Kardinal bei Pressegespräch in Sarajewo: Schritt aus der Isolation nötig - Bosnischer
Islam wäre für Islam in Europa "wichtiger Partner"
Sarajewo/Wien (kap) - Für die politische und wirtschaftliche Zukunft von Bosnien und Herzegowina, jedoch
auch für das Miteinander der Religionen in Europa wäre ein Beitritt des Landes zur Europäischen
Union "sicher ein guter Schritt": Das hat Kardinal Christoph Schönborn am 7. März bei einem
Pressegespräch in Sarajewo, Ort der noch bis Donnerstag andauernden Frühjahrsvollversammlung der österreichischen
Bischofskonferenz, gesagt. Die EU sei von den meisten Verantwortungsträgern des Landes, mit denen die Bischöfe
bisher gesprochen haben, als Hoffnung und Schritt aus der Isolation heraus bezeichnet worden. In dem Land könne
es nicht schlechter werden als es schon ist, so der Tenor der Bevölkerung.
Auch für die restlichen EU-Länder würde ein solcher Schritt Vorteile bringen, gehörten doch
etwa die im Balkankrieg nach Österreich gekommenen Menschen aus Bosnien und Herzegowina zu den "bestintegrierten
Flüchtlingen", hob Schönborn hervor. Viele aus dieser Gruppe seien Muslime und lebten nun in Österreich
in großer Freiheit ihre islamische Identität. Der Islam in Bosnien und Herzegowina habe "ein europäisches
Gesicht" und wäre deshalb auch für den Islam in Europa ein wichtiger Partner, so der Wiener Erzbischof.
Seitens der muslimischen Glaubensgemeinschaft vor Ort arbeite man darauf hin, "den eigenen Weg des bosniakischen
Islam" beizubehalten. Nicht zuletzt deshalb, da es wohl auch Einflüsse eines radikalen Islam gebe, den
man jedoch nicht wünsche, berichtete Schönborn über ein Gespräch mit Reis ul-ulema Husein Kavazovic,
dem Oberhaupt der bosnischen Muslime. Dieser habe weiterhin die Oberhoheit über Lehrerlaubnisse von muslimischen
Religionslehrern und Imamen, zudem bestehe in Sarajewo eine Zusammenarbeit zwischen der islamisch-theologischen
und der katholisch-theologischen Fakultät.
Mit einer tragischen Situation seien jedoch die Katholiken von Bosnien und Herzegowina konfrontiert, erklärte
Schönborn: Sie seien aus vielen einstmals mehrheitlich katholischen Gebieten durch ethnische Säuberungsaktionen,
Flucht und Auswanderung verschwunden. Als Beispiel nannte der Kardinal die Region um Banja Luka, wo kaum mehr Chancen
auf eine mögliche Rückkehr bestünden. "Dieser Aderlass der Katholiken in Bosnien und Herzegowina
ist ein großer Schmerz für die katholische Kirche", betonte Schönborn. Die nach dem Krieg
entstandene Situation zwischen den einzelnen Volksgruppen sei sehr komplex und erfordere äußerst behutsamen
Umgang, so der Erzbischof auch in Richtung österreichischer Politiker.
Nationalismus ein "Irrweg"
In Sarajewo schwanke die Lage "zwischen Hoffnung und Resignation", so der Eindruck des Kardinals von
seinem bislang dritten Besuch in der bosnischen Hauptstadt. In der einst als Modell für das Zusammenleben
unterschiedlichster Religionen und Kulturen geltenden Stadt habe durch den Zerfall Jugoslawiens, den Krieg und
die "grundfalsche Politik" auf Seiten der Großmächte "ein Prozess des Auseinander-Dividierens
begonnen, der äußerst blutig, opferreich und zerstörerisch gewesen ist".
Der Nationalismus und die ethnischen Säuberungen seien ein "Irrweg", der in Europa nur Übel
angerichtet habe, der aber dennoch immer wieder beschritten werde, sagte der Wiener Erzbischof. "Man glaubt,
Konflikte lösen zu können, indem man die Bevölkerung fein säuberlich aufteilt und segregiert,
für jede sprachliche, religiöse, kulturelle bzw. nationale Gruppe eine eigenen Entität schafft."
Dies könne jedoch nicht funktionieren - "da Menschen dazu geschaffen sind, miteinander zu leben, und
da die Menschheit nie 'monocolor' funktioniert hat". Es gehöre zum "Wesen des Menschen, dass er
sich in einer pluralen Gesellschaft vergesellschaftet".
Unter dem Status Quo hätten die Menschen in Bosnien enorm zu leiden. Dringend benötigt werde ein wirtschaftlicher
Aufschwung, der aber ein "Entfalten einer pluralen Gesellschaft in Kreativität" benötige. Da
dies nicht der Fall sei, sähen die jungen Menschen keine Zukunft für sich mehr vor Ort. Schönborn:
"Sarajewo ist das Symbol einer einstmals gelungenen Integration und einer tragisch versuchten Segregation."
Das gegenseitige Vertrauen, das der Krieg verletzt habe, müsse nun wieder aufgebaut werden, sagte Schönborn.
Derzeit gebe es in Bosnien zwar den um Religionsdialog bemühten "Rat der Religionen", das einstige
selbstverständliche Zusammenleben sei jedoch verschwunden. "Wenn Nachbarn einfach selbstverständlich
Nachbarn sind, mit und trotz ihrer verschiedenen Religionen, dann ist interreligiöser Dialog nicht notwendig,
sondern er ist Realität." Dass man den Religionsdialog erst groß thematisieren müsse, sei
ein Anzeichen dafür, dass es sich nicht um eine lebendige, gut interkulturell und interreligiös ausgestattete
Gesellschaft handle, so der Erzbischof.
Medjugorje nur Randthema
Die Frage nach einer offiziellen päpstlichen Anerkennung des im Südwesten von Bosnien und Herzegowina
gelegenen Marienwallfahrtsortes Medjugorje war laut Schönborn nur am Rande Gesprächsthema unter den Bischöfen.
"Wann und Wie es dazu von Rom eine offizielle Erklärung geben wird, weiß ich nicht - das liegt
ausschließlich beim Papst", führte Schönborn aus. Er sei schließlich "kein Prophet",
aber er wisse, dass der Schlussbericht der noch unter Papst Benedikt XVI. eingesetzten Kommission zu Medjugorje
"grundsätzlich positiv zu den Ereignissen und vor allem zu den Früchten von Medjugorje" ausgefallen
sei. Auch Papst Franziskus stehe dem Wallfahrtsort "und vor allem den Früchten von Medjugorje" positiv
gegenüber - auch wenn er sich "etwas zurückhaltend und humorvoll" zur Frage der Erscheinungen
geäußert habe.
Zuletzt hatte Papst Franziskus Erzbischof Henryk Hoser als Sondergesandten nach Medjugorje entsandt. In einem Interview
hatte Hoser Ende vergangenen Jahres gemutmaßt, es könnten die ersten sieben Erscheinungen aus dem Jahr
1981 offiziell kirchlich anerkannt werden. Eine Entscheidung des Papstes steht indes weiterhin aus.
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