Wien (universität) - Der Gasunfall mit einem Toten in der Verteilerstation Baumgarten vom Dezember 2017
war über 150 Kilometer weit zu hören – allerdings nicht für Menschen. ForscherInnen am Institut
für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien um Götz Bokelmann haben die Druckwelle der Gasexplosion
in Form von sogenanntem Infraschall nachgewiesen – mit hoch empfindlichen Sensoren, die eigentlich die Erschütterungen
von Erdbeben aufzeichnen.
Nach Bekanntwerden des Zwischenfalls haben SeismologInnen am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität
Wien gezielt nach möglichen Signalen der Explosion gesucht. Die ForscherInnen sind Teil des europäischen
AlpArray-Projekts, in dessen Rahmen über den gesamten Alpenraum flächendeckend hoch empfindliche Seismometer
installiert wurden, um den Untergrund der Alpen zu erforschen und die Erdbebenaktivität besser zu verstehen
– in jede Himmelsrichtung nimmt nun alle 40 Kilometer ein Sensor die Erschütterungen des Erdbodens auf. Die
Universität Wien betreibt dreißig solcher Erdbebenstationen im Osten von Österreich und in der
Slowakei.
Diese Erdbebenstationen zeichneten ein deutliches Signal der Gasexplosion von Baumgarten auf – bis zu 180 Kilometer
von Baumgarten entfernt. "Zu unserem Erstaunen breitete sich das Signal jedoch sehr langsam aus und war fast
ausnahmslos nördlich und östlich von Baumgarten zu beobachten", erklärt Götz Bokelmann.
Schnell war klar, dass die Erdbebensensoren die Druckwelle der Gasexplosion gemessen hatten, welche sich allerdings
weniger als seismische Welle durch den Erdboden ausgebreitet hatte, sondern als akustische Druckwelle durch die
Atmosphäre, während sie für den Menschen unhörbar blieb.
Diese Infraschallwellen werden häufig bei Explosionen oder Vulkanausbrüchen beobachtet oder zur Detektion
von Nukleartests untersucht. Überraschend für die SeismologInnen war jedoch, wie deutlich diese akustischen
Signale in den Erdboden eindringen und somit für die Erdbebensensoren sichtbar werden. "Für uns
wirft das die spannende Frage auf, wie viele der 'seismischen Rauschsignale' in Wahrheit auf akustische Signale
zurückzuführen sind, die gar nicht aus dem Untergrund stammen", so Bokelmann.
MeteorologInnen des Instituts für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien lieferten schließlich
auch die Erklärung, weshalb das Signal ausschließlich nach Norden und Osten hin nachgewiesen werden
konnte: In den Stunden vor der Gasexplosion schob sich eine Kaltfront von Westen kommend über den Osten von
Österreich, die eine außergewöhnliche Reihung der Luftschichten innerhalb der Atmosphäre zur
Folge hatte: Die Lufttemperatur nahm nicht wie üblich mit der Höhe ab und die kalte Luft war am Boden
gefangen – somit auch die Schallwellen der Gasexplosion. Diese spezielle Wetterlage ermöglichte eine Detektion
der Druckwelle im weiteren Umkreis von Baumgarten. Kräftiger Wind aus Westen sorgte zudem dafür, dass
die Druckwelle vor allem nach Norden und Osten getragen wurde. Andere Infraschallwellen wurden noch in über
100 Kilometer Entfernung festgestellt, nachdem sie bis in über 30 Kilometern Höhe in die Stratosphäre
aufgestiegen waren.
Die GeophysikerInnen simulierten am Computer die erwartete Ausbreitung der Druckwelle anhand von Wettervorhersagemodellen
der MeteorologInnen – und konnten auf beeindruckende Weise zeigen, dass die Seismometer genau dort die Signale
der Gasexplosion aufzeichneten, wo es anhand des Atmosphärenmodells zu erwarten war. So war es mittels der
Simulationen möglich, den Zeitpunkt der Explosion auf die Sekunde genau zu bestimmen, was für die Landespolizei
Niederösterreich bei der Aufklärung des Unfallhergangs hilfreich war.
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