Vortrag des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers im Parlament über weltpolitische Herausforderungen
der EU
Wien (pk) – "America first" war 2016 die zentrale Parole Donald Trumps während des US-amerikanischen
Präsidentschaftswahlkampfs, heute ist sie ein Dogma US-amerikanischer Politik. Welche Herausforderungen und
Chancen es für Europa bedeutet, wenn dieser Slogan wie jüngst durch Strafzölle auch zum politischen
Programm wird, darüber sprach der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder am 13. März
auf Einladung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka sowie der Österreichischen Gesellschaft für
Außenpolitik und die Vereinten Nationen im Parlament. Für Schröder ist evident, dass die Europäische
Union dem neuen US-amerikanischen Kurs, "der eindeutig auf Populismus und Isolierung setzt", nicht folgen
darf und geschlossen auf Trumps "America first"-Politik antworten muss.
Er warnt die EU-Verantwortlichen davor, sich nicht darauf zu konzentrieren, wer etwa der nächste Generalsekretär
der Kommission wird oder so zu tun, als ob das Problem der US-Strafzölle mit Ausnahmen bereinigt werden könnte.
Denn hinter der wirtschaftlichen Strategie der USA liegt für Schröder nämlich auch eine politische,
und zwar die Spaltung der EU. Allerdings habe er die Hoffnung noch nicht gänzlich aufgegeben, dass sich die
USA wieder auf ihre globale Verantwortung zurückbesinnt.
Angesichts des Gedenkjahres 2018 sowie dem 180. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich
und den USA erinnerte Nationalratspräsident Wolfang Sobotka in seiner Begrüßung an die Befreiung
Österreichs durch die Alliierten und den Marshall-Plan für den Wiederaufbau eines vom Krieg zerstörten
Europas. Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten unterstrich der Nationalratspräsident als traditionell
gut, allerdings sei "America First" ein Spruch, der irritiere und allmählich seine Herausforderungen
für Europa zeige. Für den Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik
und die Vereinten Nationen, Bundeskanzler a.D. Wolfgang Schüssel, markiert das "America-first"-Prinzip
eine Weichenstellung in der Globalpolitik. Das multipolare Weltsystem werde heute durch ein neuerliches Wettrüsten
und autoritäre Systeme auf dem Prüfstand gestellt.
Renationalisierung keine richtige Antwort auf Probleme der EU
Angesprochen wurde von Schröder zudem die aktuell schwierige innereuropäische Situation, die für
ihn durch Entsolidarisierung, Desintegration und dem Votum Großbritanniens für den Brexit gekennzeichnet
ist und der Ausgangspunkt für die geopolitischen Antworten Europas sein muss. Die EU sollte sich prioritär
auch weiterhin für friedliche Lösungen von Konflikten und den Ausgleich von Interessen in den internationalen
Beziehungen einsetzen, in Zeiten von Umbrüchen müsse sie sich aber auch entscheiden, ob Europa in Zukunft
eine globale Rolle spielen will, so der deutsche Ex-Bundeskanzler.
Renationalisierung ist für Schröder dabei nicht die richtige Antwort auf die Probleme der EU oder eine
"America first"-Politik. Mehr Europa bzw. eine engere Zusammenarbeit braucht es für ihn in drei
Punkten: Nachdem die Eurokrise überwunden ist, sollte der Euro neben dem amerikanischen Dollar und dem chinesischen
Yuan als dritte Weltwährung etabliert werden. Dafür benötige es allerdings eine stärker koordinierte
Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik innerhalb der Union. Das zweite Handlungsfeld, in dem es ein stärkeres
Europa brauche, sei die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, was für Schröder allerdings nicht
automatisch bedeutet, militärisch aufzurüsten. Schließlich müsse die EU auch stärker
bei der Sicherung der europäischen Außengrenzen zusammenarbeiten. Er appellierte in diesem Zusammenhang,
Grenzsicherung nicht mit dem Hinweis auf Abschottungspolitik zu diffamieren. "Humanität, die Kern unseres
Denkens bleiben muss, bemisst sich nicht an der Offenheit von Grenzen sondern an der Bereitschaft zur Hilfe",
sagte er.
Das deutsch-französische Verhältnis sieht Schröder dabei als Dreh- und Angelpunkt der europäischen
Integration. Es sei der Zeitpunkt gekommen, an dem beide Staaten in der Lage seien, eine gemeinsame europapolitische
Agenda zu starten und neue Impulse in Richtung eines gemeinsamen handelnden und handlungsfähigen Europas zu
setzen. "Die EU wird sich verändern müssen. Sie muss das Vertrauen der Bürger durch mehr Handlungsfähigkeit
und Transparenz zurückgewinnen", so Schröder, auch ein besseres Verhältnis zu Russland sowie
zur Türkei hält er aus geopolitischen Gründen für richtig. Ohne die beiden Länder werde
es nämlich keine Stabilität in Europa, dem Kaukasus oder dem Nahen Osten geben. Außerdem sei Europa
gut damit beraten, zu verhindern, Russland und die Türkei politisch in Richtung China abdriften zu lassen.
Schröder geht davon aus, dass sich die EU dem Modell eines Europas der unterschiedlichen Geschwindigkeiten
annähern wird. Gegliedert in die Eurozone, in Staaten, die zwar Teil der EU, allerdings nicht der Eurozone
sind sowie in Länder wie Norwegen, Großbritannien oder die Schweiz, die durch Verträge eng an die
EU gebunden sind. Dieses Konzept der flexiblen Integration kann sich Schröder auch für die Balkanstaaten
vorstellen. "Frankreich, Deutschland oder Großbritannien sind heute global betrachtet schlicht Zwerge.
Wenn Europa in der globalisierten Welt eine Rolle spielen will, müssen wir heute die notwendigen Integrationsentscheidungen
treffen", sagte er.
Den Brexit bezeichnete Schröder als einen Rückschlag für die EU. Er warnt davor, den Briten bei
den Verhandlungen zu weit entgegenzukommen. Das könnte den EU-Gegnern in anderen Mitgliedsstaaten in die Hände
spielen und als Argument für weitere Austrittsgedanken dienen. Rund um Diskussionen über die EU-Finanzen
und den Ausfall der Briten als Nettozahler ist er der Meinung, dass bei der europäischen Landwirtschaftspolitik
gekürzt werden kann.
Schließich gab Schröder zu bedenken, dass kein Staat der Welt die großen globalen Herausforderungen
im Alleingang bewältigen könne. Vor dem Hintergrund der Migrationskrise, die für ihn Folge eines
"fatalen Irak-Krieges" ist, oder Terroranschlägen könne nur gehofft werden, dass die weltweite
Realität die USA wieder zum Multilateralismus zurückbringe.
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