Wie Menschen denken und leben, so verreisen sie auch in den Urlaub – Was auf die Hotellerie
in den nächsten Jahren zukommt: Ein Vorblick nach der ITB
Wien (prodinger) - Von „Selbstoptimierung“ und „Individualisierung“ über neue Formen der Sharing Economy
bis hin zum Bedürfnis nach Entschleunigung als attraktive Angebotsidee: So richtig vielfältig sind die
neuen Herausforderungen, denen sich die heimische Hotellerie schon in naher Zukunft zu stellen hat. Dabei zeichnen
sich in den meisten Bereichen durchaus vielversprechende Geschäftsfelder ab. "Die Hotellerie darf diese
Entwicklungen nicht verschlafen. Mit Sicherheit gibt es in Zukunft Nachfrage nach Angeboten, die den neuen Trends
Rechnung tragen", erklärt Thomas Reisenzahn, Geschäftsführer der Prodinger Tourismusberatung,
anlässlich eines ITB Trend-Workshops, bei dem sich namhafte Experten mit den „Triebkräften der touristischen
Entwicklung“ befassten.
Individualisierung und Selbstoptimierung
Yoga, Chia, Laser Therapien für die Blutbahn, Elektromagnetische Wellen für eine positive Bewusstseinsveränderung
- das Geschäft mit der Selbstoptimierung brummt und ein Ende dieses Booms ist nicht abzusehen. Neben Gesundheit,
Ernährung und Wellness profitiert auch der Tourismus zunehmend vom Trend zur Selbstdarstellung. Als Folge
einer starken Individualisierung, die sich dem Wohlstandszuwachs verdankt, gibt es kaum mehr „Normalbiographien“.
Selbstbestimmung und -verwirklichung sind die Werte, die in der Gesellschaft hochgehalten werden. Aus diesem Grund
richtet sich ein immer größerer Teil des Marktgeschehens nicht mehr an herkömmlichen Standards
aus, sondern muss auf individuelle Gästebedürfnisse zugeschnitten werden.
Gegentrend zur Digitalisierung
Die Digitalisierung und die ständigen Diskussionen rund um künstliche Intelligenz führen bei vielen
Leuten zu Reizüberflutung und Stress. Diese Entwicklung erreicht heute schon einen Sättigungspunkt, an
dem entgegengesetzte Tendenzen spürbar werden. Bis zu 48 % der Gäste buchen noch immer in Reisebüros[1].
Der vorübergehende Verzicht auf permanente Verfügbar- und Erreichbarkeit wird zu einem neuen Wunsch,
die „Entschleunigung“ damit zur attraktiven Angebotsidee. Die bewussten „Offliner“ - von den Retro-Klapphandy-Telefonierern
bis zu den Käufern von Vinyl-Platten - sind Vorboten einer Sehnsucht nach „Analogität“. "Der Gegentrend
darf aber nicht als prinzipielle Abwendung von der digitalen Vernetzung verstanden werden, sondern vielmehr als
steigendes Verlangen nach einem ergänzenden Angebot an Entschleunigung, Reflexion und Privatheit", wie
Marco Riederer, Leiter Revenue Management & e-Commerce der Prodinger Tourismusberatung, betont.
„Ja“ zum Älterwerden
Bemerkenswert, so ein weiterer Aspekt der Ergebnisse des Zukunftsworkshops, sind auch die zahlreichen Initiativen,
die das Altern neu definieren. Die „neuen Alten“ bejahen das Älterwerden. Die arbeitsfreie Phase, in der die
Menschen gesundheitlich gut beisammen sind, wird immer länger. Dies bietet Raum für Selbstentfaltung
und Lebensstile, die der Hotellerie neue Kunden zuführen können. Bei den Reisen selbst wächst aber
auch die Sensibilität dafür, wie man reist. E-Mobilität und Zugreisen werden an Bedeutung gewinnen.
Die Sharing Economy führt zu neuen Formen des miteinander Agierens, wie beispielsweise im „Co-Working Space“
für den Urlaub.
Im Vormarsch sind „Mixed Use-Konzeptionen“, die auch für Ferienhotels von Interesse sind. Hotels haben meist
teure Flächen und können diese auch anderen Nutzern (Pop Up Stores, etc.) überlassen, was sich günstig
auf die „sonstigen Erträge“ auswirkt.
