Gegen Nächstenliebe, die andere ausschließt – Im Interesse der Freiheit eigene Grenzen
überschreiten
Wien (epdÖ) – „Bei allen politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, bei allen religiösen
Unterschieden, bei aller Vielfalt, in der wir leben, ist es wichtig, das Verbindende in den Vordergrund zu stellen
und zu sagen: Die Humanität ist es, die uns gemeinsam verpflichtet, und für die Humanität gerade
dort einzutreten, wo sie bedroht ist – das ist unser gemeinsamer Auftrag.“ Zum Gedenken an den so genannten Anschluss
Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland vor 80 Jahren erinnert der evangelisch-lutherische Bischof
Michael Bünker an den Wert der Demokratie in einer pluralen Gesellschaft. Die Geschichte zeige, dass es in
einer Demokratie notwendig sei, „im Interesse der Freiheit auch die eigenen weltanschaulichen Lager und Grenzen
ein Stück weit zu überschreiten und Verbindungen einzugehen“. Nur wenn in Österreich Brücken
zwischen den ideologischen Polen bestanden hätten, wäre der „Aggressivität des Nationalsozialismus
etwas entgegenzusetzen gewesen“.
Erinnerung an die vielen, die unsichtbar blieben
Bünker erinnert auch an die vielen, die sich in jenen Märztagen des Jahres 1938 nicht gezeigt hätten,
obwohl sie nicht mit der nationalsozialistischen Machtübernahme einverstanden waren. „Die Hunderttausende,
die Adolf Hitler zugejubelt haben, waren die eine, sichtbare Seite. Unsichtbar geblieben sind all jene, die sich
schon auf der Flucht befunden haben, zur Flucht entschlossen waren, die womöglich in den Freitod gegangen
sind wie Egon Friedell und andere; und die, die einfach abwartend zugeschaut haben, vielleicht auch in innerer
Abwehr, aber es nicht mehr nach außen zeigen konnten.“ Die Erinnerung an die Ereignisse von damals sei wichtig,
um zu sehen, mit „wie wenig Entschlossenheit und Selbstgewissheit im damaligen Österreich“ die politischen
Kräfte, aber auch die Kirchen auf den Nationalsozialismus reagiert hätten.
Jeder Mensch mit unantastbarer Würde gesegnet
„Wir sehen es am Beispiel der Evangelischen Kirche“, so Bünker, „dass sich in den damaligen Jahren eine gefährliche
Irrlehre breitgemacht hat. Sie war besonders durch Antisemitismus gekennzeichnet.“ Gegen ein Verständnis von
Nächstenliebe, die nur das eigene Volk mit einbeziehe und „die anderen“ ausschließe, gelte es auch heute
aufzutreten „im persönlichen Umgang, in der Familie, unter den Kollegen am Arbeitsplatz, in der Straßenbahn,
wo immer es notwendig ist“. Christliche Haltung müsse davon ausgehen, dass jeder Mensch von Gott mit unantastbarer
Würde gesegnet sei, „die völlig unbestritten und ohne jeden Zweifel bewahrt bleiben muss“.
In der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 waren nationalsozialistische Truppen in Österreich einmarschiert
und wurden großteils begeistert empfangen. Am 13. März trat das Gesetz über den „Anschluss“ in
Kraft. Bei einer Volksabstimmung am 10. April stimmten nach amtlichen Angaben 99,73 Prozent der ÖsterreicherInnen
für die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich.
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