Skepsis im EU-Ausschuss, ob Ziele erreicht werden
Brüssel/Wien (pk) - Die EU-Kommission nimmt sich nun auch der atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnisse
an. Im Zeitalter von Uber, Deliveroo und Co entspreche die Richtlinie nicht mehr der veränderten Arbeitsmarktrealität
mit den in den letzten Jahren entstandenen neuen Arbeitsformen, argumentiert die Kommission ihren Vorstoß.
So habe im Jahr 2016 ein Viertel aller Arbeitsverträge atypische Formen der Beschäftigung betroffen und
mehr als die Hälfte der in den letzten zehn Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätze seien atypische Beschäftigungen
gewesen. Aus diesem Grund hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie über transparente
und verlässliche Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union ausgearbeitet, der am 13. März ebenfalls
Diskussionspunkt im EU-Ausschuss des Bundesrats war.
Ob die Ziele, die sich die Kommission mit ihrem Vorstoß vorgenommen hat, tatsächlich erreicht werden,
stellten die Bundesrätinnen und Bundesräte von ÖVP und FPÖ in Übereinstimmung mit der
Wirtschaftskammer weitgehend in Frage. Der Entwurf sei in vielen Bereichen zu detailliert und überschießend,
so der Tenor, auch wenn Konsens darüber herrschte, dass atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse
keine wünschenswerte Entwicklung darstellen. Im Gegensatz dazu sehen die SPÖ und die Arbeiterkammer den
EU-Vorschlag durchaus positiv.
Seitens des Sozialressorts gab es Befürchtungen, dass sich einige Bestimmungen kontraproduktiv auswirken könnten.
So ist zum Beispiel in Österreich ein Null-Stunden-Vertrag und ein Auf-Abruf-Vertrag verboten. Durch den EU-Vorschlag
könnten solche Verträge aber legitimiert werden. Was die Mehrfachbeschäftigung betrifft, so verwies
die Ressortexpertin auf die Arbeitszeitrichtlinie. Außerdem widerspreche das Recht auf flexible Arbeitszeiten
einem anderen Kommissionsvorschlag zur Work-Life-Balance. Da es zu dem gesamten Thema demnächst Gespräche
zwischen dem Sozialministerium und den Sozialpartnern gibt, kam man überein, die Materie nochmals auf die
Tagesordnung des nächsten EU-Ausschusses zu setzen.
Ziele und geplante Maßnahmen der EU-Kommission
Der Richtlinienentwurf ist auch als eine Folgemaßnahme zur Umsetzung der am 17. November 2017 in Göteborg
von Rat, Europäischem Parlament und Kommission proklamierten Europäischen Säule sozialer Rechte
zu sehen. Auch das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 4. Juli 2017 zu Arbeitsbedingungen
und prekären Beschäftigungsverhältnissen die Überarbeitung der Richtlinie von 1991 bzw. den
Erlass einer neuen Rahmenrichtlinie über menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle Formen der
Erwerbstätigkeit gefordert.
Das übergeordnete Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie ist es, sichere und verlässliche Beschäftigung
zu fördern und gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarkts zu erhalten sowie die Lebens- und
Arbeitsbedingungen zu verbessern, unterstreicht die Kommission.
Um dieses zu erreichen, will die Kommission den Zugang der ArbeitnehmerInnen zu Informationen, etwa hinsichtlich
ihrer Arbeitsbedingungen, erleichtern und die Arbeitsbedingungen vor allem in neuen und atypischen Beschäftigungsverhältnissen
verbessern - unter Wahrung eines Spielraums für Anpassungsfähigkeit und Innovation am Arbeitsmarkt, wie
die Kommission betont. Auch soll die Durchsetzung der Normen für die Arbeitsbedingungen gewährleistet
werden. Angestrebt wird zudem eine größere Transparenz am Arbeitsmarkt.
Konkret sieht das Papier etwa die Angleichung des Begriffs ArbeitnehmerIn an die Rechtsprechung des EuGH sowie
die Aufnahme neuer Beschäftigungsformen in den Geltungsbereich der Richtlinie vor. Gerade die Begriffsbestimmungen
und Definitionen sind unter den Mitgliedstaaten äußerst umstritten, wie es seitens des Sozialministeriums
heißt. Es soll auch ein schriftliches, erweitertes und aktualisiertes Informationspaket für die ArbeitnmeherInnen
geben – etwa bezüglich der Probezeit, der Kündigung oder der Fortbildung - und zwar gleich ab dem ersten
Tag und nicht, wie bisher innerhalb von zwei Monaten ab Beschäftigungsbeginn. Strittig in den Verhandlungen
ist auch die Verpflichtung der ArbeitgeberInnen, auf Ersuchen der ArbeitnehmerInnen über das Vorhandensein
sicherer und verlässlicher Arbeitsverhältnisse schriftlich zu informieren.
