EU-Ausschuss des Bundesrats lehnt Flexibilisierung der ermäßigten Steuersätze
als Wettbewerbsverzerrung ab
Brüssel/Wien (pk) – Die EU will das geltende Mehrwertsteuersystem reformieren, um dieses den modernen
Bedingungen des Binnenmarkts anzupassen, den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern und mit der digitalen
und mobilen Wirtschaft Schritt zu halten. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist ein Kernelement des Binnenmarkts
und soll nun einfacher und unternehmensfreundlicher werden.
Die bestehende Regelung, die als Übergangslösung gedacht war, hält die EU-Kommission als zu stark
fragmentiert und für grenzüberschreitende Tätigkeiten zu kompliziert. So werden inländische
und grenzüberschreitende Umsätze unterschiedlich behandelt, die Kosten für international tätige
Unternehmen sind um 11% höher als für jene, die nur im Inland tätig sind. Die EU plant, den Mitgliedstaaten
mehr Flexibilität bei der Festlegung der Mehrwertsteuersätze einzuräumen und das steuerliche Umfeld
für kleine Unternehmen zu verbessern. Zukünftig soll das System auf dem Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsland
der Waren beruhen. Zielrichtung ist überdies eine effizientere Betrugsbekämpfung. Die "Mehrwertsteuerlücke"
zwischen den erwarteten und tatsächlichen Einnahmen wird auf 170 Mrd. € geschätzt, der grenzüberschreitende
Betrug allein verursacht laut Berechnungen jährliche Steuerausfälle in der Höhe von 50 Mrd. €.
Die EU hat daher im April 2016 einen Aktionsplan im Bereich Mehrwertsteuer (MwSt) vorgelegt, aufgrund dessen sie
dann konkrete Gesetzesvorschläge ausgearbeitet hat. Dem EU-Ausschuss des Bundesrats lagen am 13. März
drei Richtlinienvorschläge und ein Entwurf für eine Verordnung vor. Sie wurden weitgehend positiv bewertet,
vor allem sämtliche Maßnahmen, die der Betrugsbekämpfung dienen. Die Flexibilisierung bei der Anwendung
der ermäßigten Steuersätze stieß jedoch auf heftige Kritik, zumal dies den Steuerwettbewerb
zusätzlich anheizen und zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde. Auch die Einführung eines
"zertifizierten Steuerpflichtigen" fand keine Zustimmung.
Bundesrat gegen mehr Flexibilität bei der Anwendung von ermäßigten Steuersätzen
Konkret zielt der Richtlinienvorschlag hinsichtlich der Mehrwertsteuersätze auf eine sehr flexible Anwendung
der ermäßigten Steuersätze ab, was das Finanzministerium mit äußerster Skepsis betrachtet.
Dies würde zu einem Lizitieren nach unten führen, warnte im Ausschuss der zuständige Beamte. So
können laut Entwurf zwei ermäßigte Sätze von mindestens 5%, ein Nullsatz sowie ein "superreduzierter"
Satz zwischen 0 und 5% zur Anwendung kommen. Diese reduzierten MwSt-Sätze dürfen im Wesentlichen auf
alle Güter und Dienstleistungen angewendet werden, außer sie scheinen in einer Negativliste auf (z.B.
Alkohol, Glücksspiel und Tabak); dazu gehören auch Roh- oder Zwischenprodukte, die üblicherweise
nicht an Privatpersonen verkauft werden. Derzeit sind die ermäßigten Sätze nur für jene Güter
erlaubt, die explizit in einer Liste (Positivliste) angeführt sind. Zur Sicherstellung der Staatseinnahmen
muss der durchschnittliche Mehrwertsteuersatz bei Umsätzen an den Endverbraucher mind. 12% betragen.
Dieser Vorschlag wird laut Information des Finanzministeriums kritisch gesehen, weil ein Auseinanderdriften der
Steuersätze und eine Verkomplizierung des innergemeinschaftlichen Handels befürchtet wird, was auch zu
Wettbewerbsverzerrungen führen würde, vor allem im Grenzgebiet.
