Brüssel/Berlin (ec) - Die Europäische Kommission hat am 21. März neue Vorschriften vorgeschlagen,
die sicherstellen sollen, dass digitale Geschäftstätigkeiten in der EU auf faire und wachstumsfreundliche
Weise besteuert werden. Durch diese Maßnahmen würde die EU eine weltweite Vorreiterrolle bei der Konzeption
von Steuergesetzen übernehmen, die der modernen Wirtschaft und dem digitalen Zeitalter gerecht werden.
Der jüngste Boom bei Digital- und Social-Media-Unternehmen, Kooperationsplattformen und Anbietern von Online-Inhalten
hat maßgeblich zum Wirtschaftswachstum in der EU beigetragen. Die derzeitigen Steuervorschriften wurden jedoch
nicht für solche weltweit tätigen oder online tätigen Unternehmen konzipiert, die nur eine geringe
oder gar keine physische Präsenz aufweisen.
Die Lage hat sich radikal geändert: Neun der zwanzig nach Marktkapitalisierung führenden Unternehmen
sind inzwischen digitale Unternehmen, gegenüber nur einem von zwanzig Unternehmen vor zehn Jahren. Die Herausforderung
besteht nun darin, das Beste aus dieser Entwicklung zu machen und gleichzeitig sicherzustellen, dass digitale Unternehmen
ihren gerechten Anteil an Steuern bezahlen. Anderenfalls besteht eine reale Gefahr für die öffentlichen
Einnahmen der Mitgliedstaaten: Der durchschnittliche effektive Steuersatz digitaler Unternehmen ist derzeit nur
halb so hoch wie für herkömmliche Unternehmen.
Die heute vorgelegten Vorschläge sind eine Antwort auf die Suche der Mitgliedstaaten nach dauerhaften und
langfristigen Lösungen zur Sicherstellung der fairen Besteuerung von Online-Tätigkeiten, die die Staats-
und Regierungschefs der EU im Oktober 2017 mit Nachdruck gefordert hatten. Die Gewinne, die durch lukrative Tätigkeiten
wie den Verkauf von nutzergenerierten Daten und Inhalten erzielt werden, werden mit den derzeit geltenden Steuervorschriften
nicht erfasst. Die Mitgliedstaaten suchen derzeit nach schnellen, unilateralen Lösungen für die Besteuerung
digitaler Tätigkeiten, was zur Entstehung eines rechtlichen Minenfelds und zu Rechtsunsicherheit für
die Unternehmen führt. Nur durch eine koordinierte Vorgehensweise kann sichergestellt werden, dass die digitale
Wirtschaft auf faire, wachstumsfreundliche und nachhaltige Weise besteuert wird.
Die Kommission hat heute zwei unterschiedliche Legislativvorschläge vorgelegt, die zu einer faireren Besteuerung
digitaler Geschäftstätigkeiten in der EU beitragen werden:
- Die erste Initiative zielt darauf ab, die Körperschaftsteuer-Vorschriften
zu überarbeiten, damit Gewinne dort registriert und besteuert werden, wo über digitale Kanäle signifikante
Interaktionen zwischen Unternehmen und Nutzern stattfinden. Diese Option ist die von der Kommission bevorzugte
langfristige Lösung.
- Der zweite Vorschlag folgt dem Ruf mehrerer Mitgliedstaaten
nach einer Zwischensteuer für die wichtigsten digitalen Tätigkeiten, die derzeit in der EU überhaupt
nicht besteuert werden.
Das vorgelegte Paket enthält einen kohärenten Ansatz der EU für ein System zur Besteuerung der digitalen
Wirtschaft, das den digitalen Binnenmarkt unterstützt und das in die Diskussionen zur Lösung dieses Problems
auf internationaler Ebene einfließen wird.
Der für den Euro und den sozialen Dialog zuständige Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis
erklärte: „Die Digitalisierung birgt zahlreiche Vorteile und Chancen, erfordert aber auch eine Anpassung unserer
herkömmlichen Vorschriften und Systeme. Unsere erste Wahl wären auf globaler Ebene, auch mit der OECD,
vereinbarte Vorschriften. Derzeit wird jedoch ein inakzeptabel hoher Teil der Gewinne überhaupt nicht besteuert.
Wir müssen unsere Steuervorschriften dringend auf den Stand des 21. Jahrhunderts bringen, indem wir eine neue
umfassende und zukunftsfähige Lösung einführen.“
Pierre Moscovici, Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, fügte hinzu:
„Die digitale Wirtschaft stellt eine große Chance für Europa dar, und Europa bietet Digitalunternehmen
enorme Ertragsmöglichkeiten. Diese Win-Win-Situation wirft allerdings rechtliche und steuerliche Bedenken
auf. Unsere Vorschriften aus der Vor-Internet-Ära erlauben es den Mitgliedstaaten nicht, in Europa tätige
Digitalunternehmen zu besteuern, wenn diese hier nur eine geringe oder keine physische Präsenz aufweisen.
