Wenn man zwei ultradünne Materialschichten kombiniert, ergeben sich neue Möglichkeiten
für die Quanten-Elektronik. Ein Forschungsteam mit TU-Beteiligung präsentiert flexibel steuerbare Quantensysteme.
Wien (tu) - Zwei neuartige Materialien, die jeweils nur aus einer einzigen Schicht von Atomen bestehen,
und dazu die Spitze eines Rastertunnelmikroskops – das sind die Zutaten, mit denen es nun gelungen ist, eine neue
Art sogenannter „Quantenpunkte“ herzustellen. Dabei handelt es sich um winzige Nanostrukturen, die eine ausgezeichnete
Kontrolle über einzelne Elektronen erlauben, deren Energie gezielt verändert werden kann. Für moderne
Quantentechnologien sind solche Strukturen ein wichtiges Werkzeug.
Die theoretische Arbeit und die Computersimulationen für die neue Technologie kamen vom Team um Prof. Florian
Libisch und Prof. Joachim Burgdörfer an der TU Wien, das Experiment wurde an der RWTH Aachen von der Forschungsgruppe
von Prof. Markus Morgenstern durchgeführt. Beteiligt daran war auch das Team der nobelpreisgekrönten
Graphen-Entdecker Andre Geim und Kostya Novoselov aus Manchester, die die Materialproben beisteuerten. Publiziert
wurden die Ergebnisse nun im Fachjournal „Nature Nanotechnology“.
Energieunterschiede nach Wunsch einstellen
„Für viele Anwendungen im Bereich der Quantentechnologie braucht man ein Quantensystem, in dem ein Elektron
zwei verschiedene Zustände annehmen kann – ähnlich wie ein klassischer Lichtschalter, nur mit dem Unterschied,
dass die Quantenphysik auch beliebige Überlagerungen der beiden möglichen Zustände erlaubt“, erklärt
Prof. Florian Libisch vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien.
Eine ganz wichtige Eigenschaft solcher Systeme ist die Energiedifferenz zwischen diesen beiden Quantenzuständen:
„Man will in einem solchen System die Information, die in Form des Elektrons abgespeichert ist, möglichst
gut kontrollieren, speichern und auslesen können. Dafür wünscht man sich ein System, in dem sich
die Energiedifferenz zwischen den beiden Zuständen kontinuierlich einstellen lässt – von fast null bis
möglichst groß“, erklärt Libisch.
Bei in der Natur vorkommenden Systemen – etwa in einem Atom – ist das schwierig. Dort sind die Energien und damit
die Energiedifferenzen zwischen zwei erlaubten Zuständen fix vorgegeben. Möglich wird das gezielte Ändern
des Energieabstands allerdings in synthetisierten Nanostrukturen, in denen Elektronen eingesperrt werden. Man bezeichnet
solche Strukturen als „Quantenpunkte“ oder auch als „künstliche Atome“.
Zwei ultradünne Materialien: Graphen und Bornitrid
Dem internationalen Forschungsteam von TU Wien, RWTH Aachen und Universität Manchester gelang es nun, neuartige
Quantenpunkte zu entwickeln, in dem sich die einzelnen Energieniveaus der Elektronen viel besser und in größerem
Ausmaß steuern und kontrollieren lassen als bisher. Möglich wurde das durch eine Kombination von zwei
ganz besonderen Materialien: Zum einen Graphen, das aus nur einer einzigen leitenden Schicht von Kohlenstoff-Atomen
besteht, zum anderen hexagonales Bornitrid, einem Graphen stark ähnelnden atomar dünnen Material, das
aber isolierend ist.
Genau wie Graphen bildet auch Bornitrid eine sechseckig-wabenartige Struktur aus einzelnen Atomlagen. „Die Sechsecke
im Graphen und die Sechsecke im Bornitrid sind allerdings nicht exakt gleich groß“, sagt Florian Libisch.
„Wenn man nun eine einzige Schicht Graphen sorgfältig auf hexagonales Bornitrid legt, dann passen die beiden
Schichten nicht perfekt zusammen, dadurch entsteht eine Superstruktur mit einer Größe von einigen Nanometern,
die sich verbiegt und extrem regelmäßige Wellen schlägt.“
Wie die aufwändigen Berechnungen zeigten, die an der TU Wien durchgeführt werden, sind genau diese Verbiegungen
einer kombinierten Graphen-Bornitrid-Struktur der ideale Ort, um Elektronen zu kontrolieren. Die regelmäßigen
Wellen in der dünnen Struktur bilden eine Potentiallandschaft, in die man mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops
den Quantenpunkt punktgenau einpassen oder sogar kontinuierlich verschieben kann. Je nachdem, an welcher Stelle
sich die Spitze des Mikroskops befindet, ändern sich die erlaubten Energieniveaus der Elektronen. „Durch eine
Verschiebung um wenige Nanometer kann man den Unterschied zwischen zwei benachbarten Elektronen-Energien zwischen
-5 und +10 Milli-Elektronenvolt punktgenau einstellen – das ist etwa das Fünfzigfache dessen, was bisher möglich
war“, sagt Florian Libisch.
Auf dem Weg zu „Valleytronics“
Die Spitze des Rastertunnelmikroskops könnte in Zukunft durch eine Reihe nanoelektronischer Bauteile ersetzt
werden. So sollen die nun entdeckten Möglichkeiten des Kombinationsmaterials aus Graphen und Bornitrid zu
einer skalierbaren Quanten-Technologien führen – man spricht von „Valleytronics“.
„Das ist heute ein vieldiskutiertes Forschungsgebiet, das freilich noch am Anfang steht“, meint Florian Libisch.
„Die potenziellen technischen Möglichkeiten dieser ultradünnen Materialien sind jedenfalls vielversprechend
– weshalb die TU Wien 2017 auch ein Doktorandenkolleg zu diesem Thema ins Leben gerufen hat.“
Originalpublikation: Freitag et al.,
Large tunable valley splitting in edge-free graphene quantum dots on boron nitride, Nature Nanotechnology, 2018.
DOI: 10.1038/s41565-018-0080-8
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