Neue wiiw-Prognose für Mittel-, Ost- und Südosteuropa 2018-2020
Wien (wiiw) - Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) hat soeben seine
neue Prognose für 22 Volkswirtschaften in Mittel-, Ost- und Südosteuropa (MOSOE) bis zum Jahr 2020 publiziert.
Die Hauptaussagen des Berichtes sind wie folgt:
- Das aggregierte reale BIP-Wachstum in MOSOE steht auf seinem
höchsten Niveau seit sechs Jahren, und 2017 expandierten alle Volkswirtschaften in der Region zum ersten Mal
seit einem Jahrzehnt.
- Das externe Umfeld wirkt sich äußerst positiv
auf das Wachstum in MOSOE aus. Die wichtigsten Motoren der Weltwirtschaft – USA, China und die Eurozone – verzeichnen
alle gemeinsam starkes Wachstum, zum ersten Mal seit 2010. Der koordinierte globale Aufschwung wird sich fortsetzen,
und wir erwarten, dass die MOSOE-Volkswirtschaften in den kommenden Jahren weiter davon profitieren werden.
- Die mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten
sowie die Türkei werden im Prognosezeitraum stark wachsen, während sich die Wirtschaftstätigkeit
am Westbalkan gegenüber den letzten Jahren beschleunigen wird. Die GUS und die Ukraine bleiben die regionalen
Nachzügler, werden sich aber weiterhin langsam erholen.
- Das wiiw geht in keinem Land der Region von einer Überhitzung
der Wirtschaft aus, obwohl das diesbezügliche Risiko im Fall Rumäniens und der Türkei steigt, und
erwartet im Prognosezeitraum weiterhin eine sehr niedrige Inflation in den meisten Ländern. In Teilen der
Region hilft die starke Migration aus der Ukraine dabei, die angespannte Arbeitsmarktlage zu entschärfen.
- In den meisten MOSOE-Ländern gab es starke Lohnerhöhungen,
allerdings vor allem im verarbeitenden Sektor; diese wurden durch Steigerungen bei der Arbeitsproduktivität
und nicht-preislichen Wettbewerbsfähigkeit jedoch mehr als kompensiert. Die externe Wettbewerbsfähigkeit
ist nicht in Gefahr.
- In der gesamten Region werden die Investitionen im Zeitraum
2018-2020 rascher als das reale BIP-Wachstum steigen, angetrieben von niedrigen Zinsen, hoher Kapazitätsauslastung,
größerem Vertrauens in die Wirtschaftsentwicklung, dem Zufluss von EU-Geldern sowie niedrigen Basiswerten.
- Die meisten Länder verzeichneten im vergangenen Jahrzehnt
einen Anstieg ihrer Exportquote, wodurch sie vom derzeitigen Aufschwung besser profitieren können. Viele Länder
steigen in der Wertschöpfungskette auf und produzieren höherwertige Güter.
- Der Bankensektor in MOSOE steht allgemein auf einer weit
stärkeren Basis als vor einigen Jahren. Das Vorkrisenzeit-Modell mit seinem hohen Fremdfinanzierungsgrad und
seiner Abhängigkeit vom Zufluss ausländischer Finanzen hat allerdings in den meisten Fällen ausgedient;
somit wird das Kreditwachstum in den kommenden Jahren im historischen Vergleich relativ niedrig sein.
- Es gibt erhebliche Risiken für das regionale Wachstum,
die von lokalen und globalen Faktoren ausgehen. Beunruhigend sind vor allem ein möglicher Handelskrieg, der
Ausstieg wichtiger Zentralbanken aus der außergewöhnlich lockeren Geldpolitik, Fälle von hohem
Verschuldungsgrad von Unternehmen und Regierungen, eine Ost-West-Spaltung der EU, die Unterminierung institutioneller
Unabhängigkeit in manchen Ländern, geopolitische Spannungen, die Ukrainekrise, mögliche Auswirkungen
eines erneuten Ausbruchs von Volatilität in der Eurozone oder eine chinesische Schuldenkrise.
- Der Konvergenzprozess zu westeuropäischen Einkommensniveaus
wird sich langfristig fortsetzen. Es besteht jedoch das Risiko, dass die Spezialisierung auf Teile der Lieferkette,
in denen wenig Wertschöpfung möglich ist, die Region dauerhaft in der Rolle der „verlängerten Werkbank“
hält.
Kommentare zur Prognose von Richard Grieveson,
wiiw-Ökonom und einer der Autoren der Studie:
„Die Weltwirtschaft befindet sich mitten in einer Aufschwungphase. Dies wird der Wirtschaftstätigkeit
in der gesamten MOSOE-Region in den kommenden Jahren auch weiterhin starken Auftrieb verleihen.“
„Hochfrequenzdaten lass vermuten, dass die Region (nahezu) am Höhepunkt ihres Wachstums angekommen ist, doch
das heurige Jahr scheint eines der besten seit der globalen Finanzkrise zu werden. Nach einigen missglückten
Anläufen ist nun eine reale Erholung in ganz Europa zu verzeichnen, einschließlich der meisten MOSOE-Länder.
Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass einige Länder der Region einen Boom erleben.“
„Regionale Unterschiede bleiben ein wichtiges Thema. Die Konjunktur in den mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten,
der Türkei und den meisten Westbalkanländern verläuft sehr gut. In der GUS und der Ukraine herrscht
zwar wieder relative Stabilität, doch das Wirtschaftswachstum ist enttäuschend und wird es voraussichtlich
auch bleiben: die Region leidet unter einem Mangel an Dynamik.“
„Wir glauben nicht, das in irgendeinem der Länder der Region derzeit die Konjunktur überhitzt, allerdings
muss man sowohl Rumänien als auch die Türkei im Auge behalten, und die politischen Entscheidungsträger
sind zur Umsicht aufgerufen, um die Entstehung potentiell destabilisierender Ungleichgewicht zu verhindern.“
„Es gibt zahlreiche Risiken für unsere optimistische Prognose. Die größten Sorgen bereiten ein
möglicher Handelskrieg sowie die Gefahr, dass der Ausstieg der globalen Zentralbanken aus ihrer extrem lockeren
Geldpolitik nicht sicher genug verläuft. Jeder starke Anstieg der globalen Zinssätze wäre eine Gefahr
für die zahlreichen MOSOE-Länder mit hoher Privat- und/oder Staatsverschuldung.“
„Der Konvergenzprozess zu Westeuropa wird sich in den kommenden fortsetzen. Langfristig stehen der Region jedoch
große Herausforderungen bevor, nicht zuletzt sehr negative demografische Trends für die meisten Länder.
Es besteht auch Grund zur Besorgnis, dass Spezialisierungsmuster in der Industrie die Rolle der MOSOE-Länder
als ‚verlängerte Werkbank‘ festigen könnten.“
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