26 Länder, 400 Millionen Menschen und 50.000 Kilometer Außengrenzen – EU-Parlament
verurteilt die fortlaufenden Kontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums
Brüssel (europarl) - Der erste Jahresbericht über das Funktionieren des Schengen-Raums (die Vereinbarung
von 26 Mitgliedsländern, Pass- und Grenzkontrollen an ihren Grenzen abzuschaffen) befasst sich mit den Schwachstellen
bei der Umsetzung der in Schengen getroffenen Vereinbarungen. Die Entschließung des Parlaments zum Jahresbericht
wurde mit 439 Stimmen gegen 157 bei 80 Enthaltungen angenommen.
Verschiedene Gründe für die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen
Die Abgeordneten missbilligen die anhaltende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen, wofür
Schwachstellen beim Gemeinsamen Europäischen Asylsystem und ein Mangel an politischem Willen, an Solidarität
und an gemeinsamer Übernahme von Verantwortung verantwortlich seien. Viele der fortgesetzten Kontrollen stehen
mit Blick auf Dauer, Notwendigkeit oder Verhältnismäßigkeit nicht im Einklang mit den geltenden
Vorschriften und sind daher unrechtmäßig. Derzeit führen sechs Länder Grenzkontrollen aus:
Frankreich, Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen.
Die Abgeordneten verurteilen auch die Errichtung physischer Hindernisse wie beispielsweise von Zäunen zwischen
Mitgliedstaaten.
Sie fordern die folgenden Maßnahmen:
- Eine dauerhafte, robuste und wirksame Reaktion der Union
bei Such- und Rettungseinsätzen auf See, um den Verlust von Menschenleben zu verhindern;
- Eine verbesserte Erhebung von Informationen und statistischen
Daten zum nationalen Management der Ressourcen und zu den Fähigkeiten für die Grenzkontrolle durch die
zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten;
- Mitgliedstaaten sollten für eine zügige und wirksame
Rückführung unter umfassender Wahrung der Grundrechte und unter humanen und angemessenen Bedingungen
sorgen;
- Bereits getroffene Rückführungsentscheidungen
könnten durch einen anderen Mitgliedsstaat anerkannt und umgesetzt werden, statt eine neue Entscheidung ergehen
zu lassen oder den irregulären Migranten in den Mitgliedstaat, in dem die erste Entscheidung ergangen ist,
zurückschicken;
- Gewährleistung einer angemessenen Infrastruktur und
Unterbringung und für menschenwürdige Lebensbedingungen für alle Asylbewerber, wobei insbesondere
den Bedürfnissen unbegleiteter Minderjähriger und von Familien mit Kindern sowie von Frauen, die sich
in einer schwierigen Lage befinden, Rechnung zu tragen ist;
- Reform des SIS (Schengener Informationssystem) in folgenden
Bereichen: Schutz von Kindern, die gefährdet sind oder vermisst werden, sofortiger, obligatorischer Informationsaustausch
über Terrorismus und obligatorischer Informationsaustausch über Rückführungsentscheidungen
und zwingender vorgeschriebener Austausch von Informationen über Rückkehrentscheidungen.
Die Abgeordneten bekräftigen, dass Bulgarien und Rumänien bereit sind, dem Schengen-Raum beizutreten,
und fordern den Rat um Zustimmung auf.
Sie betonen, dass die EU in den letzten Jahren Maßnahmen zur Stärkung des Schengen-Raums eingeführt
hat, wie die Einrichtung der Agentur für die Grenz- und Küstenwache, systematische Kontrollen an den
Außengrenzen bei der Ein- und Ausreise von EU-Bürgern und Drittstaatsangehörigen sowie ein neues
Einreise-/Ausreisesystem (EES).
Nutzung des SIS durch das Vereinigte Königreich gibt Anlass zu tiefer Besorgnis
Ein Gutachten löste die Besorgnis der Abgeordneten hinsichtlich der provisorischen Nutzung des Schengener
Informationssystems (SIS) durch das Vereinigte Königreich aus, insbesondere im Zusammenhang mit den künftigen
Beziehungen zu dem Land nach dem Austritt aus der EU.
Zitat
Berichterstatter Carlos Coelho (EVP, PT): „Schengen bedeutet Freizügigkeit. Dies ist der Kern der Unionsbürgerschaft.
In diesem Bericht werden zum ersten Mal die Ansichten des Europäischen Parlaments zum Stand von Schengen dargelegt.
Leider ist die Diagnose keine gute. Wir müssen unseren Bürgern Schengen zurückgeben. Unsere Botschaft
an die Mitgliedstaaten ist ebenso stark: Sie müssen alle Regeln einhalten, nicht nur die, die sie wollen."
Hintergrundinformationen
Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten der Nicht-Anwendung Schengens für alle Länder für
zwei Jahre auf zwischen 25 und 50 Milliarden Euro. Würden alle Länder wieder Grenzkontrollen einführen,
beliefen sich die Kosten für zehn Jahre auf 100 bis 230 Milliarden Euro.
Das Transnational Institute (TNI) schätzt, dass die Mitgliedstaaten bereits Mauern und Grenzbefestigungen
mit einer Gesamtlänge von mehr als 1 200 km im Gegenwert von mindestens 500 Millionen Euro errichtet haben.
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