Vom 15. März bis 7. Oktober 2018 im Wien Museum Karlsplatz
Wien (wien museum) - Otto Wagner (1841-1918) zählt zu den weltweit bedeutendsten Architekten an der
Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Seine Bauten - darunter die Wiener Stadtbahn, die Postsparkasse und die Kirche
am Steinhof - gelten heute als Meilensteine auf dem Weg vom Historismus zur Moderne.
Wagner war ein Visionär: Er hatte erkannt, dass die auf die Vergangenheit fixierte Architektur des Historismus
in Widerspruch zur politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik seiner Zeit stand. Als Antwort
darauf entwarf er eine strahlende, rationale Zukunftsarchitektur, die auf Zweck, Material und Konstruktion beruhte.
Seine radikalen Entwürfe waren ein Befreiungsschlag für die Vertreter der Moderne, für die Hüter
der Tradition dagegen blanke Provokation. Auch aus diesem Grund blieben viele von Wagners Projekten unausgeführt,
so etwa seine Entwürfe für das Stadtmuseum am Karlsplatz, an dessen Stelle später das Historische
Museum der Stadt Wien (heute: Wien Museum) errichtet wurde.
Zum 100. Todestag Wagners präsentiert das Wien Museum das Gesamtwerk dieses
"Weltstadtarchitekten" in einer großen Ausstellung, der ersten seit mehr als fünfzig Jahren.
Die Schau wird im gesamten ersten Obergeschoss gezeigt und ist mit rund 1000 m2 Fläche fast dreimal so groß
wie die gewohnten Sonderausstellungen im Wien Museum.
Die Ausstellung setzt Wagners Schaffen in Beziehung zu seinen Wegbegleitern und Gegnern, beleuchtet das künstlerische,
kulturelle und politische Umfeld und macht die internationale Strahlkraft des Architekten anhand von einzigartigen
Objekten - kostbaren Zeichnungen, Modellen, Möbeln, Gemälden und persönlichen Gegenständen
- anschaulich. Die Mehrzahl der rund 500 Exponate stammt aus dem Nachlass Wagners, der zu den größten
Schätzen der Sammlung des Wien Museums zählt. Dazu kommen hochkarätige Leihgaben, u.a. vom Kooperationspartner
der Ausstellung, dem Kupferstich- kabinett der Akademie der Bildenden Künste Wien, der Albertina und weiteren
institutionellen und privaten Leihgebern. Viele Objekte werden zum ersten Mal öffentlich zu sehen sein.
Letztlich geht es in der Ausstellung nicht nur um eine faszinierende Künstlerpersönlichkeit und ihr Werk,
sondern auch um die brennende Aktualität grundsätzlicher Fragen, die von Wagner aufgeworfen wurden: vom
kulturellen Stellenwert der Architektur über die Kunst im Städtebau bis hin zur konsequenten Verbindung
von rigider Funktionalität, höchster Qualität und vollendeter Ästhetik - von der Gabel bis
zur Großstadt.
Vom Großstadtvisionär bis zum "Verkleidungskünstler":
die Schwerpunktthemen der Ausstellung
Zum ersten Mal wird das von der Ringstraße geprägte Frühwerk Wagners ausführlich behandelt,
zeigt es doch bereits Ansätze zu einer individuellen "freien Renaissance", die auf Material und
Konstruktion setzt und sich von der zeitgenössischen Stilarchitektur abwendet. Damals begann Wagners erfolgreiche
Tätigkeit als Spekulant, Zinshaus- architekt und Hausherr, die ihm finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte.
Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Wagners Großstadtvisionen, vom General- regulierungsplan für
Wien von 1893 bis zum größten Auftrag seiner Karriere, dem Bau der Wiener Stadtbahn ab 1894. Die Konfrontation
mit den technischen Anforderungen des modernen Großstadtverkehrs bedeutete einen Wendepunkt in Wagners Schaffen.
