Leicht steigende Zustimmungsraten für potentielle EU-Beitrittswerber, wenn auch auf niedrigem
Niveau – Ablehnung einzelner Länder des Westbalkans stark rückläufig – Kontinuierlich starke Ablehnung
eines EU-Beitritts der Türkei - Umfrage
Wien (ögfe) - „Morgen präsentiert die EU-Kommission wieder ihr jährliches Erweiterungspaket
zu den Ländern des Westbalkans und zur Türkei. Seit dem EU-Beitritt Kroatiens vor fünf Jahren ist
das Thema Erweiterung für die Österreicher jedoch in den Hintergrund gerückt. Die Zustimmung zu
den einzelnen Beitrittskandidaten am Westbalkan bewegt sich - trotz leichten Verbesserungen im Zeitverlauf - auf
niedrigem Niveau. Interessant ist allerdings auch, dass nunmehr die Ablehnung einzelner Länder teils stark
rückläufig ist“, betont Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für
Europapolitik (ÖGfE), am 16. April in Bezug auf eine aktuelle österreichweite ÖGfE-Umfrage.
Hinsichtlich der einzelnen (potentiellen) Beitrittskandidaten herrscht unter den ÖsterreicherInnen ein zumeist
recht einheitliches Meinungsbild. Eine Ausnahme bildet die Türkei, deren EU-Mitgliedschaft deutlich stärker
abgelehnt wird.
Einen EU-Beitritt von Bosnien und Herzegowina begrüßen 31 Prozent der Befragten, 36 Prozent lehnen ihn
ab, 24 Prozent ist es – nach eigenen Angaben – egal, ob das Land EU-Mitglied wird. (Rest auf 100 Prozent = „weiß
nicht/Keine Angabe“ – gilt auch für folgende Werte).
Im Fall von Serbien sind es 29 Prozent, die eine EU-Mitgliedschaft des Landes begrüßen würden,
während 45 Prozent eine solche ablehnen und 15 Prozent sich indifferent zeigen.
Ähnlich gestaltet sich das Meinungsbild, wenn es um einen möglichen Beitritt Mazedoniens (FYROM) geht:
26 Prozent würden ihn begrüßen, 41 Prozent ablehnen, 25 Prozent ist es „egal“.
Nahezu ident ist die Einstellung zu einem potentiellen EU-Zugang Montenegro: 27 Prozent würden das Land an
der Adria als neues EU-Mitglied begrüßen, 39 Prozent jedoch ablehnen, 24 Prozent antworten „egal“.
Ein etwaiger EU-Beitritt von Albanien und dem Kosovo wird nahezu gleich beurteilt: Je 23 Prozent würden einen
solchen begrüßen, je 22 Prozent wäre es „egal“, 45 Prozent bzw. 46 Prozent äußern sich
ablehnend.
Dagegen könnte sich gegenwärtig nur knapp eine/r von zehn Befragten (9 Prozent) die Türkei als EU-Mitglied
vorstellen. Drei Viertel der Befragten lehnen einen EU-Beitritt der Türkei jedoch ab (76 Prozent), während
sich 13 Prozent indifferent zeigen.
Ein Blick auf eine seit dem Jahr 2010 bestehende ÖGfE-Zeitreihe macht deutlich, dass die Werte der expliziten
Zustimmung zu den einzelnen Beitrittskandidaten am Westbalkan sich zwar auf niedrigem Niveau bewegen, jedoch ein
leichter Trend nach oben festzustellen ist, während die Ablehnung einzelner Länder teils stark rückläufig
ist bzw. die Indifferenz steigt. So im Fall von Albanien (minus 23 PP seit Herbst 2012), Bosnien-Herzegowina (minus
22 Prozentpunkte seit Herbst 2012), des Kosovo (minus 20 PP seit Herbst 2012) oder Serbiens (minus 17 PP seit Herbst
2013). Bei Mazedonien (FYROM) und Montenegro schwankt das Meinungsbild etwas stärker, doch auch hier geht
die explizite Ablehnung teils stark zurück. Im Fall der Türkei zeigt sich hingegen in den letzten Jahren
ein Trend zu stärkerer Ablehnung eines EU-Beitritts.
„Kommissionspräsident Juncker hat namentlich Serbien und Montenegro einen möglichen EU-Beitritt im besten
Fall für das Jahr 2025 in Aussicht gestellt. Allerdings müssten die beiden Länder bis dahin noch
massive Anstrengungen unternehmen, soll dieses Datum einigermaßen erreichbar scheinen. Das betrifft im Besonderen
die Bereiche Grundrechte, Rechtstaatlichkeit und Regierungsführung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.
Für alle Beitrittsaspiranten gilt zudem, dass bilaterale Streitpunkte noch vor einer potentiellen EU-Mitgliedschaft
beigelegt werden müssen, sodass Konflikte nicht in die Union importiert werden“, sagt Schmidt. „Was die Türkei
anlangt, so sollten die Gesprächskanäle jedenfalls offen gehalten werden, auch wenn ein EU-Beitritt Ankaras
derzeit keine realistische Perspektive darstellt.“
Nur ein knappes Viertel (23 Prozent) der Befragten möchte, dass Österreich als Motor für eine Aufnahme
der Westbalkan-Länder in die EU auftritt. Knapp sechs von zehn Befragten (58 Prozent) halten das nicht für
notwendig, während ein Fünftel in dieser Frage keine Stellungnahme abgeben kann (19 Prozent). Im Vergleich
zu Oktober 2016 ist das Meinungsbild der ÖsterreicherInnen hierzu praktisch ident geblieben.
„Die EU-Annäherung der Länder am Westbalkan wird seit langem auch von Österreich unterstützt.
Die Tatsache, dass sich Österreich kontinuierlich als aktiver Partner des Beitrittsprozesses positioniert,
könnte zumindest dazu beigetragen haben, dass die dezidierte Ablehnung einzelner Balkan-Länder über
die vergangenen Jahre merklich zurückgegangen ist. Solange allerdings die Neuordnung der EU nicht auf Schiene
ist, wird die Zustimmung zu einer Erweiterung der Union weiterhin verhalten bleiben. Gleichzeitig darf die Integration
der Westbalkan-Region nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden, sondern muss stärker als bisher
auf die europäische Tagesordnung rücken, um auch dem Reformprozess in Südosteuropa neuen Schwung
zu verleihen“, hält Schmidt fest.
Die Umfrage wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft vom 20.
bis 28. März 2018 im Auftrag der ÖGfE durchgeführt (Tel SWS 273). Befragt wurden österreichweit
514 Personen per Telefon. Vergleichsumfrage Tel ASB 63 (September 2012, N=503). Umfragen repräsentativ für
die österreichische Bevölkerung ab 16 Jahre/Gewichtung nach Geschlecht, Alter und Bildung). Maximale
Schwankungsbreite ca. +/- 4,3 Prozent. Rest auf 100 Prozent = „weiß nicht/Keine Angabe“.
|