Podiumsdiskussion im Parlament über neue Umgangsformen für neue Arbeitsformen
Wien (pk) - Digitalisierung und ihre sozialen Auswirkungen ist das Schwerpunktthema von Bundesratspräsident
Reinhard Todt für seinen Vorsitz in der Länderkammer. Auf Einladung von Todt stand am Abend des 19. Feber
das Thema "Digitale Arbeitswelt gestalten. Neue Umgangsformen für neue Arbeitsformen" im Zentrum
einer umfassenden Podiumsdiskussion im Parlament.
"Es ist mir ein Anliegen, in der heutigen Diskussion mit Expertinnen und Experten Lösungsansätze
für einen sozial verträglichen Umgang mit neuen Formen von Arbeit, Unternehmerschaft und Dienstverhältnissen
zu finden", betonte der Bundesratspräsident zur Begrüßung. Phänomene wie Uber, Foodora
und Co. stellen den Arbeitsmarkt, den Gesetzgeber und die Gesellschaft zunehmend vor neue Herausforderungen, so
Todt. Die Leistungsbereitschaft der ArbeitnehmerInnen gehe dabei klar in Richtung Selbstausbeutung. Vom Fortschritt
der Technik und der Digitalisierung sollten aber alle Menschen etwas haben, nicht nur wenige Profiteure, gab der
Vorsitzende der Länderkammer zu bedenken. Oberste Aufgabe der Politik müsse es darüber hinaus sein,
den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern und zu stärken, etwa auch damit, genügend sichere
Arbeitsplätze zu schaffen.
Am Podium diskutierten die ExpertInnen Rolf Gleißner (stv. Leiter für Sozialpolitik und Gesundheit,
WKO), Sylvia Kuba (Crowdwork-Expertin der AK Wien), Martin Risak (Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Universität
Wien) und Eva Wohlfarter (ehemalige Fahrradkurierin bei Foodora, Linguistin, stadtstreunen.at). Moderiert wurde
die Diskussion von Lara Hagen (Redakteurin Chronik, Der Standard).
Gleißner: Kein Grund für Angst vor technologischem Wandel
Historisch gesehen gab es immer schon Angst vor technologischem Wandel, sagte der stellverstretende Leiter für
Sozialpolitik und Gesundheit der WKO, Rolf Gleißner. Dafür sieht er derzeit allerdings keinen Grund,
denn in Österreich seien langfristig gesehen immer Jobs dazugekommen, wenn auch nicht in allen Sektoren. Prekäre
Beschäftigung ist aus seiner Sicht ein Schlagwort, das nicht überstrapaziert werden sollte – Teilzeitarbeit
habe zwar zugenommen, nicht aber prekäre Arbeitsverhältnisse als solche. Einer arbeitsrechtlichen Regulierung
für Ein-Personen-Unternehmen kann Gleißner insofern nichts abgewinnen, als diese sich selbst mehrheitlich
als Selbständige fühlen und diesen Status auch schätzen. Am Arbeitsmarkt finde zudem ein Aufschwung
statt, so der Vertreter der WKO, derzeit könne er nicht erkennen, dass sich dadurch soziale Probleme ergeben.
Auch die Arbeitszeit sinke mit mehr Teilzeitarbeit und weniger Überstunden permanent. Arbeitszeitflexibilisierung
werde kundenseitig auch den Unternehmen auferlegt, diese sei eine Notwendigkeit und Österreich habe hier Nachholbedarf
im internationalen Vergleich, unterstrich Gleißner. Umgekehrt kann er, im Sinne der Wertschöpfung in
Österreich, neuen Regelungen für Arbeitsplattformen nichts abgewinnen - es brauche aber einen fairen
Wettbewerb zwischen der "old and new economy". Österreich als wettbewerbsfähigen Standort zu
erhalten, stellt für ihn die beste Absicherung gegen Globalisierung dar.
