Eine Wallfahrt als spirituelles "best-practice-Beispiel"
 eines entgrenzten Europas

 

erstellt am
09. 05. 18
13:00 MEZ

Jährliche Kroatenwallfahrt nach Györ als eindrucksvolles Zeugnis gelebter Völkerverständigung – Bischof Zsifkovics dankbar für kulturelle und religiöse Verbundenheit über staatliche Grenzen hinweg
Györ/Eisenstadt (martinus) - Auf einem Areal in einer Region, in der der christliche Glaube alle Zeitstürme überstanden hat, in einer Kathedrale, die von den Tataren des Mittelalters devastiert, den Osmanen im 17. Jahrhundert besetzt, und in deren Bischofshaus der Bischof und Märtyrer Vilmos Apor 1945 von russischen Soldaten erschossen wurde, weil er sich weigerte, die von ihm monatelang in Kellern versteckten jungen Frauen zur Vergewaltigung freizugeben, eben an jenem Ort fand am Sonntag, dem 6. Mai, die traditionelle Kroatenwallfahrt nach Györ statt.

Kirchenterritoriale "Muttertagsfeier" und Aufsuchen christlicher Kraftorte
Die Diözese Györ ist, gemeinsam mit der Diözese Szombathely, die "Mutterdiözese", aus der das Gebiet der späteren Diözese Eisenstadt hervorging. Der alljährliche Besuch der Burgenlandkroaten aus der Diözese Eisenstadt am Bild der heiligen Jungfrau Maria in der Kathedrale von Györ ist somit, passend zum nahen Muttertag, eine Art kirchenterritoriale "Muttertagsfeier".

Bischof Zsifkovics ehrt zwei verdiente Persönlichkeiten als lebendige Brücken zwischen Menschen, Diözesen, Ländern
Die Pilgermesse selbst war der wohl beste Zeitpunkt und Rahmen, um zwei Persönlichkeiten auszuzeichnen, die sich jahrzehntelang exakt um jene Belange verdient gemacht haben, die für einen Zusammenhalt nicht nur der burgenlandkroatischen Volksgruppe, sondern auch der Diözese Györ und ihrer "Tochterdiözese" Eisenstadt entscheidend sind: Kanonikus Prof. Dr. János Schmatovich und Prälat Ferenc Benkovich.

János Schmatovich, Domkapitular in Györ und Professor für Neues Testament, habe, so Bischof Zsifkovics in seiner in der Kathedrale vor den Pilgern verlesenen Laudatio, vor allem als langjähriger Leiter der Kroatischen Sektion der Diözese Györ eine bedeutsame Brückenfunktion erfüllt. Ferenc Benkovich sei seinerseits eine "lebendige Brücke" zwischen Menschen, Volksgruppen und Diözesen über staatliche Grenzen hinweg nicht zuletzt durch die von ihm im Jahre 1972 eingeführte Kroatenwallfahrt nach Györ. Zsifkovics würdigte Benkovichs priesterliches Wirken, das "stets geprägt war von der Liebe zu den Dir anvertrauten Menschen und der Hingabe für die kroatische Volksgruppe" - Liebe und Hingabe, die Prälat Benkovich die Kraft gegeben haben, die enormen Bauprojekte einer Kirche, eines Schulzentrums, eines Kindergartens und Altenwohnheims in Györ zu verwirklichen - ein Umstand, der dazu geführt hat, dass im Volksmund der entsprechende Stadtteil von Györ nach Prälat Benkovich benannt ist.

Beide Persönlichkeiten wurden vom Eisenstädter Bischof mit dem St. Martinsorden in Gold ausgezeichnet.

