An einem bewegenden Abend kamen Kinder von Besatzungssoldaten zu Wort
St. Pölten (museum nö) - Das sechste Zeitzeugen-Forum "Erzählte Geschichte" im
Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich griff am 24. April ein wichtiges Kapitel der Nachkriegsgeschichte
auf. Rund 30.000 Kinder kamen von 1945 bis 1956 von österreichischen Müttern und alliierten Besatzungssoldaten
zur Welt. Sie entstanden in Liebesbeziehungen, bei Überlebensprostitution oder Vergewaltigungen. Im Gespräch
mit Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, erzählten
Kinder sowjetischer Besatzungssoldaten aus Niederösterreich ihre sehr unterschiedlichen Geschichten.
Eleonore Dupuis kam am 20. April 1946 in St. Pölten zur Welt. "Mit neun Jahren habe ich erfahren, dass
ich ein Besatzungskind bin. Dennoch hatte ich eine glückliche Kindheit", erklärte Dupuis, die unter
dem Titel "Befreiungskind" ein Buch über ihre Geschichte geschrieben hat. Weil sie kaum Informationen
über Ihren Vater besitzt, war ihre Suche nach ihm noch nicht erfolgreich. Sie betont, wie wichtig es für
diese Kinder des Krieges wäre, Hilfe bei der Suche von offizieller Seite zu bekommen.
Eine ganz andere Kindheit erlebte Tatjana Herbst, die aufgrund finanzieller Nöte und laufender Diskriminierung
nach dem Motto "Was einen nicht umbringt, macht einen härter" verlief. In den 1980er-Jahren lernte
sie Russisch, machte sich auf die Suche nach ihrem Vater und fand schließlich die große Liebe ihrer
Mutter.
Gerhard Verosta wusste bis zu seinem 58. Lebensjahr nicht, dass er Sohn eines Besatzungssoldaten war. Es war sein
Vater, der mit über 80 Jahren im Jahr 2005 über die russische Fernsehsendung "Zhdi menja" ("Warte
auf mich") die Suche nach seinem Sohn und seiner österreichischen Liebe aufnahm. Heute erfreut sich Gerhard
Verosta seiner großen Familie im Ural, mit der er nun Kontakt hat.
"Ich bin kein Russenkind, ich bin ein Ukrainerkind", betonte Olexander Scherba, den seine berufliche
Laufbahn nach Österreich verschlug. Er ist Botschafter der Ukraine in Wien. Scherba bemüht sich nach
wie vor um die Aufklärung des Schicksals seines Großonkels Vasyl Kukhar, der völlig unerwartet
in der Besatzungszeit seinen Verletzungen erlegen sein soll. Die Spuren führen zu einer Frau namens Herta
aus Klosterneuburg oder Zeiselmauer. Einem Mann aus dem Publikum, der erzählte, er sei Sohn eines ukrainischen
Soldaten, sicherte er volle Unterstützung bei der Recherche zu: "Wie Sie sich vorstellen können,
liegen mir solche Fälle besonders am Herzen", so der Botschafter.
"Menschen brauchen Wurzeln", erzählte Christian Mader, der aus seiner beruflichen Profession als
Polizist für das Auffinden verschwundener Personen zuständig war. Er hat den Verein "Österreich
findet euch" gegründet und lud dazu ein, die Plattformen des Vereins wie die Website oesterreichfindeteuch.at zu nützen, um Suchen zum erfolgreichen Abschluss zu bringen.
"Viele Besatzungskinder waren jahrzehntelang von einer Mauer des Schweigens umgeben, die zunehmend einbricht.
Sie entwickeln immer mehr einen Stolz auf ihre Herkunft und vernetzen sich mit anderen Betroffenen", resümierte
Barbara Stelzl-Marx über ihre langjährige Forschung, die schon einige Familien zusammengebracht hatte,
und über diesen Abend, an dem sich einige Besatzungskinder aus dem Publikum zu Wort gemeldet hatten. Das Forschungsnetzwerk
für interdisziplinäre Regionalstudien (first) präsentierte im "Museum des Augenblicks"
zwei Kopfbedeckungen russischer Besatzungssoldaten.
Beim nächsten Zeitzeugen-Forum "Erzählte Geschichte" sind am 15. Mai 2018 um 18.00 Hannes Etzsltorfer,
Rotraud Perner und Peter Turrini unter dem Motto: "Mai 1968: Als alles anders wurde" zu Gast. Am 16.
Oktober 2018 um 18.00 Uhr sprechen Chris Lohner und andere über das Jahrhundert der Frauen.
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