ArbeitnehmerInnen sollen sich in Hinkunft auch auf neue Mindestrechte stützen können, darunter unter
anderem auf das Recht auf bessere Planbarkeit der Arbeitszeit, das Recht auf Ruhepausen und bezahlten Urlaub sowie
das Recht auf verpflichtende Fortbildung ohne Lohnabzug. Die Höchstdauer der Probezeit soll 6 Monate betragen.
Auch soll der Arbeitgeber in Hinkunft eine Mehrfachbeschäftigung nicht mehr verbieten dürfen, was im
Widerspruch zur Arbeitszeitrichtlinie stehen könnte, gab die Vertreterin des Sozialministeriums zu bedenken.
Ein weiterer Aspekt des Vorschlags betrifft die Stärkung des Rechtsschutzes. ArbeitnehmerInnen sollen von
den ArbeitgeberInnen verlangen können, schriftliche stichhaltige Gründe für eine Kündigung
oder eine vergleichbare Maßnahme anzuführen. Geht es nach der Kommission, wird die Beweislastumkehr
gelten.
Die Kommission geht davon aus, dass künftig bis zu drei Millionen weitere Erwerbstätige in atypische
Beschäftigungsformen, wie z.B. Gelegenheits-, Teilzeit-, Auf-Abruf-, Null-Stunden-Vertrags-, Plattform- oder
LeiharbeiterInnen in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. Nur ArbeitnehmerInnen mit einem Beschäftigungsverhältnis
von weniger als acht Stunden in einem Referenzzeitraum von einem Monat sollen nicht verpflichtend in den Geltungsbereich
der Richtlinie fallen.
Uneinigkeit über Auswirkungen des Vorschlags
In der Debatte kam eine vollkommene Ablehnung des Vorschlags von ÖVP und FPÖ. Das wäre ein Eingriff
in das Kollektivvertragsrecht, sagte Sonja Zwazl (ÖVP/N) und verwies dabei auf die gut funktionierende Sozialpartnerschaft.
Man habe in Österreich einen weitreichenden ArbeitnehmerInnenschutz, der ein gutes Miteinander ermögliche.
Ihrer Ansicht nach richtet sich der Vorschlag vor allem an jene Länder, in denen das nicht so gut funktioniert.
Kritisch sieht sie vor allem die Erlaubnis zur Mehrfachbeschäftigung und die Informationspflicht ab dem ersten
Tag. Monika Mühlwerth (FPÖ/W) warnte davor, dass zu hohe Standards ArbeitgeberInnen veranlassen könnten,
niemanden mehr anzustellen. Sie plädierte dafür, das Miteinander in den Vordergrund zu stellen und nicht
das Gegeneinander. In diese Richtlinie würden jedoch ArbeitgeberInnen gegen ArbeitnehmerInnen ausgespielt.
Selbstverständlich wolle niemand atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse, sagte sie. Sowohl Zwazl
als auch Mühlwerth sehen in der Teilzeitarbeit kein nicht verlässliches Arbeitsverhältnis.
Bestärkt wurden die beiden Mandatarinnen durch den Befund der Wirtschaftskammer. Diese sieht die Vertragsautonomie
zwischen ArbeitgeberIn, ArbeitnehmerIn und Betriebsrat gefährdet. Außerdem wandte sich die Vertreterin
der Wirtschaftstreibenden gegen die Beweislastumkehr und kritisierte, dass nicht zwischen fachlichen und persönlichen
Anweisungen unterschieden werde. Keine Freude hatte sie auch mit den neuen Regelungen zu den Verwaltungsstrafverfahren
und Sanktionen. Ebenso lehnte sie die Informationspflicht ab dem ersten Arbeitstag ab.
Völlig anders fiel der Befund der Arbeiterkammer aus. Dessen Vertreter erinnerte an die primärrechtlichen
sozialen Ziele der EU und begrüßte den Richtlinienvorschlag als einen Beitrag zu verlässlicheren
und sicheren Arbeitsverhältnissen. Den Entwurf enthält er dennoch für zu wenig ambitioniert, da
er nicht ausreiche, prekäre Arbeitsverhältnisse zu verhindern. So sprach er sich etwa für ein Verbot
von nachverträglichen Konkurrenzklauseln aus, auch sollte Arbeit auf Abruf untersagt werden. Die Arbeiterkammer
tritt zudem für einen Rechtsanspruch auf Bildungskarenz ein. Wichtig sind den ArbeitnehmerInnenvertretern
Mindeststandards, damit Wettbewerbsverzerrungen und Lohndumping unterbunden werden.
Man braucht Antworten auf die Entwicklungen am Arbeitsmarkt, meinte auch Ingrid Winkler (SPÖ/N). Prekäre
und atypische Beschäftigungsverhältnisse bezeichnete sie als einen Auswuchs der Gesellschaft. Winkler
wies auch darauf hin, dass zum Beispiel Handelsketten keine Vollzeitjobs mehr anbieten, und Teilzeitarbeit daher
nicht immer freiwillig sei.
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