"Pax et Bonum" gestaltet Pilgermesse erfrischend und selbstbewusst
Wie das Christentum kennt auch Musik keine Grenzen. Das gilt umso mehr, wenn das Herz, die Leidenschaft und die Freude eine atemberaubende Stimmgemeinschaft bilden: "Pax et bonum", der aus derzeit knapp 150 Personen bestehende Chor, in dem Burgenlandkroatinnen und -kroaten aus dem Burgenland, der Slowakei und aus Ungarn mitwirken, gestaltete unter der Leitung von Ivo Šeparovic die Pilgermesse im Dom von Györ auf gewohnt energiegeladene Weise. Gegründet wurde das einzigartige Chorprojekt auf Initiative des Eisenstädter Diözesanbischofs Ägidius Zsifkovics vor knapp 5 Jahren. "Dieser Chor ist ein singender Botschafter des Friedens. Er ist ein großartiger Beweis für das Funktionieren, für das lebendige Aufblühen einer Friedens- und Solidargemeinschaft auf einer grenzüberschreitenden, europäischen Ebene", würdigt Bischof Zsifkovics die Singgemeinschaft.

Im Hinblick auf die grenzüberschreitende und identitätsstiftende Kraft des christlichen Glaubens jedoch ist die Wallfahrt, an der jedes Jahr auch hunderte Burgenlandkroaten aus Ungarn und der Slowakei teilnehmen, eines jener tausendfach zwischen Hammerfest und Palermo, dem Ural und den Azoren stattfindenden Ereignisse, ohne die ein auf die Kraft des Gebetes und der Versöhnung angewiesenes vereintes Europa nur ein Wunschtraum wäre. "Die Burgenlandkroaten tun gut daran, sich gemeinsam auf den Weg zu machen an Orte, an denen nicht nur die gemeinsame europäische Geschichte zu uns spricht, sondern auch besonders verdichtete Kraftfelder des christlichen Glaubens - denn nur mit Gott finden wir - und mit uns Europa! - einen guten Weg in die Zukunft", so Bischof Zsifkovics, der mit den Pilgern vom Bischof von Györ und Vorsitzenden der Ungarischen Bischofskonferenz, Dr. András Veres, herzlich in der randvollen Kathedrale von Györ empfangen wurde.

Drei wichtige Worte: Liebe - Freude - Freundschaft
In seiner Wallfahrtspredigt ging Bischof Zsifkovics, ausgehend vom Johannesevangelium, auf drei biblische Begriffe ein, die nicht nur allgemein, sondern ganz besonders auch für das Leben und Bestehen der kroatischen Volksgruppe essentiell sind: Denn Liebe, Freude und Freundschaft bzw. Gemeinschaft brauche es, um als Mensch einzeln wie im Kollektiv wachsen zu können. Eine gesunde Identität sei sinngemäß kein Ergebnis künstlich erzeugter Inklusions- oder Exklusionsmechanismen, sondern Folge lebenswerter und menschenwürdiger Umstände innerhalb jeder Community, die auf den drei biblischen Schlüsselbegriffen beruhen. So könne etwa keine einzelne Familie, keine Gruppe, kein Verein es für sich in Anspruch nehmen, die Volksgruppe der Burgenlandkroaten für die eigenen Interessen zu vereinnahmen oder gar zu besitzen. Eine Einigelung in Clanmentalitäten ohne Liebe, Freude und gelebte Gemeinschaft führe nur in die Sackgasse. Stattdessen müsse stets das Wohl der ganzen Gemeinschaft im Vordergrund stehen. Exemplarisch verwies der Bischof auf den in der Kathedrale anwesenden internationalen Volksgruppenchor "Pax et Bonum", den er als "Geschenk" an die Volksgruppe und an das größere menschliche Ganze bezeichnete, durch den sich auf musikalischer Ebene erweise, dass ein fruchtbringendes Miteinander möglich ist und Grenzen von Staat, Nation, Rasse und Sprache überschreiten kann.

