Bundesrat erörtert Vorbereitungen für die österreichische EU-Präsidentschaft
Brüssel/Wien (pk) – Die Schwerpunkte des österreichischen EU-Ratsvorsitzes im 2. Halbjahr 2018
debattierte der Bundesrat am 15. März in einer Aktuellen Aussprache mit EU-Minister Gernot Blümel. "Ein
Europa, das schützt" sei das Motto der Ratspräsidentschaft, hielt Blüml fest. Österreich
wolle an einer EU mitarbeiten, die auf große Themen wie Außengrenzschutz fokussiert, den Mitgliedsländern
aber mehr Selbstbestimmung zu lässt.
Während die BundesrätInnen von ÖVP und FPÖ die Schwerpunktsetzung im Sinne der Subsidiarität
als richtungsweisend für mehr Sicherheit und Wohlstand in Europa würdigten, vermissen die SPÖ –
MandatarInnen der Länderkammer vor allem Arbeiten an einer sozialpolitischen Union. Für die Grünen
VertreterInnen im Bundesrat fehlt überdies der Klimaschutz als entscheidender Faktor für globale Stabilität
im Ratsprogramm der Regierung. In weiterer Folge diskutierte der Bundesrat den EU-Vorhabensbericht des Bundeskanzleramts
und nahm ihn mehrheitlich zur Kenntnis.
Zu Beginn der Sitzung gelobte Bundesratspräsident Reinhard Todt den Salzburger Sozialdemokraten Michael Wanner
als neuen Bundesrat an. Wanner folgt auf Bundesrätin Susanne Kurz (SPÖ/S), die ihr Mandat infolge der
laufenden Ermittlungen gegen sie zurückgelegt hat. Ansonsten tagte der Bundesrat noch in alter Zusammensetzung
– die durch die Landtagswahlen bewirkten Mandatsverschiebungen werden erst in den nächsten Wochen wirksam.
Regierung sieht Ratspräsidentschaft als Chance für mehr Subsidiarität
Bundesminister Blümel unterstrich, die Ratspräsidentschaft bilde eine große Chance, Vertrauen in
Europa aufzubauen. Die Regierung wolle mit dem Motto "Ein Europa das schützt" einen professionellen
Vorsitz leisten, getragen vom Prinzip der Subsidiarität gemäß aktuellem Weißbuch der EU-Kommission
zur Weiterentwicklung der Union. Die Präsidentschaft werde thematisch auf drei Säulen ruhen, führte
der Kanzleramtsminister aus: Migration und Sicherheit, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit sowie Stabilität
in der Nachbarschaft. Immerhin sei ganz Europa infolge der Migrationsströme politisch verändert worden,
erklärte Blümel die Schwerpunktsetzung. Das Ziel des ökonomischen Wachstums verband er mit der Vorgabe,
in den Mitgliedstaaten auf einen ausgeglichenen Haushalt zu achten, da ansonsten Entwicklungen wie im hochverschuldeten
Griechenland drohten. Die stabile Nachbarschaftspolitik der EU will die Regierung vor allem in Richtung Westbalkan
ausgerichtet wissen, sodass den dortigen Ländern weiterhin eine EU-Beitrittsperspektive geboten wird.
Die Vorbereitungen für die Ratspräsidentschaft laufen Blümel zufolge auf Hochtouren, auch in organisatorischer
Hinsicht. In den Bundesländern plane die Regierung eine Reihe informeller Räte, am 20. September tagt
der Europäische Rat in Salzburg. Viele der ungefähr 90 EU-Dossiers, die heuer zur Beschlussfassung vorliegen,
seien noch bis Ende des Jahres, also vor den kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament 2019, abzuarbeiten.
Zum voraussichtlichen Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU, dem Brexit, meinte der Minister,
die beste Option wäre ein Verbleib der Briten. Im Falle ihres Ausstiegs gelte es, die Nachteile für beide
Seiten zu minimieren. Entscheidend sei jedenfalls, dass die EU-27 eine harte Verhandlungsposition gegenüber
Großbritannien beibehalten. Nicht allzu erfreulich gestalten sich laut Blümel die laufenden Verhandlungen
zum mehrjährigen Finanzrahmen. Er monierte Bestrebungen der Europäischen Kommission, die auf eine Vergrößerung
des Budgets hindeuten, obwohl eine verantwortungsvolle Budgetplanung aber stärker auf die vorhandenen Einnahmen
und Ausgaben achten sollte, wie er festhielt.
