Das Bundeskriminalamt in Wien zeigt mit dem Projekt "Seidenstraße", wie Österreicherinnen
und Österreicher mit Migrationshintergrund als sprachliche Brückenbauer eine Karriere bei der Polizei
machen können. Das einzigartige Projekt im Blickpunkt.
Wien (bmi) - Rumänisch, Bulgarisch, Serbisch, Bosnisch, Türkisch, Kurdisch, Arabisch, die Sprachen
Farsi und Dari, Urdu, Punjabi oder Hindi, und bald auch Paschtu – es gibt wohl kaum eine Polizei-Dienststelle in
Österreich, in der unterschiedlichere Sprachen zusammenkommen, als in der Zentralstelle zur Bekämpfung
der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels im Bundeskriminalamt in Wien. "Wir sind sehr stolz,
dass wir mit 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Zusammensetzung haben", sagt jener Mann, in dessen
Joint Operational Office (JOO) sich internationale Ermittler der Schleppereibekämpfung die Türklinke
in die Hand geben, in der länderübergreifende Ermittlungen gegen Schleppernetzwerke geführt werden,
in der laufend die Migrationslage in Österreich und Europa beobachtet und beurteilt wird. Und in der seit
Jänner 2018 das Projekt "Seidenstraße" (Silk Road) angelaufen ist, das die Zusammenarbeit
in der Schleppereibekämpfung mit afghanischen und pakistanischen Behörden verstärken soll und von
der Europäischen Union finanziert wird.
Projekt "Seidenstraße"
"Wir wollen das Übel an der Wurzel packen und jenen Travel Agents, wie sie sich nennen, also Schleppern,
wie wir sie nennen, vor Ort das Handwerk legen", sagt Brigadier Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle
zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels im Bundeskriminalamt. "Schlepper
schüren Hoffnungen, nehmen Tausende Euros ab und bleiben strafrechtlich oft unbelangt - das wollen wir ändern."
Das Ziel von Schleppern seien häufig einfache Menschen vom Land, ergänzt Azhar, einer von drei "interkulturellen
Mediatoren", die für die Dauer des zweijährigen Projekts im Bundeskriminalamt aufgenommen worden
sind. "Diese Menschen werden falsch informiert, verkaufen ihr Hab und Gut, borgen sich vielleicht auch noch
Geld aus, und können, wenn sie einmal auf der Flucht oder in einem Zielland angekommen sind, nie wieder in
ihre Heimat zurückkehren. Deshalb muss das schon am Anfang gestoppt werden", sagt Azhar.
Azhar kam vor zehn Jahren als internationaler Student nach Österreich. Er studierte Betriebswirtschaft, wechselte
später zum Bachelorstudium "Kultur- und Sozialanthropologie", das er bald abschließen wird.
Seit 2012 arbeitet er als Dolmetscher der Sprachen "Urdu", "Punjabi", "Hindi" und
"Englisch" für die Landespolizeidirektionen Niederösterreich und Burgenland. "Sowohl bei
der Erstbefragung als auch im Bereich der Schlepperbekämpfung", sagt er. "Daneben habe ich im Afroasiatischen
Institut in Wien als interkultureller und interreligiöser Referent gearbeitet – mit einem ähnlichen Ziel
wie hier, nämlich kulturelle Brücken zu bauen, Differenzen und Missverständnisse auszuräumen."
Seit Jänner 2018 arbeitet Azhar im Bundeskriminalamt. "Mir gefällt besonders die Idee, die dahinter
steht. Das hätte schon längst passieren sollen", sagt er.
Mittendrin in der Kultur
Schon vor Jahren hatte Gerald Tatzgern die Idee, Menschen mit Migrationshintergrund im Bundeskriminalamt als sogenannte
"Brückenbauer" einzustellen. "Weil sie besser über Communities Bescheid wissen, über
das Verhalten, das Ansprechen von Menschen fremder Kulturen, weil sie Trends besser und rascher erkennen oder soziale
Medien in der jeweiligen Landessprache durchforsten können", sagt der Abteilungsleiter. "Und natürlich
auch, um uns bei richterlich angeordneten Maßnahmen wie Telefonüberwachungen, Hausdurchsuchungen oder
Einvernahmen kriminalpolizeilich unterstützen zu können." Mit dem EU-Vorsitz im Bereich "Schlepperei"
sei dies 2018 im Rahmen des Projekts "Seidenstraße" möglich geworden, ergänzt Tatzgern.
Seitdem arbeiten neben Azhar aus Pakistan Susanna, die ägyptische Wurzeln hat, und Suzan aus Afghanistan,
als interkulturelle Mediatoren in der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des
Menschenhandels.
Interkulturelle Mediatoren
Susanna wuchs zweisprachig in Wien auf. Sie studierte Arabistik und Publizistik in Wien, arbeitet seit 2015 als
Dolmetscherin für die arabische und englische Sprache. "Ich sehe mich als Brücke zwischen der arabisch-islamischen
und der österreichischen Kultur, und das möchte ich auch den Menschen mitgeben", sagt sie. "Ausschlaggebend
dafür, warum ich hier im Bundeskriminalamt zu arbeiten begonnen habe, war, dass ich Hintergründe aufklären
und Vorurteile abbauen möchte, beispielsweise darüber, warum es in bestimmten Kulturkreisen nicht üblich
ist, sich zur Begrüßung die Hand zu reichen."
