Die Rolle der Bahn im Nationalsozialismus von 1938-1945 wird umfassend beleuchtet – Ab 17.
April 2018 ist die Ausstellung im Mauthausen Memorial zu sehen
Mauthausen/Wien (öbb) - Im Jahr 2018 feiert die Eisenbahn in Österreich ihr 180-jähriges
Jubiläum. Dabei werden die enormen technischen Errungenschaften und die Bedeutung der Bahn für die industrielle
Revolution, für Erneuerung und den wirtschaftlichen Aufschwung thematisiert. Die ÖBB haben sich aber
auch mit den dunklen Zeiten des Systems Schiene beschäftigt. In der Ausstellung „Verdrängte Jahre“ wurde
jener Zeitraum thematisiert, in dem die Österreichischen Bundesbahnen (damals BBÖ) ein Teil der Deutschen
Reichsbahn waren. Von 1938 bis 1945 war die Bahn eine der wichtigsten Stützen des nationalsozialistischen
Staates. In sieben thematischen Schwerpunkten werden verschiedenste Bereiche dieser dunklen Zeit eindrucksvoll
und emotional gezeigt. Auch die Bahngeschichte in der NS-Zeit im Bundesland Oberösterreich wird dargestellt.
Nach den bisherigen Stationen in Wien, Linz, Salzburg, Graz, Wiener Neustadt, St. Pölten und Tel Aviv wechselt
die Wanderausstellung nun ins das Mauthausen Memorial im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen – und damit
an einen der grausamsten Orte, die mit der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich verbunden sind. In Mauthausen
und seinen Nebenlagern wurden zwischen 1938 und 1945 rund 100.000 Menschen ermordet.
Ausstellungseröffnung am Bahnhof Mauthausen
Ein Teil der umfassenden Ausstellung wurde am 17. April am Bahnhof Mauthausen von ÖBB-Finanzvorstand Josef
Halbmayr gemeinsam mit Barbara Glück, Direktorin des Mauthausen Memorial, Oskar Deutsch, Präsident der
israelitischen Religionsgemeinschaft IRG, Talya Lador-Fresher, Botschafterin des Staates Israel in Österreich,
Karoline Edtstadler, Staatssekretärin im Bundesministerium für Inneres und Thomas Punkenhofer, Bürgermeister
von Mauthausen eröffnet. Am Bahnhof Mauthausen sind tausende spätere Gefangene des KZ angekommen und
mussten von dort aus den Weg zum mehrere Kilometer entfernten KZ antreten. Der Bahnhof ist zum Teil noch erhalten:
So stammt etwa das Stellwerk noch aus der Zwischenkriegszeit. Zum KZ-System Mauthausen gehörte auch ein Feldbahnsystem,
das zwischen dem Bahnhof Mauthausen und den Bahnhöfen St. Valentin und St. Georgen an der Gusen eingerichtet
war und nicht nur das KZ-System Mauthausen mit den Außenlagern verbunden hat, sondern mit dessen Hilfe die
von den KZ-Gefangenen abgetragenen Steine zur Bahn gebracht worden sind. Die Steine wurden dann mit den Güterzügen
entlang der normalen Bahnstrecke transportiert.
Bahn als Teil des Systems
Für Talya Lador-Fresher, Botschafterin Israels in Österreich ist „Mauthausen noch immer eine offene Wunde
für die Bevölkerung in Österreich, für die Menschen in Israel, und Jüdinnen und Juden
weltweit“. Lador-Fresher: „Dass sich ein so schreckliches Lager, in dem unmenschliche Verbrechen begangen wurden,
mitten in Österreich befindet, ist nur sehr schwer mit der schönen Landschaft und dem beschaulichen Leben
in der Region in Einklang zu bringen.“ Dasselbe gilt für Lador-Fresher „auch für die Bahn als etwas Vertrautes,
das jeden Tag von tausenden Menschen genutzt wird. Und dennoch wurde sie in den Jahren 1938 bis 1945 in ein Werkzeug
für furchtbare Taten verwandelt – auch dies ist schwer zu begreifen. Die Ausstellung ‚Verdrängte Jahre
- Bahn und Nationalismus in Österreich‘ unternimmt den Versuch, diesen Widerspruch trotzdem zu vermitteln.“
„Die österreichische Bundesregierung bekennt sich im Regierungsprogramm klar zur historischen Verantwortung
Österreichs. Mir ist es ein Herzensanliegen, ein inhaltlich breit aufgestelltes und würdiges Gedenken
zu ermöglichen. Daher sind Ausstellungen wie diese, und vor allem die akribische wissenschaftliche Arbeit
dahinter, unendlich wertvoll für die Vermittlung dieser schrecklichen Zeit. Das zusammengetragene und aufbereitete
Wissen wird uns helfen, weiter zu forschen und möglicherweise besser zu verstehen. Ich danke der ÖBB,
dass sie so vorbildlich ihre historische Verantwortung wahrnimmt“, so Staatssekretärin Mag. Karoline Edtstadler.