ÖVP begrüßt Kampf gegen illegale Migration
Bundesrat Edgar Mayr (ÖVP/V) betonte die klare pro-europäische Haltung der Regierung, die sich auch
in ihrem Programm wiederfinde. Der Ratsschwerpunkt Kampf gegen illegale Migration beziehungsweise mehr Sicherheit
in Europa seien von höchster Bedeutung für die EU-Mitgliedstaaten, ebenso wie der Brexit und das kommende
EU-Budget. Der anstehende EU-Austritt des Vereinigten Königreichs biete in budgetärer Hinsicht die Gelegenheit,
auf EU-Ebene Einsparungspotentiale in der kleineren Union anzudenken. Die Beiträge der Nettozahler sollten
nicht automatisch erhöht werden. Zur Sicherung des Wohlstands in Europa gehe es neben dem Ausbau der Digitalisierung
um die steuerliche Erfassung von Großkonzernen wie Facebook oder Google, skizzierte er die budgetären
Pläne der EU. Österreich wolle in allen Bereichen als Brückenbauer wirken, so der ÖVP-Bundesrat,
immer im Bewusstsein des Subsidiaritätsprinzips, das den Regionen erweiterte Mitwirkungsmöglichkeiten
gibt.
Europa dürfe nicht Fehler aus der Vergangenheit wiederholen, erinnerte Andreas Köll (ÖVP/T) bei
seiner Abschiedsrede vom Bundesrat an den Zerfall des Römischen Reichs aufgrund von unzureichendem Außengrenzschutz
und mangelnder innerer Sicherheit. Äußerer und innerer Schutz seien deswegen maßgeblich für
alle weiteren Politiken, richtete Köll den Blick auf globale Veränderungen der Jetztzeit, beispielsweise
den Arabischen Frühling und die folgenden Migrationsbewegungen. Zukunftsvisionen wie eine Sozialunion in Europa
müssten im Sinne des Sicherheitsschutzes zurückstehen.
FPÖ: Sicherheit der BürgerInnen zentral für EU-Zusammenhalt
Die Wiener FPÖ-Bundesrätin Monika Mühlwerth warnte davor, die bisherige Migrationspolitik fortzusetzen,
denn dies würde mit den Flüchtlingsströmen mehr Gewalt und Angst nach Europa bringen. Die FPÖ
sei zwar EU-kritisch, aber nie gegen Europa positioniert gewesen. Um den Zusammenhalt der Europäischen Union
als starke Bastion – auch in wirtschaftlicher Hinsicht - zu gewährleisten, sei es richtig, auf die Sicherheit
der BürgerInnen das Hauptaugenmerk zu richten, lobte sie die Regierung. Dazu gelte es, den Schutz der Außengrenzen
zu forcieren sowie die Ursachen für Migration zu beseitigen. Zum EU-Budget nach dem Brexit meinte Mühlwerth,
die Union möge den Ausfall der Zahlungen aus dem Vereinigten Königreich für Sparmaßnahmen
bei sich selbst nützen. Wichtig sei, große Herausforderungen auf EU-Ebene zu lösen, etwa die Besteuerung
von Großkonzernen, aber nicht jene Fragen, die besser innerstaatlich behandelt werden.
An oberste Stelle der EU-Präsidentschaft steht für Christoph Längle (FPÖ/V) angesichts der
Migration nach Europa die Sicherheitspolitik. Längle sprach sich hier deutlich für eine Kooperation mit
der UNO zur Sicherstellung der Menschenrechte in den Herkunftsländern von Flüchtlingen aus. Bedauernd
äußerte er sich über den Brexit, zumal dadurch ein wichtiger Wirtschaftsraum der EU wegfalle. Die
Freiheitlichen hätten sich immer für ein gemeinsames Europa ausgesprochen, jedoch stets die Subsidiarität
betont, wertete er die Maßgabe "weniger, aber effizienter" für die künftige EU-Politik
positiv.
SPÖ verlangt ein soziales Europa
Für die SPÖ sollte dagegen die soziale Dimension der EU mehr Raum erhalten. So zeigte sich Michael Lindner
aus Oberösterreich kritisch zu den Ratsvorsitzplänen, weil darin entscheidende Themen zur Zukunft einer
prosperierenden, friedlichen EU nicht entsprechend behandelt würden. Die Schwerpunktsetzung ziele auf ein
Europa der Angst und der Abschottung ab. Konkret vermisst er Maßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit und
für die Stärkung der sozialen Gemeinschaft sowie für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands in
Europa. Vorschläge gegen Steuervermeidung und Gewinnverschiebung fehlten ebenfalls. Sicherheit in Europa dürfe
nicht nur Grenzschutz bedeuten, hob Lindner hervor, sondern umfasse auch soziale Sicherheit, speziell in Hinblick
auf verlässliche Arbeitsbedingungen. Österreich solle mit seiner dualen Ausbildung als Beispiel in Europa
vorangehen. Nach dem Brexit brauche die EU einen echten Kraftakt, um Steuergerechtigkeit herzustellen und gegen
Lohn- und Sozialdumping vorzugehen, etwa mittels EU-weiten Mindeststeuersätzen sowie einer Reform der Entsenderichtlinie.
