Brüssel (ec) - Die Europäische Kommission hat am 23. Mai ihre länderspezifischen Empfehlungen
vorgelegt, in denen sie den Regierungen wirtschaftspolitische Maßnahmen für die kommenden 12-18 Monate
anrät. Die europäische Wirtschaft wächst derzeit so schnell wie seit zehn Jahren nicht mehr. Zum
ersten Mal seit der Einführung des Euro liegen alle Euro-Länder im Jahr 2018 unter der Defizitgrenze
von drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Die derzeit günstigen Bedingungen sollten dafür genutzt werden,
die Volkswirtschaften widerstandsfähiger zu machen. Deutschland sollte mehr in Bildung, Forschung, Innovation
und Breitbandinfrastruktur investieren, das Steuersystem investitionsfreundlicher machen und mehr Wettbewerb bei
Dienstleistungen zulassen. In Deutschland ist die Steuerbelastung für Gering- und Zweitverdiener nach wie
vor zu hoch. Die Bildungsergebnisse benachteiligter Gruppen sollten verbessert werden.
Der Frühjahrsprognose 2018 der Kommission zufolge wird das Wachstum in den kommenden zwei Jahren leicht nachlassen,
aber dennoch stabil bleiben. In den am 23. Mai vorgeschlagenen länderspezifischen Empfehlungen wird den Mitgliedstaaten
angeraten, die positiven wirtschaftlichen Aussichten zu nutzen, um ausgehend von den bereits in den vergangenen
Jahren erzielten Fortschritten weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Valdis Dombrovskis, Vizepräsident für den Euro und den sozialen Dialog, der auch für Finanzstabilität,
Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion zuständig ist, erklärte dazu: „Die europäische Wirtschaft
wächst derzeit so schnell wie seit zehn Jahren nicht mehr. Dieser Trend dürfte sich in diesem und im
nächsten Jahr fortsetzen. Es tauchen allerdings auch neue Risiken auf wie die Volatilität auf den weltweiten
Finanzmärkten und der Handelsprotektionismus. Wir sollten die derzeitige günstige Konjunkturlage zur
Stärkung der Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften nutzen. Das heißt, wir sollten Kapitalpuffer
bilden, die den Ländern mehr Spielraum beim nächsten Konjunkturabschwung verleihen. Außerdem müssen
Strukturreformen zur Förderung von Produktivität, Investitionen, Innovation und inklusivem Wachstum durchgeführt
werden.“
Die für Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität zuständige
Kommissarin Marianne Thyssen äußerte sich wie folgt: „Diesmal liegt der Schwerpunkt der länderspezifischen
Empfehlungen mehr denn je auf Beschäftigung, Bildung und sozialen Fragen. Dies zeigt die Entschlossenheit
der Kommission, sich darauf zu konzentrieren, die europäische Säule sozialer Rechte in allen Mitgliedstaaten
umzusetzen, und die Arbeits- und Lebensbedingungen für alle EU-Bürger zu verbessern.“
Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll, fügte hinzu:
„Heute kommen wir unserem Ziel, die Folgen der Krise hinter uns zu lassen, einen Schritt näher. So wird unter
anderem das Defizitverfahren gegen Frankreich nach neun Jahren eingestellt. Zum ersten Mal seit der Einführung
der einheitlichen Währung werden alle Euro-Länder im Jahr 2018 ein Defizit von unter 3 Prozent des BIP
aufweisen. Jahre verantwortungsvoller Haushaltspolitik waren nötig, damit die EU-Länder dies erreichen,
und wir müssen sicherstellen, dass Verantwortung auch die Devise für die Zukunft bleibt. Deshalb richten
wir die klare Botschaft an Ungarn und Rumänien, dass sie in diesem und im nächsten Jahr Maßnahmen
ergreifen sollten, um die erhebliche Abweichung von ihren Haushaltszielen zu korrigieren. Vorbeugung ist die beste
Medizin. Dementsprechend ist angesichts der derzeit starken Wirtschaft jetzt die beste Zeit, um die Entstehung
ernsthafter Probleme zu verhindern.“
Die länderspezifischen Empfehlungen 2018
Die Empfehlungen sind auf die Stärkung der Grundlagen für ein nachhaltiges und inklusives Wachstum ausgerichtet.
Sie stützen sich auf die umfassende Analyse der Kommission in den jüngsten LänderberichtenDiesen
Link in einer anderen Sprache aufrufenEN•••‚ in der für einige Mitgliedstaaten Probleme im Zusammenhang mit
den Hinterlassenschaften der Finanzkrise und Herausforderungen für die Zukunft aufgezeigt wurden.
Die verbesserten Wirtschaftsbedingungen machen es möglich, sich auf neue Prioritäten zu konzentrieren.
Diese Gelegenheit sollte genutzt werden, um in den einzelnen Ländern die erforderlichen Maßnahmen zu
ergreifen, wobei zu berücksichtigen ist, wie stark die einzelnen EU-Volkswirtschaften, insbesondere die der
Eurozone, miteinander verflochten sind.
