Innsbruck (universität) - Eis ist nicht gleich Eis. Abhängig von Druck und Temperatur bilden Wassermoleküle
unterschiedliche Strukturen aus, insgesamt siebzehn kristalline Eisformen konnten bisher nachgewiesen werden. Ein
Team um den Innsbrucker Chemiker Thomas Lörting hat nun eine weitere Eisform entdeckt. Sobald die Kristallstruktur
bestimmt ist, könnte es als Eis XVIII in die Lehrbücher eingehen.
Während Eis I als Schnee und Eis auf der Erde zu finden ist, findet man auf der Oberfläche unseres Planeten
- außer in Forschungslaboren - keine anderen Eisformen. Viele Eisformen entstehen in den Weiten des Weltalls
unter besonderen Druck- und Temperaturverhältnissen. Eis VI wurde auf Himmelskörpern wie dem Jupitermond
Ganymed indirekt nachgewiesen. Dort sorgen hunderte Kilometer dicke Eisschichten für die notwendigen Druckverhältnisse.
Eis VI gibt es aber auch im Inneren der Erde, nämlich im oberen Erdmantel in 200 bis 500 Kilometern Tiefe
bei Temperaturen oberhalb von null Grad Celsius, wie Einschlüsse in Diamanten belegen. Obwohl diese Eisform
als kristallin bezeichnet wird, handelt es sich bei Eis VI eigentlich um einen sogenannten frustrierten Kristall,
weil hier nur die Sauerstoffatome periodisch angeordnet sind, während die Wasserstoffatome chaotisch orientiert
sind. Wird Eis VI abgekühlt, so können sich auch die Wasserstoffatome periodisch anordnen, und es entsteht
eine neue, geordnete Eisform, genannt Eis XV. Für beinahe alle ungeordneten Eisformen wurden in der Vergangenheit
auch entsprechende geordnete Eisformen nachgewiesen. „Aus Eis VI hat Christoph Salzmann 2009 hier in Innsbruck
erstmals die geordnete Eisform Eis XV hergestellt“, erzählt Thomas Lörting vom Institut für Physikalische
Chemie der Universität Innsbruck. Durch einen veränderten Herstellungsprozess ist es dem Team um Lörting
nun gelungen, eine zweite geordnete Form für Eis VI zu erzeugen. Wie umfangreiche Analysen zeigen, die gemeinsam
mit dem Team um Roland Böhmer an der TU Dortmund durchgeführt wurden, weist diese Eisform eine neue Art
von Ordnung auf. Noch ist es den Wissenschaftlern nicht gelungen, deren Kristallstruktur zu bestimmen. Sobald diese
gefunden ist, könnte die neu entdeckte Form als Eis XVIII Eingang in die Lehrbücher finden. Im Gegensatz
zum bekannten Herstellungsprozess haben die Innsbrucker Forscher die Abkühlrate deutlich verlangsamt und den
Druck auf rund 20 kbar erhöht. Mit dieser Methode ist es erstmals gelungen, in einer gegebenen periodischen
Anordnung der Sauerstoffatome die Wasserstoffatome in einer zweiten Art und Weise anzuordnen. „Mit unserer Methode
ist es möglich, die Ordnung der Wasser-Dipole und damit die Eigenschaften des Eises zu steuern. Die Dielektrizitätskonstante
dieser Eisformen kann sich zum Beispiel um das Hundertfache unterscheiden“, sieht Thomas Lörting auch Potential
für die Materialwissenschaften.
Die Vielfalt des Eises
Die atomare Struktur, insbesondere die genauen Positionen der Wasserstoffatome, zu ermitteln ist nicht einfach,
denn Wasserstoff ist sehr leicht und kann sowohl mit Röntgen- als auch Neutronenbeugungsmethoden
nur sehr schwer eindeutig positioniert werden. Die Innsbrucker Chemiker wollen deshalb in Zukunft einen Trick anwenden
und das gleiche Eis mit Wassermolekülen aus Sauerstoff und Deuterium herstellen. Die exakten Positionen des
auch als schwerer Wasserstoff bekannten Deuterium im Kristallgitter könnten mittels Neutronenbeugung nachgewiesen
und so die Wasserstoffordnung in der neuen Eisphase bestimmt werden. „Und mit unserem Know-how entstehen in den
Laboren vielleicht bald schon viele weitere Abwandlungen von Wassereis“, blickt Thomas Lörting bereits in
die Zukunft.
Die Arbeiten entstanden im Rahmen der Forschungsplattform für Material- und Nanowissenschaften der Universität
Innsbruck und wurden vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft
DFG finanziell unterstützt.
Publikation: Experiments indicating a second hydrogen ordered phase of ice VI. Tobias M. Gasser, Alexander
V. Thoeny, Lucie J. Plaga, Karsten W. Köster, Martin Etter, Roland Böhmer and Thomas Loerting. Chem.
Sci., 2018 DOI: 10.1039/C8SC00135A
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