Digitale Fehleinschätzung
Ausdrücklich warnt Reisenzahn vor einer Fehleinschätzung der Digitalisierung. Die derzeitige Diskussion
über Digitalisierung in der Hotellerie erfasse den Kern der Thematik nicht. Seit 2017 würden sich Veranstaltungen
zu diesem Thema geradezu überschlagen. Doch wie soll man ein weitgehend jobloses Hotel in der Zukunft argumentieren,
wenn zwei Drittel der Staatseinnahmen aus dem Faktor Arbeit stammen? Sollen da wirklich Roboter das Ruder übernehmen?
Chatbots, virtuelle Sprachassistenten und smarte Hotels werden zur Hilfestellung, aber nicht zum Ersatz. Über
Digitalisierung zu sprechen sei höchstens in der Vermarktung, im Revenue Management und in Betriebsabläufen
mit einem hohen Standardisierungsgrad gut und wichtig. Angesichts der hohen Online-Anfragevolumina in Destinationen
und Tourismusverbänden ist „digitale Buchbarkeit“ dort sogar essenziell. Bei der Angebotsgestaltung an Ort
und Stelle hat Digitalisierung aber nichts verloren. Dies beweisen die „Digital Detox Hotels“ und „Hideaways zum
Abtauchen“, die inzwischen die Hotelrankings anführen. Digitale Hotels sind hingegen bei vielen Milieus eher
Hemmfaktoren denn Anreize. „Diese Milieus suchen vielmehr nach Schlüsselerlebnissen an außergewöhnlichen
Orten, um der globalen digitalen Gleichschaltung zu entkommen und sich für ein paar Tage im Einklang mit der
Natur zu fühlen“, fassen Reisenzahn und Riederer zusammen.
Die wichtigsten Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
- Der Markt für Reisen wird dynamischer und komplexer.
Gäste verhalten sich zunehmend unberechenbarer, obwohl (oder gerade weil) die Reiseplanung so einfach ist,
wie noch nie. Digitalisierung, künstliche Intelligenz und disruptive Modelle wie Airbnb verändern das
Urlaubsverhalten massiv.
- Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wird zunehmen.
Allerdings müssen in Zukunft durch den Einsatz von KI nicht nur Sehnsüchtige geweckt, sondern vielmehr
auch die individuellen Beziehungen und Handlungen des Gastes zum jeweiligen Hotel berücksichtigt werden.
Soziale Triebkräfte
- Anhaltender Zuzug der Menschen vom Land in die Stadt (20
Prozent der Menschen leben in Städten). Das Ländliche wird zu einem Teil der Städte, und die Stadt
rückt näher zum Land. Das Landleben wird in die Stadt hereingeholt.
- In wenigen Jahren bilden „die neuen Alten“ in Westeuropa
die Mehrheit. Die neuen Alten hadern nicht mit dem leben, sondern sind deutlich vitaler, fortschrittlicher und
innovativer und erfreuen sich in ihrer arbeitsfreien Phase an sehr guter Gesundheit.
- Super You. Aus einem medizinischen Reparaturbetrieb wird
in Zukunft eine dynamische Lebensmedizin werden, bei der es um körperliche Optimierung und Tuning geht.
- Nach dem Tauschen von Waren, Gebrauchsgegenständen
und Betten wird durch die Sharing Economy eine neue Form des Miteinander-Agierens auf uns zukommen. In Zukunft
werden das Wissen und das Knowhow gegen Arbeitsleistung getauscht. Es geht um Nutzen und Mehrwert.
- Menschen haben sich sehr oft in der materiellen Digitalisierungswelt
verlaufen, der Tourismus kann eine neue Offline Oase werden.
- Europa und das eigene Land sind weiterhin hoch im Kurs bei
der Wahl der Urlaubsziele.
Immaterieller Luxus löst opulenten Überfluss und Statusdenken ab. Werte wie Selbstfindung, persönliche
Erlebnisse, Authentizität und Zeit treten für immer mehr Gäste bei ihren Reisen in den Vordergrund.
[1] Quelle: Bitkom Research (Basis: 1.012 Befragte)
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