Insbesondere fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, Strukturreformen fortzusetzen, die darauf abzielen,
das Unternehmensumfeld und die Investitionsbedingungen zu verbessern, vor allem Produkt- und Dienstleistungsmarktreformen
sowie Maßnahmen zur Innovationsförderung, zur Verbesserung des Zugangs kleiner und mittlerer Unternehmen
zu Finanzmitteln und zur Korruptionsbekämpfung.
Die Mitgliedstaaten sollten vor dem Hintergrund langfristiger Herausforderungen wie der demografischen Entwicklung,
der Migration und dem Klimawandel ihre wirtschaftliche Widerstandskraft stärken. Nur krisenfeste Volkswirtschaften
können eine langfristige wirtschaftliche Konvergenz und eine Verringerung der bestehenden Unterschiede zuwege
bringen.
In diesem Jahr wird in den Empfehlungen in Anlehnung an die im November 2017 verkündete europäische Säule
sozialer Rechte den sozialen Herausforderungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Im Mittelpunkt stehen dabei die
Vermittlung erforderlicher Fachkompetenzen, wirksame und angemessene Netze der sozialen Sicherheit und die Verbesserung
des sozialen Dialogs.
Den Ländern wird zudem empfohlen, Reformen durchzuführen, die ihre Erwerbsbevölkerung auf die Zukunft
– unter anderem auf neue Beschäftigungsformen und die zunehmende Digitalisierung – vorbereiten, Einkommensungleichheiten
verringern und Beschäftigungsmöglichkeiten insbesondere für junge Menschen schaffen.
Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen
Seit das Europäische Semester 2011 eingeführt wurde, haben die Mitgliedstaaten mehr als zwei Drittel
der länderspezifischen Empfehlungen entweder vollständig umgesetzt oder dabei einige oder substanzielle
Fortschritte erzielt. Angesichts der Priorität, die der Stabilisierung des Finanzsektors als Reaktion auf
die Wirtschafts- und Finanzkrise eingeräumt wurde, wurden bei den Finanzdienstleistungen am meisten Fortschritte
erzielt. Ferner sind zahlreiche Reformen zur Schaffung von Arbeitsplätzen mit unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen
und zum Abbau der Arbeitsmarktsegmentierung durchgeführt worden. Die Empfehlungen in den Bereichen Gesundheitsversorgung
und Langzeitpflege sowie in Bezug auf die Erweiterung der Steuerbemessungsgrundlage sind hingegen noch nicht in
gleichem Maße umgesetzt worden. Weitere Anstrengungen sind auch bei der Verbesserung der Inklusivität
und Qualität im Bildungswesen erforderlich.
Während der Amtszeit dieser Kommission ist das Europäische Semester zunehmend straffer und inklusiver
geworden. Dennoch bleibt die Umsetzung der Empfehlungen durch die Mitgliedstaaten noch immer hinter den Erwartungen
zurück. Um die Mitgliedstaaten weiter bei der Umsetzung der vereinbarten Reformen zu unterstützen, schlägt
die Kommission ein verbessertes haushaltspolitisches Instrumentarium vor.
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Makroökonomische Ungleichgewichte werden weiter korrigiert
Die Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte wird fortgesetzt, doch sind gewisse Ursachen für Ungleichgewichte
bislang nicht beseitigt worden und neue Risiken hinzugekommen. Während die Leistungsbilanzdefizite in mehreren
Ländern korrigiert worden sind, bleiben die anhaltenden Überschüsse in anderen Mitgliedstaaten weitgehend
unverändert. Der Schuldenabbau schreitet in unterschiedlichem Tempo voran, wobei die private und die öffentliche
wie auch die Auslandsverschuldung in einigen Mitgliedstaaten weiter hoch bleiben. Es ist von entscheidender Bedeutung,
die Schulden auf einem soliden Abwärtspfad zu halten, um Anfälligkeiten in diesen Ländern zu verringern.
In einer wachsenden Zahl von Mitgliedstaaten müssen die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem starken
Anstieg der Wohnimmobilienpreise eingehend beobachtet werden.
Im März 2018 stellte die Kommission in acht Mitgliedstaaten (Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Irland, Spanien,
Niederlande, Portugal und Schweden) Ungleichgewichte und in drei Ländern (Kroatien, Italien und Zypern) übermäßige
Ungleichgewichte fest. Wie in den Vorjahren unterliegen all diese Mitgliedstaaten einem spezifischen Monitoring.
Auf diese Weise kann die Kommission im Rahmen des Verfahrens bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht politische
Maßnahmen genau beobachten. Die Intensität dieses Monitoring-Prozesses richtet sich dabei nach dem Umfang
der Herausforderungen und der Schwere der Ungleichgewichte.
Überprüfung der Flexibilität im Rahmen der bestehenden Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts
Im Jahr 2015 hat die Kommission Leitlinien für die optimale Nutzung der im Stabilitäts- und Wachstumspaket
vorgesehenen Flexibilität vorgelegt. Auf Grundlage dieser Leitlinien billigte der Rat „Wirtschaft und Finanzen“
im Jahr 2016 einen Gemeinsam vereinbarten Standpunkt zur Flexibilität im Stabilitäts- und Wachstumspakt.
