So ticken Österreichs Lehrlinge

 

erstellt am
04. 05. 18
13:00 MEZ

Die brandneue Lehrlingsstudie des Instituts für Jugendkulturforschung in Kooperation mit der tfactory Trendagentur gibt topaktuelle Einblicke in die Arbeits- und Lebenswelt der österreichischen Lehrlinge.
Wien (jugendkultur) - Eines der Kernergebnisse der aktuellen Lehrlingsstudie ist, dass der durchschnittliche österreichische Lehrling mit beiden Beinen am Boden steht und pragmatisch ist. Werte, die sein Leben bestimmen, sind materielle Sicherheit, der Wunsch nach Anerkennung sowie stabile private, berufliche und gesellschaftliche Verhältnisse. Daraus resultiert ein starkes Bedürfnis nach einem kontinuierlichen und planbaren Leben. Im Berufsumfeld wünscht sich der Lehrling vor allem eines: Sicherheit. Selbstverwirklichung und Sinnfindung findet er in der Freizeit und im Konsum.

Trend zur Freizeitidentität und Bedürfnis nach einer guten Work-Life-Balance
Für Lehrlinge ist die Freizeitidentität wichtiger als ihre Berufsidentität. Was sie sind und wie sie gesehen werden wollen ist in erster Linie eine Folge ihrer Freizeitaktivitäten. Musik, Mode und Online-Kommunikation, um nur einige Freizeitfelder zu nennen, sind wichtiger für die Sinnfindung als der Beruf. Das führt dazu, dass Österreichs Lehrlinge immer weniger bereit sind, auf den Großteil ihres privaten Lebens im Austausch für den Berufserfolg zu verzichten. Karriere ist für sie nur dann erstrebenswert, wenn trotzdem ein erfülltes Freizeitleben möglich ist.

Und was machen die österreichischen Lehrlinge in der für sie so wichtigen Freizeit? Zu ihren liebsten Freizeitbeschäftigungen gehören unterschiedliche sportliche Aktivitäten, Aktivitäten mit Freunden und Freundinnen und die Beschäftigung mit unterschiedlichen Unterhaltungsmedien. So wählen sie bei der Frage nach den drei liebsten Freizeitbeschäftigungen „Zeit mit Freunden und Freundinnen verbringen“ – für 44 Prozent unter den 3 liebsten Freizeitbeschäftigungen – „sportliche Aktivitäten“ (35 Prozent), „Musik hören“ (27 Prozent), „Chillen“ (27 Prozent) und „Videospiele spielen“ (22 Prozent) in die Top 5. Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung ist den österreichischen Lehrlingen zudem eine möglichst aktive und soziale Freizeitgestaltung wichtig. So stimmen zwei Drittel eher der Aussage „Ich versuche, nach der Arbeit/Berufsschule möglichst viel zu unternehmen.“ als der Aussage „Ich brauche nach der Arbeit/Berufsschule Entspannung und Ruhe. Nur an freien Tagen unternehme ich etwas.“ zu. Und der Aussage „Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit anderen.“ stimmen sogar vier von fünf Lehrlingen eher zu als der Aussage „Meine Freizeit verbringe ich am liebsten allein.“

Bedürfnis nach einer zukunftssichernden Ausbildung
Vor allem der zunehmende Verlust der Arbeitsplatzsicherheit und die zunehmende Sorge, das soziokulturelle Niveau der Herkunftsfamilie durch eine Lehre nicht mehr halten zu können, bewirken bei Österreichs Lehrlingen eine zunehmende Verschiebung der Arbeitsmotivation und verändert ihre Anforderungen an Ausbildung und Beruf. Aufgrund der Gefährdung ihres Lebensideals, das in einem stabilen Leben in der Mitte der Gesellschaft auf der Grundlage eines klassischen Normalarbeitsverhältnisses besteht, werden Selbstverwirklichungsbedürfnisse im Beruf zurückgestellt und die Absicherung des sozialen Status und die Planbarkeit des eigenen Lebens treten als zentrale Motive an ihre Stelle. Lehrlinge suchen bzw. wollen also keinen Beruf erlernen, der mit der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung lockt, sondern einen Beruf, der die von ihnen angestrebte Normalbiographie garantiert. Für den Großteil der Lehrlinge scheint eine Lehre diese Anforderungen zu erfüllen, so verbinden beinahe vier von fünf die Lehre eher mit guten als mit schlechten Zukunftschancen und 70 Prozent bringen mit der Lehre eher ein langfristiges als ein kurzfristiges berufliches Ziel in Verbindung.

Im Zusammenhang mit den Anforderungen von Lehrlingen an ihre berufliche Zukunft verwundert es auch wenig, dass ihnen auch bei der Wahl des Lehrberufes und des Ausbildungsbetriebes Aspekte besonders wichtig sind, die in der aktuellen Lebensphase und für die Zukunft Stabilität und Sicherheit versprechen.