Zsifkovics: Kraft tanken, um alltäglichen Zumutungen als Christ glaubwürdig zu begegnen
Ungarns Kirche ist - entgegen den Behauptungen einer selbst in gebildeten Kreisen vorkommenden Geschichtsvergessenheit - so wie die Kirche in vielen anderen Ländern hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang - nicht zuletzt eine Märtyrerkirche, sprich: Eine unter verschärften Umständen geprüfte Kirche des Bekenntnisses zum Evangelium nicht durch fromme oder mediengewandte Worte, sondern durch die gewaltfreie Hingabe des eigenen Lebens beherzter, unbeugsamer Christen. "In Zeiten zunehmender »höflicher Christenverfolgung« mitten in Europa, wie Papst Franziskus es ausdrückt, und eines in Sprache, Recht und Gesellschaft stärker werdenden Säkularismus, der den Geruch einer neuen Ideologie trägt, dürfen wir nicht müde werden, ganz bewusst an die historischen Verbrechen gegen Christen im Namen von Totalitarismen, die sich ja immer als Heilsversprecher einer besseren, schöneren Welt maskiert haben, hinzuweisen", so Bischof Zsifkovics, der die Wallfahrtspredigt hielt, im Gespräch mit Pilgern nach der Messe. Zsifkovics: "Gerade unser Gebet vor der heiligen Mutter Gottes von Györ soll uns darin stärken, im Alltag auch wie Christen zu leben, unsere religiösen Bräuche und Symbole nicht stiefmütterlich zu behandeln und Profil gegenüber Zumutungen angesichts gesellschaftlichen Unrechts zu zeigen." Gleichzeitig erteilte der Eisenstädter Bischof Nationalismen und Ausgrenzung von Minderheiten eine Absage: "Grenzziehungen in manchen Köpfen, die sich auf Blut-und-Boden-Ideologien von Nation oder gar Rasse stützen, werden besonders absurd vor dem Bild einer jungen Jüdin mit Kind aus dem Nahen Osten, das ebenso in Lateinamerika, Afrika oder Irland Beter, Bewunderer und Märtyrer gefunden hat wie in Pannonien", so der Bischof in Anspielung auf das Gnadenbild von Györ und dem darin ausgedrückten Internationalismus der Liebe Gottes zu den Menschen.

Ein Marienbild mit einer besonderen Geschichte
Das Marienbild in der Kathedrale von Györ stammt ursprünglich aus der Kathedrale des Bistums Clonfert in Irland. 1649, nach der Eroberung Irlands durch Oliver Cromwell, kam es zur Verfolgung der Katholiken und zur systematischen Zerstörung der Ausstattung katholischer Kirchen. Walter Lynch, seit 1647 Bischof von Clonfert, gelang es, nach seiner Verhaftung 1652 zu fliehen und das Bild außer Landes zu schmuggeln. Im Exil in Wien lernte er den Bischof von Györ, János Püsky, kennen, der ihn 1655 nach Györ einlud. 1663 starb Bischof Lynch und schenkte auf dem Totenbett das Bild dem Bistum Györ, wo es sich seither in der Kathedrale befindet. Seit das Madonnenbild der Überlieferung nach am St. Patricks-Tag des Jahres 1697 während einer in Irland zeitgleich stattfindenden Katholikenverfolgung Blutstränen weinte, ist es unzähligen Gläubigen aus dem pannonischen Raum bis heute zum Gegenstand besonderer Verehrung geworden.

Die Kathedrale der heiligen Jungfrau Maria in Györ wurde in ihrer ursprünglichen romanischen Form aus dem 11. Jahrhundert von den Mongolen zerstört und vom 13. bis zum 15. Jahrhundert unter György Draskovich wiedererrichtet. Nach der Vertreibung der Osmanen wurde der Innenraum 1635 bis 1650 vom italienischen Baumeister Giovanni Battista Rava im Stil des Frühbarock umgestaltet, die komplette Innenausstattung der Kirche dauerte bis 1770. Die letzte Restaurierung erfolgte 1968 bis 1972. 1997 wurde die Bischofskirche der Diözese Györ von Papst Johannes Paul II. in den Rang einer Basilica Minor erhoben.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.martinus.at

 

 

 

 

 

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