Frisieren, Rasieren, Verschönern – von 19. April 2018 bis 6. Jänner 2019 im Wien
Museum am Karlsplatz
Wien (wien museum) - Mit Haut und Haar beginnen und beenden wir unseren Tag: Wir waschen und pflegen die
Haut, kämmen und stylen die Haare, rasieren Bartstoppeln und Achselhaare, zupfen Augenbrauen und tragen Make-up
auf. Haut und Haare bilden unsere Körperoberfläche, sie sind unsere Schnittstelle zur Welt. Indem wir
sie gestalten und formen, senden wir Botschaften über uns aus. Die Methoden, die wir dabei anwenden, zählen
zu den ältesten Kulturtechniken überhaupt, sie unterliegen dabei einem steten historischen Wandel.
Haut und Haare sind nicht nur in biologischer Hinsicht, sondern auch in der historischen Entwicklung von Gestaltungs-
und Pflegepraktiken sowie der entsprechenden Gewerbe eng miteinander verknüpft. Mit Bezug auf Wien werden
in der Ausstellung Techniken, Handwerke und Konsumfelder ebenso beleuchtet, wie Bedeutungen und Normen des gestalteten
Körpers. Weiters wird nach der Entstehung und Bedeutung bestimmter Moden und Stile gefragt: Seit wann tragen
Frauen kurze Haare? Welche Bärte waren in Wien populär? Wann sind Haare politisch? Welche Haare gelten
als schön, welche als abstoßend? Was heißt "vornehme Blässe"? In welchem Kampf
diente der Lippenstift als Waffe?
In vier Kapiteln wird der Körper auf vier verschiedenen Ebenen in den Blick genommen: In seiner Historizität,
als Produkt von Arbeit, als Adressat von Vergesellschaftungs- und Normierungsprozessen und als Bedeutungsträger.
Sich "herrichten", diese in Österreich geläufige umgangssprachliche Formulierung für das
im Hochdeutschen üblichere sich
"schön machen", dient dabei als Leitmotiv. Der gestaltete Körper zeigt, wo wir gesellschaftlich
verortet sind und wie wir uns positionieren möchten. Er macht Aussagen über gruppenspezifische Zugehörigkeiten
und über unseren Status, über unser Geschlecht und Alter, unser Weltbild und unsere Religion, unsere
politischen Einstellungen, unseren Beruf und vieles mehr.
Das Wien Museum verfügt über einen sehr vielfältigen Sammlungsbestand - aus ihm wurde für diese
Ausstellung in erster Linie geschöpft. Erklärtes Ziel war es, die inhaltlichen Schwerpunkte entlang der
eigenen Sammlung zu entwickeln, Leihgaben wurden nur vereinzelt hinzugezogen. Die Exponate stammen aus so unterschiedlichen
Sammlungsbereichen des Wien Museums wie Archäologie, Alltagskultur, Biographie, Kunst, Mode und Topografie,
zudem in nicht geringem Umfang aus den Bibliotheken des Museums. Dafür mussten die Sammlungsbestände
durchforstet und gleichsam quergelesen werden, denn zu den Themenbereichen der Ausstellung wurde nie gezielt gesammelt.
Im Zuge der Ausstellungsvorbereitung wurden auch einige Objekte angekauft.
Insgesamt werden in der Ausstellung rund 500 Exponate gezeigt, unter anderem ein Frisiersalon von 1900, historische
Dauerwellenapparate, Franz Grillparzers Rasiermesser, Kaiserin Elisabeths Schönheitsrezepte, eine Perücke
der Song Contest- Gewinnerin Conchita, ein von Oswald Haerdtl entworfener Toilettentisch, sowie Mode- und Werbegrafik.
Der zeitliche Rahmen reicht vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Der moderne Körper und seine Geschichte
So selbstverständlich uns heute die verschiedenen alltäglichen Methoden sind, mit deren Hilfe wir an
unserer körperlichen Erscheinung arbeiten, so vergleichsweise neu sind solche Praktiken als Massenphänomen
in historischer Perspektive. Was also macht den "modernen" Körper aus? Er ist das Produkt gezielter
Bemühungen, die Natur zu überwinden. Menschen haben ihren Körper schon immer gestaltet, verschönert
und verbessert. In der Moderne jedoch geriet der Körper, so wie die gesamte Existenz des Menschen, unter einen
allumfassenden Optimierungszwang.
Das im späten 17. Jahrhundert einsetzende Zeitalter der Aufklärung erhielt nicht zufällig den Beinamen
"Zeitalter der Vernunft". Rationales Denken und Fortschrittsglaube sollten das Individuum wie die Gesellschaft
kontinuierlich verbessern und in höhere Entwicklungsstufen führen. Die Kernidee der Aufklärung lautet:
Nicht das Schicksal oder Gott ist für das Leben des Menschen verantwortlich, sondern das Individuum, das sein
Leben demzufolge in die eigenen Hände nehmen und gestalten muss. Dementsprechend wurde auch die Natur nicht
mehr als Schicksal gesehen, sondern als Ressource, die es den menschlichen Interessen entsprechend zu nutzen und
zu unterwerfen galt.
Diese Bestrebungen trafen nicht nur auf Bodenschätze, Tiere oder Pflanzen zu, sondern auch auf den menschlichen
Körper, der in Folge in einem bislang unbekannten und undenkbaren Ausmaß funktionalisiert, diszipliniert
und modifiziert wurde. Der Körper wurde immer weniger als ein Instrument für die Arbeit, sondern zunehmend
als ein Produkt von Arbeit gesehen. In dieser Perspektive erscheint er als Rohstoff, den es zu formen und zu kultivieren
gilt. Anders formuliert: Der Körper ist nicht, er wird, er ist grundsätzlich und buchstäblich work
in progress. Eine Wiener Kosmetikzeitschrift der 1920er Jahre nannte sich diesem Prinzip entsprechend: "So
wirst Du schön!" und ähnlich lauten die Titel vieler Ratgeber.