Kuba: Hart erkämpfte Rechte wie das Arbeitsrecht schützen und ausbauen
Im letzten Jahrhundert sei zwar kein Anstieg der Arbeitslosigkeit aufgrund von Fortschritt festzumachen, sagte
die Crowdwork-Expertin der AK Wien, Sylvia Kuba, zur historischen Dimension. Zugleich haben sich aber auch die
Arbeitsbedingungen gesamtgesellschaftlich positiv verändert. Es gelte hier auch weiterhin, das große
Ganze im Auge zu behalten und etwa über Arbeitszeitverkürzung und Gewinnbeteiligung nachzudenken, auch
sei Flexibilität entsprechend zu entlohnen. Speziell in den Sektoren, die gefährdet sind, müsse
die berufliche Weiterbildung unterstützt werden. Ein Schlüsselproblem ist für Kuba das Verschwimmen
der Grenze zwischen selbständig und unselbständig. Was Crowdworking-Arbeitsplattformen betrifft, wo oft
nur sehr kleine Aufgaben beauftragt und Arbeitsverträge per Mouseclick abgeschlossen und wieder aufgelöst
werden, sieht sie massiven Bedarf an neuen Regelungen. Hier würden die Grundfesten des Arbeitsrechts berührt.
Aber auch in der Breite passiere mit technischen Mitteln wie Tablets oder Smartphones ein Kontrolldruck und etwa
eine verstärkte Taktung von Dienstleistung oder auch sozialer Arbeit. Hart erkämpfte Rechte wie das Arbeitsrecht
müssen geschützt und ausgebaut werden, und von den großartigen technischen Fortschritten die breite
Masse, und nicht nur Eliten, profitieren, so die Expertin der AK Wien.
Risak: Weiterentwicklung auf frühere Erfahrungen aufsetzen
Digitalisierung ist kein singuläres Phänomen, betonte der Experte vom Institut für Arbeits- und
Sozialrecht der Universität Wien, Martin Risak, sondern werde verstärkt und beeinflusst durch parallele
Entwicklungen. So setze die Globalisierung unterschiedliche Arbeitsmärkte unter Druck, Faktoren seien aber
auch der demographische Wandel und ein Wertewandel hinsichtlich kollektiver Identität. Etwa für EPUs
fehlt Risak ein Arbeitsrecht, da diese dem typischen Bild der Selbständigen nicht mehr entsprechen. Aber auch
an eine kollektive Interessenvertretung sei hier zu denken. Der Arbeits- und Sozialrechtsexperte attestiert etwa
schon in der Entwicklung zur Arbeitskräfteüberlassung eine Risikoverschiebung und eine Abkehr von Grundfesten
des Wohlfahrtsstaates. Crowdworking-Plattformen sieht er als eine Weiterentwicklung dieses Modells unter Nutzung
neuer Technologien, etwa mit Ratingsystemen und Kontrollelementen, die sich unmittelbar auf zukünftige Jobchancen
auswirken und ein massives Abhängigkeitsverhältnis erzeugen. Hier seien Überlegungen anzustellen,
zumindest auf die bisherigen Regulierungen zur Arbeitskräfteüberlassung aufzubauen. Sowohl global als
auch innerstaatlich sollte man in der Solidarisierung aus der Vergangenheit lernen, unterstrich Risak und führte
als Beispiel dafür das Heimarbeitsgesetz aus dem Jahr 1990 an. Grundsätzlich gebe es in früheren
Entwicklungen Ansatzpunkte, wie in der Vergangenheit Lösungen gefunden wurden. Es habe sich bewährt,
hier aufzusetzen.
Wohlfarter: Mehr Dienstverhältnisse, die Sicherheiten bieten
Eva Wohlfarter berichtete als ehemalige Fahrradkurierin bei Foodora über ihre Erfahrungen in der Mitarbeit
als Fahrrad-Zustellerin. In ihrer Situation während des Studienabschlusses sei ihr die Flexibilität als
freie Dienstnehmerin zugutegekommen. Wenngleich sich der Job – gesteuert über eine App – in eine Reihe an
prekären Dienstverhältnissen, etwa auch an Universitäten, einreiht, gebe es dabei auch eine Art
"Coolness-"Faktor – etwa die Fitness durch das oft intensive Radfahren in der Zustellung. Zu diesem Lebensabschnitt
habe für sie das Arbeitsverhältnis gepasst, auf Dauer sollte es jedoch mehr Dienstverhältnisse geben,
die auch Sicherheiten wie regelmäßige Bezüge und Sozialleistungen umfassen.
Über diese Podiumsdiskussion hinaus lädt Bundesratspräsident Todt bis 15. April 2018 unter http://www.digitalerwandel.at alle Interessierten ein, sich an einer Online-Diskussion zum
Thema "Digitale Zukunft sozial gerecht gestalten" zu beteiligen.
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