Oskar Deutsch, Präsident der israelitischen Religionsgemeinschaft IRG: „Bereits vor dem Novemberpogrom in
Wien, nämlich am 8. August 1938, trafen die ersten Häftlinge für den Lageraufbau in Mauthausen ein.
In den nächsten Jahren wurde das Konzentrationslager Mauthausen zu einem der gefürchtetsten Lager im
gesamten KZ System. Teil dieses Systems waren auch Österreichs Bahnen, in deren Zügen tausende ausgehungerte
Häftlinge nach Mauthausen verbracht wurden.“ Die ÖBB-Themenausstellung „Verdrängte Jahre“ zeigt
in eindrücklicher Weise auf, wie dieses unfassbare Verbrechen möglich gemacht wurde und was passieren
kann, wenn aufkeimendem Antisemitismus und Rassismus nicht konsequent entgegengetreten wird“, sagt Deutsch. „Die
Ausstellung zwingt zum Nachdenken und wird wohl keinen Besucher unberührt lassen.“
Barbara Glück, Direktorin des Mauthausen Memorial: „Die Deutsche Reichsbahn war nicht nur entscheidend für
die Kriegswirtschaft, sondern war auch das infrastrukturelle Rückgrat der organisierten Massenmorde des Naziregimes.
Der Bahnanschluss des Ortes war mit ausschlaggebend für die Errichtung eines Konzentrationslagers in Mauthausen.
Die Ausstellung ‚Verdrängte Jahre‘ beschäftigt sich mit der Rolle der Bahn im Nationalsozialismus im
Allgemeinen und im Zusammenhang mit der Geschichte des KZ Mauthausens.“
Thomas Punkenhofer, Bürgermeister Mauthausen: „Vor rund 80 Jahren mussten sich viele Menschen ungewollt auf
eine Reise begeben. Eine Reise in eine ungewisse Zukunft. Diese Menschen haben alles verloren, was sie sich in
ihrem Leben aufgebaut haben und wurden in das KZ-System Mauthausen verschleppt, mit dem Ziel der Ausbeutung ihrer
Arbeitskraft bis zum Tod. Lebensberechtigt war nur, wer auch leistungsfähig war - wer nicht mehr arbeiten
konnte, musste sterben. Als Erben der Geschichte ist es unsere gemeinsame Aufgabe dafür zu sorgen, dass wir
das Gedenken an diese Opfer der NS-Herrschaft bewahren und unsere Gesellschaft so beeinflussen, dass heute auch
gut leben kann, wer nicht zu den Leistungsträgern zählt.“
ÖBB leuchtet dunkle Kapitel aus
Josef Halbmayr CFO ÖÖB-Holding AG: „Verantwortungsvolles Handeln zeigt sich, wenn Unternehmen bereit
sind, die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte auszuleuchten. Dieser Verantwortung stellen wir uns. Mit der Ausstellung
über die ‚Verdrängten Jahre‘ leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur historischen Aufarbeitung und
schaffen die notwendige Transparenz, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.“
Für Ausstellungskuratorin Milli Segal war es wichtig, die vielen Facetten in der Geschichte der Bahn in dieser
Zeit aufzuzeigen. Segal: „In der Ausstellung ist eine überdimensionale Landkarte zu sehen, auf der die Entfernungen
von Wien in die einzelnen KZs und Ghettos eingetragen sind. Dadurch wird schmerzlich erkennbar und bewusst, ohne
andauernde Mithilfe der Bahn hätte der Massenmord an Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, Politisch Andersdenkende,
Homosexuellen usw. nicht stattfinden können“, sagt Milli Segal, Kuratorin der Ausstellung.
