Verantwortung übernehmen und Rechtsstaat stärken

 

erstellt am
07. 05. 18
13:00 MEZ

Nationalratspräsident und Bundesrat zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus – Sobotka: Der Respekt vor dem Menschen und seiner Würde ist das unverzichtbare Fundament unserer Demokratie
Wien (pk) – Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und der Präsident des Bundesrates, Reinhard Todt, luden am 4. Mai zur Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in den Zeremoniensaal der Hofburg. In ihren Reden sprachen sich beide für eine massive Stärkung der Demokratie und des Rechtsstaates aus.

"Wir tragen die Verantwortung, dass Abgrenzung und Ausgrenzung nicht noch einmal die Oberhand in unserer Gesellschaft gewinnen. Wir tragen die Verantwortung, den sozialen Zusammenhalt aller Menschen in Österreich zu stärken und ein gutes, würdevolles Leben für alle einzufordern. Wir tragen die Verantwortung uns zu erinnern, wozu wir einst fähig waren, und in dem Wissen zu handeln, dass wir auch heute noch dazu fähig sind. Mit diesen mahnenden Worten spannte Bundesratspräsident Reinhardt Todt in seiner Rede anlässlich des Gedenktags gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus einen zeitgeschichtlichen Bogen zur gemeinsamen Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft.

Gedenken an Albrecht Konecny und Otto Felix Kanitz
Er erinnerte in seiner Begrüßungsansprache auch an die beiden Bundesräte Albrecht Konencny und Otto Felix Kanitz. "Albrecht Konecny erinnerte uns immer wieder: Es gab eine Zeit, da konnte in Österreich alleine der Bundesrat seine Stimme zur Erhaltung der Demokratie erheben. Denn der Nationalrat war zu diesem Zeitpunkt vom Austrofaschismus ausgeschalten."

"Otto Felix Kanitz wiederum hat mit den Kinderfreunden die ersten großen Ferienkolonien zur Erholung für arme Kinder, für Arbeiterkinder mitbegründet, Mit dem Projekt der Kinderrepublik gab er den Kindern in diesen Ferien Mittel der Demokratie zur Partizipation und zur Selbstbestimmung. Damit war Kanitz zu einer Zeit weit vor der Verschriftlichung der Kinderrechte ein absoluter Vorreiter. Als der österreichische Nationalrat bereits am Zusammentritt gehindert wurde, setzte sich Kanitz im Bundesrat vehement dafür ein, dass das frei gewählte Parlament in einer Demokratie zusammentreten können muss. Kanitz warnte im Bundesrat vor der Zerstörung der Demokratie. Er machte dabei deutlich: Eine Diktatur macht dort nicht halt, wo ihrer Machtausübung Schranken gesetzt werden. Es geht nicht nur um die Wahrung der Verfassung, sondern auch um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit."

Bundesratspräsident Todt zitierte Otto Felix Kanitz aus dem stenographischen Protokoll der 204. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich am 27. Oktober 1933: "Wo Demokratie und Selbstbestimmung ausschlaggebend sind, dort ist keine Erschütterung des Staatsgefüges zu beobachten; aber dort, wo Unterdrückung und Tyrannei sich breitmachen, dort kommt es zu Gegenaktionen, dort kommt es zu Explosionen, dort kommt es zu revolutionären Erscheinungen."

Am 17. Februar 1934 wurde auch der Bundesrat als letztes Relikt der verfassungsmäßigen Ordnung der Republik aufgelöst. Otto Felix Kanitz, der sozialdemokratische Bundesrat und Jude war, wurde wie viele Millionen Menschen Opfer des Nationalsozialismus. Er wurde im Konzentrationslager Buchenwald ermordet.

Todt: Wir tragen die Verantwortung, den sozialen Zusammenhalt zu stärken
Mit den Worten Albrecht Konecnys aus dem Buch "Der Tod eines Bundesrates" warnt Todt klar vor der auch heute spürbaren Ausgrenzung: "Ob Hassparolen gegen jüdische Mitbürger, Progrom-Aufrufe gegen Ausländer, Ausgrenzung und Abwertung von Minderheiten (..) mit dem Gebot der "Reinheit des deutschen Blutes" oder dem nur scheinbar "biederen" Wunsch, Österreicher wollten "unter sich bleiben", begründet werden, ist bedeutungslos. Bedeutungslos in den Auswirkungen, bedeutungslos auch für die seelische Verfassung derer, die den zunächst so eingängig klingenden Parolen zu folgen bereit sind. "Deutschland über alles" oder "Österreich zuerst", was wäre dies anderes als eine Aussage, die jeder, der sich der jeweiligen nationalen Gemeinschaft zurechnet, gutheißen kann. Aber welche Verbrechen wurden im Namen der ersten Parole – und der vielen, die von ihr abgeleitet wurden, begangen."

