Molekulare Grundlagen dafür bereits 600 Millionen Jahre alt
Wien (universität) - Damit Zellen in unserem Körper "wissen", wo sie hingehören
und was sie werden sollen, bekommen sie schon früh in der Embryonalentwicklung Instruktionen in Form einer
genetischen Regulationskaskade. In einer aktuellen Publikation im Fachjournal "PNAS" haben der Entwicklungsbiologe
Ulrich Technau und sein Team von der Universität Wien herausgefunden, dass neben diesem genetischen Programm
auch mechanische Reize zur Aktivierung von Entwicklungsgenen beitragen können. Die Analyse von Embryonen der
Seeanemone legt nahe, dass dies eine uralte Eigenschaft ist.
Jahrzehnte molekularer und genetischer Forschung haben gezeigt, dass die embryonale Entwicklung durch eine genetische
Regulationskaskade gesteuert wird. In den letzten Jahren haben aber etliche Untersuchungen gezeigt, dass auch mechanische
Reize einen Einfluss auf das Differenzierungsverhalten von Zellen haben können. Die meisten dieser Studien
waren jedoch Experimente an Zellkulturen.
Ulrich Technau vom Department für Molekulare Evolution und Entwicklung der Universität Wien konnte nun
nachweisen, dass in einem sensiblen Zeitfenster der Embryonalentwicklung mechanische Reize die Aktivität von
wichtigen Entwicklungsgenen beeinflussen können. Dazu hat die Erstautorin der Studie, Ekaterina Pukhlyakova,
Embryonen der Seeanemone Nematostella vectensis untersucht. Wenn während der Bildung der inneren und äußeren
Zellschichten, der sogenannten Gastrulation, die Kontraktion des zellulären Muskelproteins Myosin unterdrückt
wurde, wurde dadurch in reversibler Weise die gesamte Gastrulation blockiert. Überraschenderweise war im Zuge
dessen auch das wichtige Entwicklungsgen Brachyury abgeschaltet. "Wenn wir aber diesen Myosin-blockierten
Embryonen mechanischem Stress in Form eines Gewichts aussetzten, schaltete sich das inaktive Gen Brachyury wieder
an – trotz des Myosininhibitors", erklärt Technau.
Mittels eines speziellen Mikroskops, das die "Steifheit" von Zellen messen konnte, fanden die AutorInnen
heraus, dass die Zellen um den Gastrulationspol (Blastoporus) in normalen Embryonen tatsächlich "steifer"
waren als ihre Nachbarn, also offenbar unter mechanischem Druck standen. Doch wie wurden die mechanischen Reize
in das biochemische Signal einer Genaktivität umgewandelt? In weitergehenden Experimenten wiesen die AutorInnen
nach, dass dafür das Protein Beta-Catenin verantwortlich war. Beta-Catenin findet sich in allen Tieren, auch
im Menschen und hat eine wichtige duale Funktion sowohl in der Verbindung von Zellen miteinander als auch in der
Regulation von Genaktivität im Zellkern in Reaktion auf Signale zwischen den Zellen. "Wir vermuten, dass
es zwischen der genetischen und mechanischen Genregulation eine Feedback-Schleife gibt", so Pukhlyakova.
Da die Genregulation durch mechanische Reize mittels Beta-Catenin auch bei Fliegen und Fischen zu finden ist, nehmen
die ForscherInnen an, dass dieses Grundprinzip bereits in gemeinsamen Vorfahren von Wirbeltieren und Seeanemonen
vor rund 600 Millionen Jahren entstanden ist.
Publikation in "PNAS": "b-catenin
dependent mechanotransduction dates back to the common ancestor of Cnidaria and Bilateria": Ekaterina Pukhlyakova,
Andy Aman, Kareem Elsayad, Ulrich Technau. Proceedings of the Academy of Sciences (PNAS), Article #17-13682
DOI: 10.1073/pnas.1713682115
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