Ein „Digital Humanities“-Projekt
Salzburg (universität) - In Texten ist viel Wissen versteckt, das Forscher mit den gängigen Analyse-Methoden
bisher nicht sichtbar machen konnten. Mit der digitalen Informationsverarbeitung ist es nun möglich, verborgene
Muster und Strukturen in Texten zu erschließen und so zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Man spricht von
„Digital Humanities“, wenn in den Geistes- und Kulturwissenschaften computergestützte Verfahren zum Einsatz
kommen. Die Universität Salzburg setzt nun eine „Digital Humanities“-Initiative. Ein Musterbeispiel ist ein
Projekt des Historikers Arno Strohmeyer zur habsburgisch- osmanischen Diplomatie. Ziel dieses Projekts ist es,
zu einem besseren Verständnis darüber zu gelangen, wie stark das in Europa vorhandene Wissen über
die Osmanen von den Diplomatenbriefen des 17. Jahrhunderts geprägt war und was das für das Verhältnis
von Christen und Muslimen heute bedeutet.
„Die diplomatische Korrespondenz ist gerade auch heute sehr interessant, weil wir so die historische Dimension
von Problemen erkennen, die uns gegenwärtig sehr beschäftigen, wie „Multikulti“ oder das oft schwierige
Verhältnis von Muslimen und Christen“, sagt Arno Strohmeyer, Professor für Allgemeine Geschichte der
Neuzeit an der Universität Salzburg. Für bemerkenswert hält er etwa, dass die Muslime damals in
Konstantinopel Christen und Juden duldeten und es keine Zwangsbekehrungen gab, während der Kaiserhof in Wien
intolerant gegenüber Muslimen war. „Heute ist es umgekehrt. Heute ist eher die christliche Gesellschaft die
tolerante. Dieses Wissen hilft uns aktuell zwar nicht weiter, aber es erweitert den Horizont und wir sehen, dass
vieles einmal anders war und nicht grundsätzlich „wir“ die Guten sind und „die anderen“ die Bösen.“
Konstantinopel, die Stadt auf zwei Kontinenten, war viele Jahrhunderte eine der mächtigsten Metropolen
der Welt. Gesandte aus Asien, Afrika und Europa trafen sich hier, tauschten Informationen aus und berichteten in
ihre Heimat. So hatte Mitte des 17. Jahrhunderts der Kaiserhof in Wien großes Interesse an den Vorgängen
in der osmanischen Hauptstadt. Es war die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Die internationalen Beziehungen
in Europa wurden völlig neu geordnet. Die Türkenkriege, Kriegshandlungen zwischen dem sich ausbreitenden
Osmanischen Reich und dem christlich geprägten Europa, ruhten zwischenzeitlich. Friedensicherung stand ganz
oben auf der Agenda der Habsburger wie der Osmanen. Dazu beitragen sollten die regelmäßigen Briefe,
in denen die Diplomaten, die der Kaiserhof in Konstantinopel stationiert hatte, über die politischen Verhandlungen,
aber auch über das Leben in der Stadt, die Kultur und Gesellschaft der Osmanen informierten.
Das Wissen, das über die Osmanen nach Wien übermittelt wurde, entsprach jedoch nur sehr eingeschränkt
der Realität, betont Strohmeyer. Berichtet wurde oft das, was der eigenen Karriere förderlich war, was
als Klischee weitverbreitet war oder was der Kaiserhof hören wollte – und das waren oft negative Stereotype
wie das von den „barbarischen“ Osmanen. „Man hat in den Briefen und in den Reiseberichten einen Beleg dafür,
wie stark das europäische Wissen über die Osmanen damals medial geprägt war. Die heutige Macht der
Medien über die Wahrnehmung der Welt ist also nichts ganz Neues. Es gab damals zum Beispiel so eine Art Referenz-Reiseberichte,
die eine Meinung schafften, die von anderen immer wieder übernommen wurde, ohne zu prüfen ob der Sachverhalt
stimmt. Dazu gehörte das Feindbild Türke.“
Wie oft kommt in den rund eintausend Diplomatenbriefen das Stereotyp von den „barbarischen“, „gewaltbereiten“ oder
„wollüstigen“ Osmanen vor? Das ist eine von Strohmeyers Forschungsfragen. Mit den neuen computergestützten
Textanalysen (text mining) lässt sie sich erstmals exakt beantworten und so kann das damals konstruierte Türkenbild
präzise nachgezeichnet werden. Mit Hilfe der Computerwissenschaft lassen sich auch - was inzwischen als Selbstverständlichkeit
erscheint - Eigennamen, die im Text vorkommen, wie zum Beispiel Maximilian Graf von Trauttmansdorff, damals eine
der einflussreichsten Personen am Kaiserhof, zu biographischen Nachschlagewerken verlinken. Außerdem können
große Datenmengen visualisiert werden. „Ein besonderer Mehrwert bei der Anwendung modernster Methoden der
digitalen Editionstechnik und computergestützter Textanalyse besteht darin, dass die Ergebnisse später
open access, für alle frei zugänglich im Internet verfügbar sind,“ sagt der Salzburger Historiker,
der auch als wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Neuzeit- und Zeitgeschichtsforschung der Österreichischen
Akademie der Wissenschaften in Wien tätig ist.
Die „digitale Vermessung der Kultur“ bedeutet einen tiefgreifenden Strukturwandel in den Geisteswissenschaften,
deren Verfahren traditionell bisher eher die Textkritik als das Rechnen war. Gerade aber in der Geschichtsforschung
hat sich die Computerwissenschaft inzwischen zu einer wichtigen Grundlagenwissenschaft entwickelt und sie werde
in den nächsten Jahren noch wichtiger werden, sagt Strohmeyer. http://diploko.at/
Kooperationspartner des vom Österreichischen Wissenschaftsfond FWF geförderten Projekts „Die Medialität
diplomatischer Kommunikation: Habsburgische Gesandte in Konstantinopel in der Mitte des 17. Jahrhundert“ sind das
Austrian Centre for Digital Humanities der Universität Graz (liefert die IT - Kompetenz) und das Institut
für Geschichte der Universität Szeged/Ungarn (Osmanistik-Expertise). Das Projekt läuft von 2017
bis 2021.
Andere Digital Humanities Projekte an der Universität Salzburg sind beispielsweise eine historische Rezeptdatenbank
(Marlene Ernst), das Salzburger Kulturlexikon (Christian Uhlir), die digitale Bilddatenbank REALonline (Ingrid
Matschinegg) oder eine Briefsammlung von österreichischen Auswanderer/innen (Sylvia Hahn).
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