Die Souveränität der Europäischen Union will Stefan Schennach (SPÖ/W) sichergestellt sehen,
das sei eine Voraussetzung für angewandte Subsidiarität. Die EU müsse ihre Kompetenzen gegenüber
den Nationalstaaten verwirklichen können, der EuGH müsse im Stande sein, seine Urteile auch gegen einzelne
Mitgliedstaaten durchzusetzen. Eine klare soziale Dimension erachtet Schennach für den Erhalt des Freihandels
als unabdingbar, gerade in einer veränderten deregulierten Arbeitswelt.
Grüne appellieren für zukunftsweisende EU-Klimaschutzpolitik
Die Tiroler Bundesrätin von den Grünen, Nicole Schreyer, nutzte ihre letzte Rede im Bundesrat für
einen Appell, in der EU offensiv gegen Steuerflucht anzugehen, ein gemeinsames europäisches Asylrecht mit
verstärkter Zusammenarbeit zu schaffen und eine Sozialunion in Europa zu etablieren. Die Zukunft des Freihandels
sei auf der Grundlage von Umwelt- und Sozialstandards zu steuern, warf Schreyer der Regierung speziell vor, den
Klimaschutz während der Ratspräsidentschaft nicht ausreichend thematisieren zu wollen. Dabei gebe es
in diesem Bereich viel zu tun, nannte die Grüne Bundesrätin als Beispiele die Positionierung der EU bei
der nächsten UN-Klimakonferenz Ende 2018 und die Fertigstellung des EU-Energiepakets. Vehement wies sie angesichts
der neuen Aufgaben Regierungsüberlegungen zurück, künftig weniger Mittel für die EU zur Verfügung
zu stellen. Stattdessen solle die EU zusätzliche Abgaben direkt einheben, etwa eine Kerosinabgabe oder die
Finanztransaktionssteuer, wodurch nicht zuletzt die sogenannten Nettozahler-Debatte beendet wäre. Im Zusammenhang
mit dem Brexit schlug Schreyer vor, die freigewordenen britischen Mandate im EU-Parlament mit gesamteuropäischen
Listenplätzen zu füllen.
Klimaschutz habe eine globale Bedeutung für Frieden und Wohlstand, Europa dürfe davor nicht die Augen
verschließen, appellierte Heidelinde Reiter (GRÜNE/S). Sie hielt der Regierung vor, eine falsche EU-Politik
zu betreiben, wenn trotz weltweit begrenzter Ressourcen nur noch das Wirtschaftswachstum der Gemeinschaft im Vordergrund
steht. Die Beschneidung der EU-Mittel sei ein falscher Ansatz, so Reiter im Einklang mit ihrer Fraktionskollegin,
immerhin wüchsen die Aufgaben im gemeinsamen Europa an.
EU-Vorhabensbericht: Opposition kritisiert falsche Prioritätensetzung; ÖVP und FPÖ loben ehrgeiziges
Programm
Europäische Themen standen auch im Mittelpunkt des nächsten Tagesordnungspunktes. Diskutiert wurde über
den g emeinsamen Bericht des Bundeskanzlers und des Bundesministers für EU, Kunst, Kultur und Medien über
die EU-Vorhaben 2018, der mehrheitlich zur Kenntnis genommen wurde. Vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahl
im nächsten Jahr, dem Austritt Großbritanniens aus der EU und dem Auslaufen des EU-Finanzrahmens mit
2020 liegen einige wichtige Verhandlungsthemen der Union während des österreichischen EU-Ratsvorsitzes
in der zweiten Jahreshälfte bereits auf dem Tisch. Als Schwerpunkte will sich Österreich die Stärkung
der Subsidiarität sowie die Intensivierung der Beitrittsverhandlungen mit dem Westbalkan, die Migrationsproblematik,
den Schutz der EU-Außengrenzen sowie das Thema Digitalisierung vornehmen.
