen als auch durch Migration erfolgte.
Die Studie dazu erscheint aktuell am Cover der Fachzeitschrift Nature.
Im Übergang zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit vor 4.700 – 4.400 Jahren verbreitete sich ein neuer glockenförmiger
Töpferstil in West- und Mitteleuropa. Seit über einem Jahrhundert versuchen Archäologen herauszufinden,
ob die Ausbreitung der Glockenbecher mit einer großen Völkerwanderung einherging oder einfach nur der
Ausbreitung neuer Ideen geschuldet war. Ein internationales Team aus WissenschafterInnen, in dem Ron Pinhasi und
sein Team vom Department für Anthropologie der Universität Wien eine zentrale Rolle eingenommen haben,
hat die DNA von 400 urgeschichtlichen Skeletten aus Fundstätten in ganz Europa analysiert und herausgefunden,
dass sich Glockenbecher zwischen der iberischen Halbinsel und Mitteleuropa ohne bedeutende Völkerbewegungen
verbreiteten – und damit beide bislang erforschten Theorien zutreffen.
So belegt die Studie einerseits, dass sich die Glockenbecherkeramik zwischen Mitteleuropa und der iberischen Halbinsel
zunächst ohne nennenswerte Migration von Menschen ausweitete. "Die DNA von Skeletten von Glockenbecher-Begräbnisstätten
auf der iberischen Halbinsel ähnelte jener von mitteleuropäischen Skeletten nicht allzu sehr", erklärt
Iñigo Olalde, Genetiker an der Harvard Medical School und Erstautor der Studie. "Das ist das erste
gute Beispiel durch uralte DNA, das zeigt, dass Gefäße nicht immer mit Menschen mitwandern", sagt
der Genetiker und Koautor David Reich.
In andere Regionen gelangte die Glockenbecherkeramik dagegen durch Migration. Dieses Muster zeigt sich am deutlichsten
in Großbritannien. Dort konnten 155 Proben nachgewiesen werden, die zwischen 6.000 und 3.000 Jahre alt sind.
Die Skelettüberreste besitzen dabei ein ganz anderes DNA-Profil im Vergleich zu jenen der Individuen, die
kurz zuvor dort lebten. Zumindest 90 Prozent der britischen Ahnen wurden daher von einer kontinentalen Bevölkerungsgruppe
verdrängt.
Die erfolgreiche Analyse derart vieler Proben wurde auch durch zwei neu eingeführte Methoden ermöglicht.
Eine Methode erlaubt den ForscherInnen, sich auf die Sequenzierung des für die Analyse am nützlichsten
winzigen Genomausschnitts zu konzentrieren. Pinhasi erklärt: "Die Erkenntnis, dass der DNA-Gehalt im
Felsenbein viel höher ist als in anderen Teilen des Skeletts ist enorm nützlich. Das ermöglicht
die regelmäßige Gewinnung von hochwertigen Daten aus dem Großteil der analysierten Skelette"
Reich erklärt abschließend: "Erstmals arbeiten wir mit Stichprobengrößen, die jenen
von genetischen Studien der heutigen Menschen annähernd entsprechen. Diese Daten ändern die Fragestellungen,
die wir uns über die Vergangenheit stellen können, maßgeblich."
Die Untersuchung wurde von einem internationalen Team aus 144 ArchäologInnen und GenetikerInnen von Institutionen
in Europa und den USA durchgeführt.
Publikation in Nature: David Reich, Ron
Pinhasi, Wolgang Haak, et al.: The genomic history of southeastern Europe. In Nature. DOI: 10.1038/nature25778
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