Ebenso wegweisend wie der Stadtbahn-Auftrag war die Berufung zum Professor an der Akademie der bildenden Künste
im Jahr 1894. Im kreativen Austausch mit den Schülern öffnete sich Wagner den aktuellen Strömungen
des internationalen Art Nouveau und wurde zum Vater der Wiener Secession; zugleich konnte er mit der "Wagner-Schule"
eine Riege moderner Architekten nach seinen Vorstellungen ausbilden und sorgte damit für die Verbreitung seiner
Ideen. Auch die kurze, aber intensive "secessionistische" Phase im
Werk Wagners wird in einem eigenen Kapitel behandelt. Zu jener Zeit entstanden spektakuläre Entwürfe
für einen Neubau der Akademie der bildenden Künste oder eine moderne Kirche, in denen Wagners Begeisterung
für das Medium Zeichnung zum Ausdruck kommt.
Die in ebenso aufwändigen Zeichnungen präsentierten, aber vergeblichen Versuche Wagners, eine imperiale
moderne Architektur für Kaiser Franz Josef zu entwerfen, leiten über zu jenem Projekt, das ihn am längsten
und intensivsten beschäftigte: dem Stadtmuseum am Karlsplatz. Von 1900 bis 1910 arbeitete er unermüdlich
an Entwürfen für einen modernen Monumentalbau, zugleich erhob sich erstmals lautstarke Kritik an Wagners
radikaler, von der Tradition emanzipierter Architektur. Seine konservativen Gegner brachten das Projekt schließlich
zu Fall.
Parallel dazu konnte Wagner mit der Kirche am Steinhof und der Postsparkasse zwei Initial- und Schlüsselbauten
der Architektur des 20. Jahrhunderts errichten. War die Postsparkasse der erste, ganz aus der Funktion entwickelte
Zweckbau, so schuf Wagner am Steinhof die erste moderne Kirche. Beide Gebäude erhielten eine neuartige, im
Vergleich zum traditionellen Steinbau kostengünstige Verkleidung aus Marmorplatten, die zu einem Markenzeichen
des "Verkleidungskünstlers" Wagner wurde.
Rund um diese Bauten entstand eine ganze Reihe von Entwürfen für Hotels, Kranken- häuser, Kirchen,
Museen, Ministerien etc., die als Modelle für die Metropole des 20. Jahrhunderts interpretiert werden können
- jene "unbegrenzte Großstadt", die Wagner 1911 als suggestive Zukunftsvision in Buchform veröffentlichte.
Zugleich realisierte er seine letzten Wohnhäuser. Sie sind von einer radikalen Einfachheit und Reduktion geprägt,
die die Architektur des Neuen Bauens der 1920er-Jahre vorwegnimmt. Der Großteil der Entwürfe dieser
Zeit blieb jedoch Papier. In diese Zeit fällt auch der Gipfel von Wagners internationalem Ruhm, und zu seinem
70. Geburtstag 1911 feierte man ihn als den größten lebenden Architekten.
Mit dem Ersten Weltkrieg wurden sämtliche Bauprojekte eingestellt, Wagner verlegte sich gänzlich auf
die Entwurfstätigkeit und plante bereits für die kommende Friedenszeit. Der frühe Tod seiner geliebten
Frau Louise 1915 traf ihn tief. In seinen letzten Lebensjahren zog sich Wagner immer mehr zurück. Entwürfe
für Baracken, Siegeskirchen und Krieger- denkmäler zeugen zugleich von der Auseinandersetzung mit damals
aktuellen Themen. Im April 1918 starb Wagner im Alter von 76 Jahren.
Mit dem Untergang der Monarchie verlor das bürgerliche Architektur- und Kulturkonzept Wagners und seiner Schüler
die Basis - die Revolutionäre des "Neuen Bauens" der 1920er-Jahre leugneten jeden Bezug zur Vergangenheit,
die Pioniere der Moderne
gerieten schnell in Vergessenheit. Um die Bedeutung Wagners als Bahnbrecher der Moderne in Erinnerung zu rufen,
wurde 1930 ein von Josef Hoffmann gestaltetes Denkmal am Ballhausplatz errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren
seine Bauten jedoch vom Abbruch bedroht, erst in den 1960er-Jahren begann ein langsames Umdenken. Mittlerweile
ist das Werk Otto Wagners längst als wesentlicher Teil des kulturellen Erbes Österreichs anerkannt -
und zugleich touristisch vereinnahmt.
Zur Ausstellung erscheint eine reich illustrierte Publikation (544 Seiten), die neben zahlreichen Beiträgen
renommierter Autorinnen und Autoren, das erste kommentierte Verzeichnis sämtlicher Bauten, Projekte und kunstgewerblicher
Entwürfe Otto Wagners enthält.
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