Wiener Forschungsinstitute kartieren Gehirnfunktionen im Computer
Wien (vrvis) - Forscherinnen und Forscher des VRVis Zentrums für Virtual Reality und Visualisierung
und des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) entwickelten ein Verfahren, das eine Brücke zwischen
Informationen über neuronale Schaltkreise und Genome schlägt. Die verwendeten Gehirn- und Gendaten sind
öffentlich verfügbar und werfen spannende Fragen über den Umgang mit großen Datenmengen in
Biologie und Medizin auf.
Ein zentrales Ziel in den Neurowissenschaften und der Psychiatrie ist es zu verstehen, wie genetische Variationen
unser Verhalten beeinflussen. Verhaltenseigenschaften wie etwa Furcht- oder Schmerzempfinden können vom Zusammenspiel
mehrerer Gene abhängig sein. Die herausfordernde Frage ist, über welche neuronalen Schaltkreise diese
Gene zusammenwirken, um eine bestimmte Verhaltenseigenschaft zu beeinflussen. Bisher konnte dies nur unvollständig
und mit großem Aufwand beantwortet werden.
Das neue Verfahren, in der Fachzeitschrift Neuroimage publiziert, stützt sich auf einen dynamischen Trend:
Seit Jahren tragen Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler große Datenmengen über die Architektur
des Gehirns zusammen. Zahlreiche Forschungsinitiativen kartieren die Verbindungen in Gehirnen mit neuesten Methoden
immer detaillierter und erstellen sogenannte Konnektome. Parallel dazu wächst die Kenntnis über Gene,
die mit bestimmten Verhaltensweisen in Verbindung stehen.
Brückenschlag in der Neurowissenschaft
Das gemeinsame Forschungsprojekt von VRVis und IMP schafft nun den Brückenschlag zwischen beiden Welten:
es kombiniert Karten neuronaler Schaltkreise mit genetischen Informationen, wodurch funktionelle neuroanatomische
Karten errechnet werden können. Diese neue Methode ermöglicht Vorhersagen, über welche dieser Schaltkreise
bestimmte Gene Verhaltenseigenschaften beeinflussen. Die Zuverlässigkeit der Methode testeten die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler durch die Vorhersage bekannter neuronaler Schaltkreise, die charakteristischen Verhaltensweisen
bei psychiatrischen Erkrankungen zugrunde liegen. Darüber hinaus konnten sie mit dieser genetisch gewichteten
Netzwerksanalyse auch neue Knotenpunkte bestimmten Verhaltensweisen zuordnen und somit die bis jetzt bekannten
neuroanatomischen Karten verfeinern.
Wulf Haubensak, Gruppenleiter am IMP, zeigt sich sehr erfreut über die Ergebnisse und erörtert mögliche
Anwendungen: „In Zukunft könnte unsere Methode dazu eingesetzt werden, um den Zusammenhang zwischen genetischen
Variationen und veränderten Verhaltensweisen etwa bei psychiatrischen Erkrankungen, wie zum Beispiel verschiedenen
Formen von Autismus oder Angststörungen besser zu verstehen.“
Um „neuroanatomische Landkarten“ zu erzeugen setzten die Forscherinnen und Forscher einen Algorithmus ein, der
Genexpressionsdaten (also Informationen über Gene und Zeitpunkt, Ort und Intensität ihrer Aktivität)
mit Konnektivitätsdaten (Informationen über Netzwerke von Nervenzellen im Gehirn) verbindet und akkumuliert.
Nun können Synergieeffekte von Genen im Netzwerk berechnet und analysiert werden. „Die Visualisierung von
neurobiologischen Zusammenhängen beginnt bereits bei den Rohdaten, weshalb der Fokus bei diesem Projekt auf
der Erstellung der mathematischen Methode lag,“ so Florian Ganglberger, Doktorand am VRVis und Erstautor der Studie.
„Unsere Methode erlaubt die Verwendung der heute verfügbaren Big Data Ressourcen, die von großen Hirnforschungsinitiativen
weltweit generiert werden. Sie ermöglicht Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftlern, Zusammenhänge
zwischen Genen, Gehirnstruktur und -funktion in silico und mit hohen Durchsatzraten zu erforschen und so aufwändige
und kostenintensive Experimente wesentlich gezielter zu designen und durchzuführen“ sagt Katja Bühler,
Leiterin der Biomedical Image Informatics-Forschungsgruppe am VRVis.
Zukünftige Forschung
Die Grundlagenforschung kann solche Verfahren einsetzen, um computergestützt detailliertere neuroanatomische
Karten zu erstellen. Zudem könnten Forscherinnen und Forscher Experimente im Computer simulieren und nachfolgende
Versuche gezielter durchzuführen. In der medizinischen Forschung könnte das Verfahren mit klinischen
Studien verbunden werden, um die Zusammenhänge zwischen Genom und Gehirn bei psychiatrischen Erkrankungen
besser zu verstehen.
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