Und abschließend manifestierte Todt erneut die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen: "Wir tragen die Verantwortung, dass Abgrenzung und Ausgrenzung nicht noch einmal die Oberhand in unserer Gesellschaft gewinnen. Wir tragen die Verantwortung, den sozialen Zusammenhalt aller Menschen in Österreich zu stärken und ein gutes, würdevolles Leben für alle einzufordern. Wir tragen die Verantwortung uns zu erinnern, wozu wir einst fähig waren, und in dem Wissen zu handeln, dass wir auch heute noch dazu fähig sind.

Sobotka: Wir müssen den antisemitischen Bodensatz bekämpfen
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka warnte in seiner Ansprache vor dem Aufkeimen eines neuen Antisemitismus in Europa und der Welt. Das dürfe man "nicht achselzuckend zur Kenntnis nehmen, sondern man muss diesen Bodensatz bekämpfen". Sobotka erinnerte an den Übergriff auf eine jüdische Seniorin in Frankreich und auch an die Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas vor wenigen Tagen.

"Wir dürfen den Bodensatz des Antisemitismus nicht nähren, sondern müssen dagegen ankämpfen. Dieses Gedenken 2018 muss weiterhin als Mahnung gelten, ein 'niemals vergessen' zu einem 'niemals wieder' zu verändern. Antisemitismus darf in Österreich und in ganz Europa keinen Boden finden", bringt Sobotka die Warnung klar zum Ausdruck.

Wenn "Gedenken" über das formalisierte Ritual hinaus Sinn und Bedeutung für Gegenwart und Zukunft behalten soll, dann sei es notwendig, das Geschehene selbst nicht nur unmissverständlich beim Namen zu nennen, sondern auch mit klarem und schonungslosem Blick die Essenz des Geschehenen im Lichte der Gegenwart stets aufs Neue zu begreifen. "Tatsächlich ist es unumgänglich tiefer zu gehen, Quellen und Motive ebenso wie Mechanismen und Wirkungszusammenhänge im Herrschafts- und Machtgefüge des Dritten Reiches zu beleuchten und zu begreifen, denn nur auf der Grundlage ernsthafter und wahrhaftiger Einsicht lässt sich ein "niemals vergessen" auch in ein wirkliches "niemals wieder" übersetzen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte erschöpft sich nicht in der Erfüllung von Formalismen. Man muss die Dinge schon auch beim Namen nennen und greifbare Konsequenzen für das Hier und Jetzt daraus ableiten."

"Mit Entschlossenheit gegen Entmenschlichung"
Sobotka thematisierte außerdem die Entmenschlichung des NS-Regimes: "Im perversen Denken der Nazis galt es, die rassische Qualität des eigenen Kollektivs unter ‚Ausmerzung‘ der angeblich Unwerten zu heben. Begleitet wurde die Entmenschlichung einerseits vom Anschein der Rechtsstaatlichkeit – etwa über das Reichsbürgergesetz oder das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre – anderseits von beispielloser Brutalität und Terror, beides Instrumente und Wegbereiter der totalen Gleichschaltung und letztlich der Aushebelung von Demokratie und Rechtsstaat. Heute, im Jahr 2018, muss daher klar sein: Die Entmenschlichung stand am Beginn dieser Unrechtsherrschaft und so gilt es heute, in aller Schärfe und Entschlossenheit darauf zu reagieren, wenn Menschen als Individuen oder in Gruppen klassifiziert, bewertet werden, wenn gegen sie gehetzt wird, sie letztlich ihrer Menschlichkeit beraubt werden. Es steht niemandem zu, die "Nützlichkeit" eines Menschen zu beurteilen. Es ist vielmehr die bunte Vielfalt des Mensch-Seins, die unserer Gesellschaft ihre Seele verleiht."

Es gelte außerdem in aller Schärfe und Entschlossenheit darauf zu reagieren wenn das Vertrauen in den Rechtsstaat gezielt und opportunistisch unterminiert wird, unterstrich NR-Präsident Sobotka und appelliert zugleich an alle im Nationalrat vertretenen Parteien: "Man kann es sich nicht aussuchen, wann einem der Rechtsstaat gefällt und wann nicht – und ich erwarte, dass man – bei aller tagespolitischen Aufgeregtheit – mit fundamentaler Kritik sehr behutsam vorgeht. Eine Mahnung, die wir – gerade und vor allem in der Tagespolitik –Ernst nehmen müssen."

Untersuchung zum Antisemitismus in Auftrag geben
"Der Nationalrat wird die Bundesregierung mit der Durchführung einer umfassenden Untersuchung zum Antisemitismus beauftragen. Einerseits soll die historische Dimension seit dem späten 19.Jahrhundert und andererseits die aktuelle Situation dargestellt werden. Schließlich wollen wir Handlungsfelder für Maßnahmen der Prävention, also für die Zukunft, ableiten", so Präsident Sobotka.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
https://www.parlament.gv.at

 

 

 

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