Der Vorschlag ließe 135 Steuersätze zu – eine unzumutbare Mehrbelastung für die Anwender, kritisierten
Sonja Zwazl (ÖVP/N) und Edgar Mayer (ÖVP/V). Solange es so unterschiedliche Wirtschaftsräume innerhalb
der EU gibt, ist es gefährlich, wenn jeder Steuersätze einführen kann, wie er will, ergänzte
Georg Schuster (FPÖ/W). Einig war man sich, dass es vielmehr zu einer Harmonisierung kommen sollte, dies ist
aber angesichts des europäischen Wettbewerbs nicht einfach zu klären, wie Ingrid Winkler (SPÖ/N)
mit Bedauern zu bedenken gab. Auch die Wirtschaftskammer stellt sich vehement gegen die geplante Zerklüftung
innerhalb der EU.
Skepsis gegenüber zertifizierten Steuerpflichtigen
Die anderen drei Vorschläge werden von heimischer Seite durchaus positiv gesehen und unterstützt. Das
betrifft zunächst die geplante Änderung der Richtlinie zur "Harmonisierung und Vereinfachung bestimmter
Regelungen des Mehrwertsteuersystems und zur Einführung des endgültigen Systems der Besteuerung des Handels
zwischen Mitgliedstaaten". Darin geht es vor allem darum, im Hinblick auf Konsignationslager und Reihengeschäfte
eine EU-weite einheitliche Vorgangsweise im grenzüberschreitenden Handel zu ermöglichen. Außerdem
sollen die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen neu gefasst werden,
um für die Wirtschaftsteilnehmer mehr Klarheit zu schaffen. (Unter Konsignationslager versteht man das Warenlager
eines Lieferanten oder Dienstleisters, welches sich in der Nähe des Kunden befindet. Die Ware verbleibt solange
im Eigentum des Lieferanten, bis der Kunde sie aus dem Lager entnimmt. Als Reihengeschäft bezeichnet man Lieferungen
eines Gegenstandes, bei denen mindestens drei Personen über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen.)
Wenig glücklich ist man aus österreichischer Sicht allerdings mit der Einführung eines "zertifizierten
Steuerpflichtigen". Die Vertreterin der Wirtschaftskammer sowie Sonja Zwazl (ÖVP/N) kritisierten, dass
man damit zwei Klassen von Unternehmern schaffen würde, denn bei dem neuen System des Bestimmungslandes, muss
man in Hinkunft dort Steuern zahlen, wo die Ware geliefert wird. Ist man jedoch als Lieferant dort zertifiziert,
bleibt alles beim Alten. Außerdem wäre die Zertifikation für KMUs und Startups eine unzumutbare
zusätzliche Belastung.
Länderkammer begrüßt Kampf gegen Steuerbetrug
Die Novellierung der Verordnung zur Stärkung der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet
der Mehrwertsteuer soll die grenzüberschreitende Aufdeckung von Mehrwertsteuerbetrug und grenzüberschreitende
Betriebsprüfungen erleichtern. Vorgesehen ist unter anderem ein rascher Austausch von Informationen und gemeinsame
Prüfungen durch Steuerbehörden der Mitgliedstaaten sowie die Verarbeitung und Analyse von relevanten
Daten im Rahmen von Eurofisc (multinationales Frühwarnsystem zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs).
Zudem soll der Datenaustausch zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten und den Strafverfolgungsbehörden
auf EU-Ebene forciert werden. Eine besondere Zielrichtung dient der Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug im
Zusammenhang mit dem Fahrzeughandel. Das wurde allgemein begrüßt.
Schließlich beabsichtigt die EU-Kommission Sonderregelungen für Kleinunternehmen als Option für
die Mitgliedstaaten. Die darin festgelegten nationalen Schwellenwerte für die Steuerbefreiung sowie für
weitreichende Vereinfachungen (etwa bei der Registrierung, bei Aufzeichnungsvorschriften oder bei der Ausstellung
von Rechnungen) sind in den Augen des Finanzministeriums jedoch zu hoch angesetzt.
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