Institut für Allgemeinmedizin an der Med Uni Graz publiziert evidenzbasierte Empfehlungen
Graz (universität) - In den neuen Primärversorgungseinheiten (Gesundheitszentren) sollen nicht
nur mehrere Gesundheitsberufe unter einem Dach zusammenarbeiten, sondern auch neue Qualitätsstandards bei
der Betreuung der Patientinnen und Patienten gesetzt werden. Das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte
Versorgungsforschung (IAMEV) an der Medizinischen Universität Graz hat evidenzbasierte Behandlungspfade für
die Primärversorgung nach internationalem Vorbild erstellt.
Leitlinien für die Primärversorgung
„Leitlinienkonforme Behandlungspfade und Disease Management Programme tragen nachweislich dazu bei, die Versorgung
bei chronischen Erkrankungen und anderen Volkskrankheiten zu verbessern“, konkretisiert Univ.-Prof. Dr. Andrea
Siebenhofer-Kroitzsch, Leiterin des IAMEV. Als Basis dienen aktuelle, methodisch hochwertige Leitlinien zu einzelnen
Krankheitsbildern, aus denen Handlungsempfehlungen für die ärztliche Praxis entwickelt werden. Der Hauptverband
der österreichischen Sozialversicherungsträger ist Kooperationspartner des IAMEV. „Unser Ziel ist es,
österreichweite Standards in der Versorgung zu etablieren“, sagt Dr. Josef Probst, Generaldirektor des Hauptverbands
der Sozialversicherungsträger. Während in anderen Ländern Leitlinien und Behandlungspfade bereits
fest im System verankert sind, kommen sie in Österreich bisher noch selten zum Einsatz. „Die neuen Primärversorgungseinheiten
mit ihren multidisziplinären Teams bieten eine exzellente Chance, den Patientinnen und Patienten künftig
eine strukturiertere und qualitätsgesicherte Behandlung zu bieten“, so Probst. Auch für Allgemeinmediziner/innen
in Einzelordinationen bieten die Behandlungspfade eine wichtige Unterstützung. „Es handelt sich um evidenzbasierte
Empfehlungen und nicht um in Stein gemeißelte Vorgaben. Selbstverständlich verdient jede Patientin und
jeder Patient eine individuelle Behandlung“, betont Andrea Siebenhofer-Kroitzsch.
Adipositas: Prävention und Therapieoptionen
Der erste von drei Behandlungspfaden für die Primärversorgung, die vom IAMEV erstellt wurden, widmet
sich dem Thema „Übergewicht und Adipositas“. In Österreich sind 42 Prozent der Erwachsenen und 24 Prozent
der Kinder im Alter zwischen 7 und 14 Jahren übergewichtig. Von Adipositas, also Fettleibigkeit, spricht man
bei einem Body Mass Index (BMI) von 30 oder mehr. Das ist der Fall, wenn jemand bei einer Körpergröße
von 170 cm an die 90 kg wiegt. Adipositas gilt als ein wesentlicher Risikofaktor für zahlreiche Erkrankungen
und belastet vor allem den Herzkreislauf und die Gelenke.
„Die Behandlungspfade basieren auf internationalen, evidenzbasierten Leitlinien. Die Abläufe wurden speziell
auf die Strukturen in den neuen Primärversorgungseinheiten abgestimmt“, sagt Projektleiter Thomas Semlitsch
vom IAMEV. In übersichtlichen Entscheidungsbäumen und Infoboxen werden die einzelnen diagnostischen und
therapeutischen Schritte dargestellt. Im Mittelpunkt steht das Gewichtsmanagement. Neben Anamnese, Beratung, Planung
und Durchführung der Therapie wird eine kontinuierliche Betreuung durch ein multidisziplinäres Team –
bestehend aus Ärztinnen/Ärzten, Diätologinnen/Diätologen, Psychologinnen/Psychologen und Bewegungstherapeutinnen/-therapeuten
– empfohlen. Bei Erwachsenen, die einen BMI von 30 kg/m2 oder bei einem BMI von 25 kg/m2 bereits Begleiterkrankungen
wie Diabetes oder Bluthochdruck haben, ist jedenfalls eine Gewichtsreduktion erforderlich. „Diese soll in erster
Linie mit einer Änderung des Lebensstils durch eine Kombination von Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie
erzielt werden. Medikamente können in eingeschränkten Fällen dabei unterstützen“, erläutert
Thomas Semlitsch. Sollte das Abnehmen auf diesem Wege nicht gelingen, kann bei einem BMI = 40 kg/m2 (oder = 35
kg/m2 mit Begleiterkrankungen) auch eine Operation („bariatrische Chirurgie“), etwa in Form einer Magenverkleinerung,
in Betracht gezogen werden. Der Behandlungspfad sieht hier ein umfassendes prä- und postoperatives Management
sowie eine lebenslange Nachbetreuung vor.
Therapie bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen
Bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen ist die Änderung des Lebensstils die wichtigste Maßnahme.
Liegt bereits eine Adipositas vor, ist eine Gewichtsreduktion dringend empfohlen. Sie sollte durch eine Kombination
von Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie, immer unter Einbeziehung der Eltern, erfolgen. Wenn bereits
schwerwiegende Begleiterkrankungen vorliegen, kann ab dem 12. Lebensjahr im Einzelfall zusätzlich eine medikamentöse
Therapie überlegt werden. Diese sollte jedoch ausschließlich in auf Kinder spezialisierte Einrichtungen
begonnen werden. Die bariatrische Chirurgie wird bei Kindern und Jugendlichen nicht empfohlen. Bei Jugendlichen
mit einem BMI = 40 kg/m2 oder bei einem BMI = 35 kg/m2 bereits an Diabetes oder Gelenkserkrankungen leiden und
bei denen alle andere Versuche zur Gewichtsreduktion erfolglos waren, kann nach der Pubertät unter Umständen
eine Magenband-Operation angezeigt sein.
Über das Institut
Das Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung (IAMEV) an der Medizinischen Universität
Graz wurde am 1. Jänner 2015 eröffnet. Seine Aufgabe ist die evidenzbasierte und praxisorientierte Forschung
sowie Analysen des Versorgungsgeschehens für eine optimierte Versorgung in Einzelordinationen und in den neuen
Primärversorgungseinheiten. Inhaltliche Schwerpunkte sind derzeit neben der Erstellung von Behandlungspfaden
u.a. die Entwicklung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen, die systematische Zusammenfassung von bestehenden
Studien zu unterschiedlichen medizinischen Themen, die Anfertigung von Unterstützungsmaterialien als Grundlage
für die Erstellung von Versorgungskonzepten für neue Primärversorgungseinheiten sowie die universitäre
Lehre der Allgemeinmedizin an der Medizinischen Universität Graz.
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