Die Themenausstellung „Verdrängte Jahre – Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938 – 1945“ gliedert
sich in mehrere Abschnitte.
- Der »Anschluss«
- Die Bahnbediensteten
- Emigration und Kindertransporte
- Die Sondertransporte
- Der Widerstand
- Die Zwangsarbeit
- Die Restitution
Ein Teil der Themenausstellung ist zudem eine filmische Dokumentation, die ÖBB-Lehrlinge im Gespräch
mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zeigt.
Die Dauerausstellung kann ab 17. April bis 24. August 2018 im Mauthausen Memorial während der Öffnungszeiten
– täglich von 09:00 bis 17.30 besichtigt werden. Der Eintritt zur Ausstellung ist kostenlos. Schautafeln,
die über den KZ-Komplex Mauthausen, die Außenlager und die Rolle der Bahn beleuchten, sind während
der gesamten Ausstellungszeit im Bahnhof Mauthausen, St. Valentin und St. Georgen an der Gusen zu sehen.
Für die Konzeption und Umsetzung der Themenausstellung zeigt sich Dr.in Traude Kogoj als Projektleiterin sowie
Univ. Prof. DDr. Oliver Rathkolb für die wissenschaftliche Beratung verantwortlich. Milli Segal und Alfred
Klein-Wisenberg sind für die Ausstellungskonzeption zuständig. Nähere Informationen unter: www.oebb.at/verdraengte_jahre
Die Eckpunkte der Themenausstellung
Verdrängte Jahre
Obwohl die Bahn in der Zeit des Nationalsozialismus eine zentrale Rolle spielte, blieb sie in der Geschichtsschreibung
der Österreichischen Bundesbahnen bisher so gut wie unerforscht und ausgeblendet. Die Österreichischen
Bundesbahnen wurden 1938 sofort in die Deutsche Reichsbahn integriert. Ohne Bahn als Transportmittel wäre
die Kriegslogistik der deutschen Wehrmacht nicht machbar gewesen. Wie und in welcher Form wird in der Ausstellung
gezeigt.
Züge in den Tod
Ohne die logistische Kapazität der Bahn wäre der systematische Mord an den europäischen Jüdinnen
und Juden, an Roma und Sinti, die Deportation von Sloweninnen und Slowenen, von Homosexuellen, Zeuginnen und Zeugen
Jehovas und politisch Andersdenkenden nicht möglich gewesen. Drei Millionen Menschen aus fast ganz Europa
wurden im Zweiten Weltkrieg mit Zügen in die Vernichtungs- und Tötungslager des NS-Regimes transportiert.
Die Deutsche Reichsbahn war durch die Deportation zahlloser Menschen unmittelbar am Holocaust beteiligt und mit
ihr auch die ehemals österreichischen Bahnbediensteten, die während der Zeit – nach dem „Anschluss“ Österreichs
an Hitlerdeutschland und dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 – Bedienstete der Deutschen Reichsbahn waren.
Mehr als 200.000 Österreicherinnen und Österreicher und fast die gesamte jüdische Bevölkerung
wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen oder in Konzentrations- und Vernichtungslager geschickt. Die Transporte
erfolgten mit der Bahn.
Eisenbahner im Widerstand
Die nationalsozialistischen Machthaber versuchten ab März 1938 die Eisenbahnbediensteten an ihr Regime zu
binden. Eisenbahnerinnen und Eisenbahner hatten strengere Regeln als Berufsbeamte zu befolgen, mussten „jederzeit
rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintreten“ und sie wurden flächendeckend einer
politischen Untersuchung und Überwachung unterzogen. Dennoch waren Eisenbahnerinnen und Eisenbahner maßgeblich
am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt. So berichtet das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) 1941 über
den Widerstand bei der Bahn, dass im Vergleich zum „Altreich … die Ostmark seit Ausbruch des Krieges 1939 in sabotagepolizeilicher
Hinsicht eine größere Rolle spielte, da hier die fremdländischen Nachrichtendienste und die inländischen
Gegnergruppen es bereits früher verstanden hatten, Sabotageorganisationen aufzubauen …“. 154 Eisenbahner wurden
wegen Ihres Widerstandes zum Tode verurteilt und hingerichtet, 135 starben in Konzentrationslagern oder Zuchthäusern,
1.438 wurden zu KZ- oder Zuchthausstrafen verurteilt.
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