Die Gewährleistung einer guten und fundierten Ausbildung als Grundlage für eine sichere Zukunft am Arbeitsmarkt, die Möglichkeit, im Ausbildungsbetrieb nach Abschluss der Lehre übernommen zu werden und eine möglichst hohe Lehrlingsentschädigung in der Ausbildung selbst.

So ist es rund 90 Prozent der österreichischen Lehrlinge sehr bzw. eher wichtig, einen Lehrherrn bzw. Ausbildner zu haben, der ihnen viele Dinge beibringen kann und 80 Prozent ist es sehr bzw. eher wichtig, die Möglichkeit zu haben, im Betrieb Dinge zu lernen, die über das hinausgehen, was sie für den Lehrabschluss brauchen. Zudem erwarten sie sich von einem Ausbildungsbetrieb nicht nur auf die Zukunft vorbereitet zu werden, sondern im besten Fall auch, dass man im Ausbildungsbetrieb selbst den Einstieg ins „richtige“ Berufsleben machen kann. Das ist vier von fünf Lehrlingen sehr bzw. eher wichtig. Und „last but not least“ ist natürlich Geld immer ein wichtiger Stabilitäts- und Sicherheitsfaktor. So ist eine hohe Lehrlingsentschädigung für 83 Prozent der Lehrlinge sehr bzw. eher wichtig.

Lehrlinge sehr zufrieden mit der Ausbildungswahl
Wie haben Österreichs Lehrlinge ihren Weg in die Lehre gefunden und wie zufrieden sind sie eigentlich mit ihrer Entscheidung, eine Lehre zu machen?

Großen Wert legen sie auf alle Fälle darauf, dass sie ihre Entscheidung, eine Lehre zu machen, weitgehend autonom getroffen haben. Mit dieser Entscheidung sind die Lehrlinge alles in allem recht zufrieden. Drei von vier Lehrlingen tendieren dazu, wieder eine Lehre zu machen, wenn sie noch einmal wählen müssten. Und auch ihren Ausbildungsbetrieben stellen die meisten österreichischen Lehrlinge ein gutes Zeugnis aus. Über 70 Prozent geben an, in einem Betrieb mit gutem Betriebsklima und guten Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Wenig verwundert es daher, dass sich zwei von drei österreichischen Lehrlingen tendenziell auch heute wieder für ihren aktuellen Ausbildungsbetrieb entscheiden würden.

In Fragen der Lehrlingsausbildung, dürfte vor allem die Industrie vieles richtig machen. In dieser Branche finden sich die zufriedensten Lehrlinge sowohl in Hinblick auf die aktuelle Ausbildungssituation als auch in Fragen, die den aktuellen Ausbildungsbetrieb betreffen. Aufholbedarf hingegen haben im Vergleich vor allem Ausbildungsbetriebe aus der Gastronomie und Freizeitwirtschaft. In dieser Branche finden sich überdurchschnittlich viele Lehrlinge, die mit der aktuellen Ausbildungssituation und ihren Ausbildungsbetrieben unzufrieden sind. Sie verbinden, im Vergleich zu Industrielehrlingen, aber auch im Vergleich zu Lehrlingen aus dem Bereich des Handwerks und Gewerbes bzw. Handels, überdurchschnittlich stark negative Eigenschaften mit der Lehre als Ausbildungsform und mit ihrer Arbeit im Betrieb. Unter ihnen findet sich so auch eine im Vergleich zu den anderen drei Branchen besonders große Gruppe, die überlegt, die Lehre in ihrem Lehrberuf abzubrechen (einer von fünf) oder die Lehre in einem anderen Betrieb fortzusetzen (einer von vier).

Alle Themen der „Ersten österreichischen Lehrlingsstudie – Welle 3“

  • Zugang und Einstellungen zur Lehre (mit Matura)
  • Anforderungen an die Lehre / den Ausbildungsbetrieb
  • Zugang und Einstellungen zum Thema Aus- und Weiterbildung
  • Bewertung von unterschiedlichen Goodies / Benefits zur Lehrlingsakquise
  • Nutzung von YouTube und Instagram: Art der Nutzung, Intensität der Nutzung und relevante Inhalte
  • Nutzung von Messengern (WhatsApp, Snapchat) für die Lehrlingsakquise und in der Kommunikation mit Lehrlingen
  • Bewertung von Kommunikationsmitteln bzw. Kommunikationsästhetiken für die Lehrlingsakquise
  • Kommunikationsprofile für die vier größten Lehrlingsbranchen: Handwerk und Gewerbe, Handel, Industrie, Freizeitwirtschaft und Tourismus
  • Gerechtigkeitsempfinden, Solidarität und soziale Gerechtigkeit
  • Bewertung Lehrlinge betreffende politische Forderungen: Flexible Arbeitszeiten, Arbeitszeitverkürzung, Mindestsicherung, Grundeinkommen

 

 

 

Weitere Informationen:
http://www.jugendkultur.at

 

 

 

 

 

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