Dies entspricht einem ständig wachsenden schwarzen Loch für die Mitgliedstaaten, da ihre Steuerbasis
schwindet. Aus diesem Grund schlagen wir neue Rechtsstandards sowie eine Übergangssteuer für digitale
Tätigkeiten vor.“
Vorschlag 1: Eine gemeinsame Reform der Körperschaftsteuer-Vorschriften der EU für digitale Tätigkeiten
Dieser Vorschlag würde es den Mitgliedstaaten erlauben, Gewinne, die in ihrem Hoheitsgebiet erwirtschaftet
werden, auch ohne eine physische Präsenz eines Unternehmens in ihrem Gebiet zu besteuern. Die neuen Vorschriften
würden sicherstellen, dass Online-Unternehmen genauso wie herkömmliche Unternehmen einen Beitrag zu den
öffentlichen Einnahmen leisten.
Von einer „digitalen Präsenz“ oder einer virtuellen Betriebsstätte einer digitalen Plattform in einem
Mitgliedstaat wird ausgegangen, wenn eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:
- Jährliche Erträge von mehr als 7 Mio. Euro in
einem Mitgliedstaat
- Mehr als 100.000 Nutzer in einem Steuerjahr in einem Mitgliedstaat
- Abschluss von mehr als 3.000 Geschäftsverträgen
über digitale Dienstleistungen zwischen dem Unternehmen und gewerblichen Nutzern in einem Steuerjahr
Die neuen Vorschriften werden auch die Art und Weise, wie Gewinne auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden, dahin
gehend verändern, dass besser widergespiegelt wird, wie die Online-Wertschöpfung der Unternehmen erfolgt:
z. B. je nach dem Ort, an dem sich der Nutzer zum Zeitpunkt des Verbrauchs befindet.
Letztlich wird durch das neue System eine klare Verbindung zwischen dem Ort der Erzielung digitaler Gewinne und
dem Ort der Besteuerung dieser Gewinne hergestellt. Die Maßnahme könnte schließlich in den Geltungsbereich
der Gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (CCCTB) aufgenommen werden – die von
der Kommission bereits vorgeschlagene Initiative zur besseren Zuordnung der Gewinne multinationaler Unternehmensgruppen
gemäß dem Ort der Wertschöpfung.
Vorschlag 2: Eine Übergangssteuer auf bestimmte Erträge aus digitalen Tätigkeiten
Diese Übergangssteuer stellt sicher, dass Tätigkeiten, die derzeit nicht wirksam besteuert werden, direkte
Einnahmen für die Mitgliedstaaten schaffen würden. Sie würde auch dazu beitragen, einseitige Maßnahmen
zur Besteuerung digitaler Tätigkeiten in bestimmten Mitgliedstaaten zu verhindern, die zu einem für den
Binnenmarkt schädlichen Flickwerk nationaler Maßnahmen führen könnten.
Im Gegensatz zu der gemeinsamen EU-weiten Reform der zugrunde liegenden Steuervorschriften würde diese indirekte
Steuer auf Erträge angewandt, die mit bestimmten, bisher überhaupt nicht besteuerten digitalen Tätigkeiten
erwirtschaftet werden. Dieses System ist nur als Zwischenlösung bis zur Umsetzung der umfassenden Reform gedacht
und verfügt über Mechanismen zur Verhinderung einer möglichen Doppelbesteuerung.
Die Steuer erfasst Erträge aus Tätigkeiten, bei denen die Nutzer eine wichtige Rolle bei der Wertschöpfung
spielen und die mit den derzeitigen Steuervorschriften sehr schwierig zu erfassen sind, z. B.
- Erträge aus dem Verkauf von Online-Werbeflächen
- Erträge aus digitalen Vermittlungsgeschäften,
die Nutzern erlauben, mit anderen Nutzern zu interagieren und die den Verkauf von Gegenständen und Dienstleistungen
zwischen ihnen ermöglichen
- Erträge aus dem Verkauf von Daten, die aus Nutzerinformationen
generiert werden.
Die Steuereinnahmen würden von den Mitgliedstaaten erhoben, in denen die Nutzer ansässig sind. Die
Besteuerung würde nur für Unternehmen mit jährlichen weltweiten Gesamterträgen in Höhe
von 750 Mio. Euro und EU-Erträgen in Höhe von 50 Mio. Euro gelten. Dadurch würde sichergestellt,
dass kleinere Start-up- und Scale-up-Unternehmen nicht belastet würden. Mit einem Steuersatz von 3 Prozent
könnten jährlich schätzungsweise Einnahmen von 5 Mrd. Euro in den Mitgliedstaaten erzielt werden.
Nächste Schritte
Die Legislativvorschläge werden dem Rat zur Annahme und dem Europäischen Parlament zur Konsultation vorgelegt.
Die EU wird sich auch weiterhin aktiv an den weltweiten Diskussionen über die Besteuerung der digitalen Wirtschaft
innerhalb der G20/der OECD beteiligen und ehrgeizige internationale Lösungen vorantreiben.
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