Vor diesem historischen Hintergrund kann die Mode als eine kulturelle Praxis der Moderne verstanden werden, mit
deren Hilfe sich das Individuum seinen Schönheitsidealen anzunähern versucht. Die Mode ist in dieser
Perspektive ein Zeichen für das Streben nach einem Ideal, sie ist stets in Bewegung und somit auch eine Metapher
für Veränderung. Der mittlerweile auch im Deutschen vielfach verwendete englische Begriff "Make
Over" verdeutlicht besser als das traditionell gebräuchliche
"Verschönern", dass es dabei um eine - mehr oder weniger massive - Veränderung der körperlichen
Erscheinung geht. Die dabei zum Einsatz gelangenden Methoden können von einer neuen Haarfarbe mit Hilfe einer
herauswaschbaren Tönung bis hin zu buchstäblich unter die Haut gehenden, operativen Eingriffen reichen.
Frisieren, Rasieren, Verschönern
Das erste Kapitel der Ausstellung, "Blicke auf den Körper", stellt grundsätzliche körperhistorische
Fragen und nimmt dafür den Körper am Beispiel von Haut und Haaren aus unterschiedlichen Perspektiven
in den Blick: Anatomie, Anthropologie, Physiognomik, Religion, Aberglauben, Hygiene, Sprache etc. Die Darstellung
erfolgt knapp und pointiert anhand jeweils eines einzigen Exponats - Ziel ist nicht eine vertiefende Darstellung
der jeweiligen Perspektive, sondern die Verdeutlichung der Historizität und kulturellen Konstruiertheit des
Körpers. Es soll klar werden, dass der Körper nicht ausschließlich etwas von der Natur Gegebenes,
sondern auch etwas Gedachtes und Gemachtes - "natürlich Kultur" - ist.
In diesem Ausstellungsbereich kommt dem Spiegel als einem wichtigen Medium moderner Körperwahrnehmung und
Körpergestaltung eine zentrale Rolle zu: Er wird hier in seiner ganzen formalen Bandbreite in größerer
Zahl zu sehen sein, vom kleinen Taschenspiegel, über Rasierspiegel und Badezimmerspiegel, bis hin zur Psyche
und zum Spiegelschrank. Diese große Menge an Spiegeln konfrontiert das Publikum nicht nur mit einem wichtigen
kultur- und körperhistorischen Artefakt, sondern auch mit sich selbst und lädt damit zur Selbstreflexion
und Selbstverortung ein.
Kapitel zwei, "Arbeit am Körper", geht den speziellen Handwerken und Konsumgütern nach, die
dem Wunsch nach Körpergestaltung im Lauf der Geschichte entsprangen. Am Beispiel Wien zeigt dieses Kapitel
exemplarisch deren Entstehung und Entwicklung und konzentriert sich dabei auf moderne Formen der Haarpflege/Haargestaltung
und Kosmetik, wie sie sich seit dem 18. und verstärkt seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet haben. Im Fokus
stehen hier die Akteure, Orte und Mittel der praktischen Körperpflege und -gestaltung. Bader, Barbiere, Perückenmacher,
Friseure, Kosmetiker etc. werden vor den historischen Vorhang geholt.
Kapitel drei ist "Vorbildlichen Körpern" gewidmet und stellt sich dem Umstand, dass sich Körpergestaltung
stark an Normen, Konventionen und Vorbildern orientiert, von diesen inspiriert ist oder sich daran reibt. Das Kapitel
zeigt exemplarisch Medien der Vermittlung (Ratgeber, Zeitschriften, Werbung, etc.) sowie Prominente als Vorbilder
(Kaiserin Elisabeth, Schauspielerinnen, Schönheitsköniginnen, etc.). Bei den Exponaten liegt der Schwerpunkt
auf Bildern unterschiedlichster Art, sowie Schaufensterfiguren.
Das vierte und letzte Kapitel lautet "Körperzeichen". Ausgangspunkt sind ganz konkrete visuelle
Chiffren: Exemplarisch wird hier der Frage nachgegangen, welche Bedeutungen mit verschiedenen Formen des gestalteten
Haars und der gestalteten Haut verknüpft sind. Ziel des Kapitels ist nicht ein enzyklopädischer historischer
Überblick (zum Beispiel über die Frisurenmode), sondern die Fokussierung auf eine Auswahl markanter und
historisch relevanter Beispiele (höfische Perückenmode, Bärte, Bubikopf, lange Männerhaare,
Zöpfe, blasse Haut, gebräunte Haut, geschminkte Gesichter, gepflegte Hände, etc.). Zu sehen sind
hier Porträtgemälde, Fotografien, Karikaturen und Modedarstellungen ebenso wie Textilarbeiten aus der
Cizek-Schule und heute kaum noch bekannte Accessoires wie Bartbinden oder Fingerspitzenformer.
Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit zahlreichen wissenschaftlichen, essayistischen, literarischen,
autobiografischen und journalistischen Beiträgen. Die Beiträge stammen von Susanne Breuss, Matti Bunzl,
Karin Harrasser, Elfriede Jelinek, Michaela Lindinger, Trude Lukacsek, Walter Öhlinger, Jelena Panti?, Klaus
Pichler, Susanne C. Pils, Karin Rick, Vanessa Spanbauer, Apollonia Stoisits, Alina Strmljan, Anton Tantner, Friedrich
Tietjen, Andreas Weigl.
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