"Ein Mensch bleiben, wenn einem alles Menschliche genommen wird" – Erinnerung an
ersten Gefangenen-Transport aus Österreich - Bünker: Demokratie braucht Achtung der Andersdenkenden
Dachau/Wien (epdÖ) - „Wie macht man das – ein Mensch zu bleiben, wenn einem alles Menschliche genommen
wird, bis hin zum Namen, und jede Menschliche Regung verboten ist?“ Mit dieser Frage erinnerte Bischof Michael
Bünker am 8. April in der Versöhnungskirche der Gedenkstätte des KZ Dachau an das Schicksal der
von den Nationalsozialisten Verfolgten, Gefangengenommen und Getöteten. Er spielte damit auf das Dachau-Lied
des österreichischen Schriftstellers Jura Soyfer an, in dessen Refrain es heißt: „Bleib ein Mensch,
Kamerad!“ Soyfer war im Juni 1938 selbst nach Dachau gekommen. Im Februar 1939 verstarb er im KZ Buchenwald.
„Gerechtigkeit wächst von denen her, denen sie versagt bleibt“
„Gerechtigkeit wächst nur von denen her, denen sie versagt bleibt, die nach ihr hungern und dürsten.
Sie sollen satt werden. Sie sollen aufgehoben werden aus dem Staub, in den sie die Stiefel der Unterdrückung
stoßen. Sie sind ‚selig‘, weil sie darauf vertrauen dürfen, dass Gott an ihrer Seite steht und sie nicht
verlässt“, sagte Bünker in seiner Predigt vor den Gottesdienstbesuchern aus Deutschland und Österreich,
die anlässlich des Gedenkens an den ersten Österreicher-Transport nach Dachau im April 1938 in die Gedenkstätte
bei München gekommen waren. 150 Menschen, darunter Juden und politisch Verfolgte, waren am 1. April am Wiener
Westbahnhof von der Kriminalpolizei an die Dachauer SS-Wachmannschaft übergeben worden.
„Bergpredigt Grundrichtung für politische Sachentscheidungen“
Neben dem Gedenken an die Ereignisse vor 80 Jahren schlug Bünker aber auch den Bogen zu aktuellen politischen
Entwicklungen: Während in der letzten Zeit wieder diskutiert werde, ob mit der Bergpredigt Politik gemacht
werden kann oder nicht, sei er „davon überzeugt, dass sie eine Grundrichtung angibt, an der sich auch diejenigen
orientieren können, die Tag für Tag politische Sachentscheidungen zu treffen haben.“
„Menschenrechte aus Blut und Tränen erwachsen“
Darüber hinaus erinnerte Bünker an die Folgen, die aus der menschlichen Katastrophe des Nationalsozialismus
und des Zweiten Weltkriegs entstanden seien: „Nach der Befreiung der Konzentrationslager ist aus Blut und Tränen
Neues entstanden“ – und dies auf politischer Ebene, in der Ökumene, sowie im Verhältnis der Kirchen zum
Judentum. Zudem seien „aus Blut und Tränen 1948 die Menschenrechte erwachsen, die uns heute ein gutes Zusammenleben
für alle ermöglichen.“
Abschließend mahnte Bünker ein, wachsam zu sein, wenn heute die Menschenwürde bedroht werde, wenn
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus wieder gehäuft aufträten, wenn Hass und Verachtung
geschürt würden: „Demokratie braucht den Respekt, die Achtung und Toleranz der Andersdenkenden, sie darf
dem Extremismus, der Intoleranz, der Herabwürdigung und dem Hass keinen Platz geben.“
Am ökumenischen Gedenkgottesdienst mitgewirkt haben auch auch der emeritierte katholische Linzer Bischof Maximilian
Aichern, Pfarrer Alfons Einsiedl, dessen Großvater Alois Renoldner 1938 als Gendarmerie-Oberst aus Österreich
ins KZ Dachau verschleppt worden war, Kirchenrat Björn Mensing, Landeskirchlicher Beauftragter für evangelische
Gedenkstättenarbeit und Pfarrer der Versöhnungskirche, und Pastoralreferent Ludwig Schmidinger, Bischöflicher
Beauftragter für KZ-Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München und Freising und katholischer
Seelsorger an der Gedenkstätte Dachau. Neben dem Gottesdienst widmeten sich in Dachau mehrere Führungen
der Erinnerung an den Österreicher-Transport, in der Versöhnungskirche ist zudem eine Ausstellung über
„Österreichischen Widerstand gegen Hitler“ zu sehen. Am deutsch-österreichischen Gedenkgottesdienst nahm
auch eine ökumenische Gruppe aus Tirol teil.
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