Darin wurde die Kommission dazu verpflichtet, die Anwendung der sogenannten „Strukturreformklausel“ und der „Investitionsklausel“
bis Ende Juni 2018 zu überprüfen.
Die Überprüfung ergab, dass die wichtigsten Ziele der Leitlinien der Kommission und des Gemeinsam vereinbarten
Standpunkts zur Flexibilität weitgehend erreicht worden sind. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Inanspruchnahme
dieser Flexibilität ermöglicht hat, das richtige Gleichgewicht zwischen verantwortungsvoller Fiskalpolitik
und Wachstumsförderung zu finden. Das Gesamthaushaltsdefizit im Euroraum, das 2009 auf einem Rekordhoch von
6,3 Prozent des BIP lag, dürfte dieses Jahr auf 0,7 Prozent des BIP sinken. Die Schuldenquote dürfte
von 94,2 Prozent im Jahr 2014 auf 86,5 Prozent im Jahr 2018 sinken.
Dieser Ansatz ermutigt die Mitgliedstaaten, in Zukunft ihre Konsolidierungsanstrengungen zu verstärken, wenn
die Konjunkturlage günstig ist, um die EU-Volkswirtschaften widerstandsfähiger zu machen. Da der wirtschaftliche
Aufschwung in Europa bereits seit fünf Jahren anhält, ist es nun an der Zeit, Kapitalpuffer zu bilden.
Leitlinien und Beschlüsse im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts
Ausgehend von der Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme 2018 bieten die länderspezifischen
Empfehlungen den Mitgliedstaaten fiskalpolitische Orientierungshilfen für das Jahr 2019. Die Kommission hat
auch eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts getroffen.
Die Kommission empfiehlt, das Defizitverfahren gegen Frankreich einzustellen. Damit unterläge nur noch ein
Mitgliedstaat (Spanien) der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts, während es 2011
noch 24 Länder waren.
Außerdem hat die Kommission für Belgien und Italien Berichte nach Artikel 126 Absatz 3 AEUV angenommen,
in denen analysiert wird, inwieweit diese Länder das im Vertrag verankerte Schuldenstandskriterium erfüllen.
Im Falle Italiens zeigt die Analyse, dass das Schuldenstandskriterium derzeit als erfüllt angesehen werden
sollte, vor allem weil Italien die Vorgaben der präventiven Komponente des Pakts im Jahr 2017 weitgehend erfüllt
hat.
Für Belgien lagen keine hinreichend soliden Nachweise dafür vor, dass das Land die Anforderungen der
präventiven Komponente nicht erfüllt hätte. Somit konnte nicht abschließend festgestellt werden,
ob Belgien das Schuldenstandskriterium derzeit erfüllt oder nicht. Die Kommission wird auf Basis der Ex-post-Daten
für 2018, die im Frühjahr 2019 zu übermitteln sind, erneut prüfen, ob die beiden Länder
die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts einhalten.
Die Kommission hat eine Verwarnung an Ungarn und Rumänien bezüglich der von ihr festgestellten erheblichen
Abweichung vom Anpassungspfad in Richtung auf das mittelfristige Haushaltsziel im Jahr 2017 gerichtet. Die Kommission
schlägt dem Rat vor, eine Empfehlung an Ungarn zu richten, damit das Land 2018 geeignete Maßnahmen ergreift,
um diese erhebliche Abweichung zu korrigieren. In Bezug auf Rumänien, das bereits Gegenstand eines Verfahrens
wegen erheblicher Abweichung ist, empfiehlt die Kommission dem Rat, einen Beschluss über das Ausbleiben wirksamer
Maßnahmen zu erlassen und eine Empfehlung abzugeben, mit der er dem Land anrät, 2018 und 2019 Maßnahmen
zu ergreifen, um die erhebliche Abweichung zu korrigieren.
Die Kommission veröffentlicht am 23. Mai auch ihre Stellungnahme zur aktualisierten Übersicht über
die Haushaltsplanung Spaniens, die Spanien vorlegen musste, da die im letzten Oktober übermittelte Übersicht
auf der Annahme einer unveränderten Politik beruhte. Die Kommission ist der Auffassung, dass die aktualisierte
Übersicht über die Haushaltsplanung die Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts weitgehend
erfüllt, da sie in ihrer Frühjahrsprognose 2018 davon ausgeht, dass das Gesamtdefizit Spaniens im Jahr
2018 unter dem im Vertrag festgelegten Referenzwert von 3 % des BIP liegen wird. Dennoch wird in der Stellungnahme
festgestellt, dass voraussichtlich weder das in der Inverzugsetzung des Rates von 2016 geforderte Ziel für
das Gesamtdefizit noch die geforderte Konsolidierungsanstrengung in diesem Jahr erreicht werden.
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