Manchmal müsse er schmunzeln, sagt Tatzgern, wenn er anfangs skeptische Blicke von Kolleginnen oder Kollegen
ernte, weil sie die interkulturellen Mediatoren nicht zuordnen könnten. "Nach relativ kurzer Zeit finden
sie es aber trotz aller anfänglichen Skepsis doch gut, da sie viel über Verhalten, Kommunikation oder
Kultur des jeweiligen Landes lernen können." Neu seien auch die Sichtschutzwesten mit der Aufschrift
"Police Interpreter", die einerseits signalisieren sollen, "sie gehören zu uns, sind aber keine
Polizeibediensteten", andererseits Betroffene darauf hinweisen sollen, "dass sie für die staatliche
Autorität arbeiten". "Wir haben bisher zwar viel ‚scheinbares Wissen" über Afghanistan
oder Pakistan gehabt, aber mit unseren Mediatoren ist es ‚gelebtes Wissen", und dieser Mehrwert stärkt
auch unsere Dienststelle", sagt Tatzgern.
Suzan, die dritte Mediatorin, ist seit acht Jahren in Österreich. Sie kam mit ihrem damals vierjährigen
Sohn nach Europa, "wohin, das habe ich mir nicht aussuchen können – aber Gott sei Dank ist es Österreich
geworden." Aufgrund einer Empfehlung landete sie im Bundeskriminalamt. Sie deckt die Sprachen "Farsi"
und "Dari" ab. "Ich möchte Österreich danke sagen, dass ich diese Gelegenheit erhalten
habe, und ich möchte dafür mit meinen Sprachkenntnissen und meinem Insiderwissen den Menschen in diesem
Land etwas zurückgeben", sagt sie.
Einzigartig in Europa
"Es gibt in Europa kein vergleichbares Projekt", sagt Tatzgern. "Erst vor kurzem haben serbische
Polizeibehörden gemeinsam mit unserer Abteilung eine große Ermittlung geführt. Da sie aber nicht
die finanziellen Mittel gehabt haben, die richterlich angeordneten Telefonüberwachungsgespräche zu übersetzen,
ist Azhar mit einer österreichischen Polizistin nach Serbien gefahren und hat Hunderte Telefongespräche
übersetzt. Das war dann ausschlaggebend, dass sieben weitere Haftbefehle von den Gerichten ausgestellt worden
sind und Verhaftungen vorgenommen werden konnten."
Derzeit werde ein Bewerbungsgespräch mit einem weiteren möglichen Mitarbeiter für die Sprachen "Dari"
und "Paschtu" geführt, sagt Tatzgern. Worauf wird dabei besonders geachtet? "Man muss unter
anderem abklären, wie sehr der Bewerber mit der hier angesiedelten Community verbunden ist, weil immer die
Gefahr gegeben ist, dass sensible Maßnahmen weiter getragen werden." Das sei eine ganz heikle Sache,
da gehöre aber auch Vertrauen dazu. "Und natürlich muss dieser neue Mitarbeiter in unser Team passen."
Was in Zukunft möglich sein könnte
"Grundsätzlich sind wir zuständig für die Bekämpfung der Schlepperkriminalität und
des Menschenhandels", sagt Tatzgern. "Ich sehe aber auch ein Riesenpotential in der polizeilichen Aufarbeitung
der Folgewirkungen von Migration. Sehen wir uns den Praterstern an, wo es öfter Vorfälle vor allem mit
afghanischen Männern gibt." Da gehe es um Ermittlungen zu Drogendelikten, Gewaltkriminalität, insbesondere
im Bereich der sexuellen Gewalt, die von Polizistinnen und Polizisten geführt werden, denen die sprachliche
Kompetenz fehle. "Diese Brücke müsste ausgebaut werden, den Kolleginnen und Kollegen, die diese
Ermittlungen führen, muss geholfen werden." Man müsse verstehen, warum beispielsweise afghanische
Männer mehr sexuelle Gewalt ausüben als Männer anderer Nationalitäten. Man könne vielleicht
Antworten geben, warum das so ist, was man dagegen machen und welche Kampagnen man leiten kann. "Das bringt
Vorteile für uns, aber auch für die Betroffenen. Diese fühlen sich oft missverstanden, oder gar
nicht verstanden. Ich vergleiche das immer mit einem Fön und einer Steckdose im Ausland. Ich habe einen Fön,
habe Strom, aber der Fön funktioniert nicht, weil der Adapter fehlt", sagt Tatzgern.
Im Projekt Seidenstraße sei geplant, nach Afghanistan und Pakistan zu reisen, sofern es die Sicherheitslage
zulasse. "Da ist es natürlich von Vorteil, wenn ein Mitarbeiter mitreist, der die Sprache spricht."
Das sei professionell und eine Wertschätzung dem Land gegenüber. "Wir werden demnächst auch
Delegationen aus Pakistan und Afghanistan einladen", ergänzt der Abteilungsleiter. "Wir werden klarlegen,
worum es uns geht, nämlich einander kennenzulernen, Best Practices auszutauschen, ein gemeinsames Ziel zu
definieren." Hoch gesteckte Ziele, gibt Brigadier Gerald Tatzgern zu, "wenn wir aber nur ein einziges
Schleppernetzwerk zerschlagen, haben wir schon etwas erreicht."
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