Elisabeth Grossmann (SPÖ/St) nutzte ihre erste Rede im Bundesrat, um einige generelle Anmerkungen zur Europapolitik
der Regierung zu machen. Ihrer Ansicht nach ist der vorliegende Bericht ziemlich entlarvend, da viele wesentliche
Punkte nicht drinnen stehen. Österreich hat die Wirtschaftskrise in den letzten Jahren deshalb so gut gemeistert,
weil es u.a. auf aktive Arbeitsmarktpolitik, auf Qualifizierungsmaßnahmen oder Jugendbeschäftigungsprogramme
gesetzt hat, urteilte die Bundesrätin. Sie verstehe daher nicht, warum der Ratsvorsitz nicht dazu genutzt
werde, um mit solchen positiven Beispielen voranzugehen. Erst gestern habe man bei der Enquete des Bundesrats gehört,
dass es in der EU über 18 Millionen arbeitslose Menschen gibt. Auch die Armutsgefährdung steige ständig
an und betreffe immer mehr "working poor", also Personen, die trotz eines Jobs kaum überleben können.
All dies berge einen enormen sozialen Sprengstoff und sollte daher von einer Regierung, die so sehr auf Sicherheit
setzt, ernster genommen werde.
Heidelinde Reiter (Grüne/S) zeigte sich skeptisch gegenüber dem neuen Subsidiaritätsmotto "weniger
tun, das aber effizienter", weil damit wohl kaum die Seele der EU wiederbelebt werden könne. Auch bleibe
der Bericht schuldig, was die Regierung konkret darunter versteht. Wenn damit nur Sparen gemeint ist, dann sei
das zu wenig. Keine klare Linie finde sich auch hinsichtlich der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion,
die grundsätzlich begrüßt wird. Wenn es aber um die Forderung nach Einrichtung eines Europäischen
Wirtschafts- und Finanzministers geht, sei man wieder kritisch. Gezögert und gezaudert werde nicht nur in
dieser Frage, sondern auch bei der entschlossenen Umsetzung des Klimavertrags oder beim Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit,
kritisierte Reiter.
Gregor Hammerl (ÖVP/St) sprach von einem ehrgeizigen und anspruchsvollen Programm, das in eine Phase fällt,
wo in der EU wesentliche Weichenstellungen vorgenommen werden. Allein der Brexit führe zu wesentlichen strukturellen
Änderungen und habe somit Auswirkungen auf die Beitrittsperspektiven für die Länder des Westbalkans.
Gleichzeitig müsse die prinzipielle Ausrichtung der EU, als größte Friedeninitiative in Europa,
gestärkt werden. Ebenso wie der ehemalige Kommissionpräsident Jacques Delors hielt es Hammerl für
wichtig, der Union eine Seele zu geben. Eine nur auf Recht und Bürokratie basierende EU könne nur zu
leicht den Rückhalt bei den BürgerInnen verlieren. Man müsse auch verhindern, dass durch Unstimmigkeiten
in wichtigen Fragen wie etwa der Migration, ein Keil zwischen die einzelnen Mitgliedstaaten getrieben wird. Deshalb
sei es so wichtig, dass Bundeskanzler Kurz einen Fokus auf die Bereiche Asyl und Zuwanderung legen will. Gleichzeitig
muss nach Meinung Hammerls der Begriff der Subsidiarität wieder neu gedacht werden. Es sei daher erfreulich,
dass unter dem österreichischen Ratsvorsitz erste Ergebnisse der im letzten November von Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker eingesetzten Taskforce für Subsidiarität, Proportionalität und "Weniger,
aber effizienteres Handeln" präsentiert werden. Zum Abschluss gebracht werden sollen auch die Verhandlungen
über die Änderung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste.
Bundesrat Peter Samt (FPÖ/St) unterstützte die Pläne innerhalb der EU, sich wieder auf die wesentlichen
Aufgaben konzentrieren zu wollen. Dies sei auch im Sinne der BürgerInnen, die nicht nachvollziehen können,
warum die Gurkenkrümmung in Brüssel geregelt werden muss. Was die Schwerpunktsetzung im Bericht betrifft,
so gab Samt zu bedenken, dass man sich in einem halben Jahr nicht allen Fragen widmen könne. Aber gerade die
Migrationsproblematik stehe in einem engen Zusammenhang mit sozialen Fragen, da eine unkontrollierte und illegale
Zuwanderung sehr viele Probleme schaffe. Es sei daher sehr wichtig, dass die österreichische Bundesregierung
in diesem Bereich Akzente setzt. Weiters befasste er sich mit den Beitrittsperspektiven für die Westbalkanstaaten
sowie der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion.
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