Was die Ungarn und Österreicher eint und trennt – Umgang mit der EU als Sündenbock
wird in beiden Ländern kritisiert - Wunsch nach „starkem Mann“ in Ungarn massiv – Umfrage
Budapest/Wien (ögfe) - „Am 8. April wählt Ungarn ein neues Parlament. Ein auch für Österreich
nicht unwichtiges Datum. Die beiden Länder verbinden traditionell enge Beziehungen, die durch die EU-Mitgliedschaft
noch wichtiger geworden sind, auch wenn sich die politischen Positionen durchaus unterscheiden. Die Differenzen
spiegeln sich im Meinungsbild von Österreichern und Ungarn wider“, betont Paul Schmidt, Leiter der Österreichischen
Gesellschaft für Europapolitik, mit Bezug auf zwei aktuelle Umfragen in den beiden Nachbarländern.
Die Mitgliedschaft in der EU ist in beiden Ländern unumstritten: 77 Prozent der ÖsterreicherInnen und
sogar 84 Prozent der UngarInnen sind dafür, dass ihr Land EU-Mitglied bleibt. Lediglich 15 Prozent der österreichischen
und 9 Prozent der ungarischen Befragten plädieren für einen EU-Austritt (Rest auf 100 Prozent = „weiß
nicht/Keine Angabe“ (wnk.).
„Ein Austritt aus der EU ist weder für die Menschen in Österreich noch in Ungarn - trotz massiven EU-Bashings
- ein Thema“, resümiert Schmidt. „Der oftmals wenig zimperliche Umgang mit der Union im nationalen politischen
Alltag wird in der Bevölkerung durchaus kritisch gesehen - in Ungarn häufiger als in Österreich.“
47 Prozent der UngarInnen und 29 Prozent der ÖsterreicherInnen sind der Ansicht, dass die EU in der politischen
Diskussion im eigenen Land „zu negativ“ dargestellt wird. 32 Prozent der österreichischen Befragten, aber
nur 8 Prozent der ungarischen sagen, dass die Darstellung der EU „zu positiv“ wäre. Je 29 Prozent halten sie
für fair (Rest = wnk.)
In beiden Ländern stimmt eine Mehrheit der Aussage zu, dass die EU häufig von den heimischen Politikern
als Sündenbock benützt wird, um von eigenen Schwächen abzulenken. In Ungarn sind es mehr als zwei
Drittel (69 Prozent), die diese Ansicht „völlig“ oder „eher“ vertreten, in Österreich mehr als die
Hälfte (57 Prozent). 23 Prozent der UngarInnen schließen sich dieser Meinung „eher nicht“ oder „gar
nicht“ an, in Österreich sind es 36 Prozent (Rest = wnk.)
UngarInnen wie ÖsterreicherInnen sagen mehrheitlich, dass die Union eine sehr oder eher positive Rolle spielt,
was das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten betrifft. In Österreich
sind es insgesamt 62 Prozent, in Ungarn 67 Prozent.
„Gerade, was die Frage von Asyl und Migration betrifft, fährt die Regierung in Budapest eine konfrontative
Linie, während sich Österreich über die letzten Jahre relativ gesehen konsensualer verhält.
In beiden Ländern muss jedoch „Brüssel“, nach Meinung einer Mehrheit, für Versäumnisse der
heimischen Politik herhalten. Eine ehrlichere und weniger von Emotionen getragene nationale Debatte, die gemeinsame
Lösungen forciert, wäre hier angebracht“, so Schmidt. „Auch wenn es um die Solidarität mit anderen
EU-Ländern geht, klaffen Fremd- und Selbstsicht teilweise deutlich auseinander. Ein Hinweis, die grenzüberschreitende
Kommunikation zu intensivieren und einander mehr zuzuhören.“
86 Prozent der ÖsterreicherInnen und 65 Prozent der UngarInnen meinen, dass ihr Land in punkto Solidarität
mit anderen EU-Mitgliedern eine sehr oder eher positive Rolle spielt. 11 Prozent der österreichischen und
28 Prozent der ungarischen Befragten sehen das anders (Rest = wnk.).
Eine Kluft zwischen den Ansichten der BürgerInnen und jenen der politischen Eliten wird in beiden Ländern
wahrgenommen – in Ungarn von 74 Prozent („völlig“ bzw. „eher“), in Österreich von insgesamt 61 Prozent.
Ebenso ausgeprägt ist der Wunsch nach einem „starken Mann in der Politik“, wobei dies für Ungarn in deutlich
stärkerem Maße gilt als für Österreich. So liegt der Zuspruch zu dieser Beschreibung hierzulande
bei 58 Prozent (32 Prozent: „ist mir sehr wichtig“ | 26 Prozent: „ist mir eher wichtig“), in Ungarn jedoch bei
88 Prozent (53 Prozent: „sehr wichtig“ | 35 Prozent: „eher wichtig“).
Zugleich werden „Demokratie und Menschenrechte“ fast einhellig von den Befragten in beiden Ländern für
wichtig gehalten – in Österreich (83 Prozent „sehr wichtig“ | 16 Prozent „eher wichtig“) jedoch häufiger
als im Nachbarland (70 Prozent: „sehr wichtig“ | 24 Prozent „eher wichtig“). Das gleiche gilt für eine unabhängige
Justiz, die 82 Prozent der ÖsterreicherInnen für „sehr wichtig“ und 15 Prozent für „eher wichtig“
halten, während für die UngarInnen die Wertigkeit geringfügig anders gelagert ist (68 Prozent: „sehr
wichtig“ | 24 Prozent: „eher wichtig“). Unabhängige Medien und Zivilgesellschaft halten 66 Prozent der ÖsterreicherInnen
für „sehr wichtig“ und 29 Prozent für „eher wichtig“, in Ungarn sind es geringfügig weniger (59
Prozent „sehr wichtig“ | 26 Prozent „eher wichtig“).
„Eine Politik, die auf die nationale Populismuskarte setzt, hinterlässt ihre Spuren in der öffentlichen
Meinung. Der Rückzug in nationale Befindlichkeiten ist das Gegenteil einer Antwort auf die globalen Herausforderungen.
Hier hat ein gemeinsames Europa deutlich mehr Potential“, meint Schmidt abschließend.
Quellen: Telefonische Umfragen, repräsentativ
für die Bevölkerung ab 18 Jahre/Gewichtung nach Geschlecht, Alter und Bildung.
Österreich: Sozialwissenschaftliche Studiengesellschaft (SWS) im Auftrag der ÖGfE, Tel SWS 268, 16.11.
bis 5.12.2017, N=512.
Ungarn: Závecz Research im Auftrag von Center for European Neighborhood Studies, Central European University
Budapest, 18. bis 22.12.2017, N=500. Maximale Schwankungsbreite ca. +/- 4,3 Prozent. Die Umfragen wurden als Teil
des Projekts „Anti EU-rhetoric versus own national interests? National populism and its reception in Central Europe”
im Rahmen des Europa für Bürgerinnen und Bürger Programms der Europäischen Union durchgeführt.
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