Raben wissen über die Beziehungen anderer Bescheid – und agieren strategisch
Wien (universität) - Ein Aspekt sozialer Intelligenz ist die Fähigkeit, sowohl die eigenen Beziehungen
als auch die anderer im Auge zu behalten. Diese Fähigkeit kennt man bei Primaten, und auch Kolkraben zeigen
dieses Verhalten in Gefangenschaft. In ihrer aktuellen Studie dokumentieren VerhaltensbiologInnen um Georgine Szipl
von der Universität Wien, dass wildlebende Raben bei der Futtersuche je nach Publikum unterschiedlich viele
"Hilferufe" abgeben. Dies deutet auf ein komplexes Sozialsystem der Tiere hin. Die Ergebnisse dazu erscheinen
aktuell im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B".
In freier Wildbahn versammeln sich Raben an Futterstellen, wo sie sich untereinander häufig lautstark um Futter
streiten. Für freilebende Kolkraben, die in komplexen Verbänden mit variierender Größe und
Zusammensetzung leben, ist es nicht einfach, in so einem Durcheinander den Überblick zu behalten. Während
man lange Zeit davon ausgegangen ist, dass Rabenverbände anonym sind und die Mitglieder nichts übereinander
wissen, weisen Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte sehr wohl auf eine Struktur durch verschiedene Altersklassen,
Paarbindungen und Verwandtschaftsverhältnisse hin.
In ihrer aktuellen Studie konnten die WissenschafterInnen um Georgine Szipl von der Konrad Lorenz Forschungsstelle
der Universität Wien zeigen, dass freilebende Kolkraben ihre Kommunikation während solcher Konflikte
an die Zusammensetzung des Publikums anpassen. Wenn Raben von dominanten oder höherrangigen Artgenossen angegriffen
werden, äußern die bedrängten Opfer häufig Defensivrufe. Sind Verwandte der Opfer im Publikum,
äußert sich das durch eine höhere Rufrate. Umgekehrt haben die ForscherInnen weniger Rufe aufgezeichnet,
wenn die Paarpartner der dominanten Angreifer im Publikum waren. "Dies deutet darauf hin, dass freilebende
Kolkraben trotz komplexen Sozialsystems über die Beziehungen ihrer Artgenossen Bescheid wissen. Dieses Wissen
können sie flexibel einsetzen und dadurch Freunde und Verwandte in ihrer Nähe alarmieren, damit sie ihnen
zu Hilfe eilen können bzw. vermeiden, dass Rivalen oder Freunde des Angreifers auf sie aufmerksam werden",
erklärt Szipl.
Dieser Effekt ist auch bekannt als Publikumseffekt. Das bedeutet, dass man sich im Beisein anderer anders verhält
als alleine, also wenn man sich unbeobachtet fühlt: Klassisches Beispiel dafür ist etwa das Singen im
Auto. "Unser Ergebnis kann nicht einfach mit dem Publikumseffekt erklärt werden, denn die Größe
des Publikums, also die Anzahl der anwesenden Raben, hatte keinen Effekt auf die Rufraten, ebenso wenig wie die
bloße Nähe der anwesenden Raben", erklärt Szipl. Vielmehr muss die Zusammensetzung des Publikums
eine wichtige Rolle spielen.
Erwachsene Kolkraben, die sich verpaaren, sind langzeitmonogam, höher im Rang sowie dominanter als Singles.
Unverpaarte Raben hingegen, die noch nicht den Partner fürs Leben gefunden haben, pflegen engen Kontakt zu
ihren Geschwistern und Verwandten, denn diese unterstützen sie während oder nach Konflikten. Angegriffene
Raben sind häufig noch nicht fest verpaart und erhöhen deshalb ihre Rufrate, wenn ihre Verwandten, die
ihnen helfen könnten, in der Nähe sind. Dominante Angreifer hingegen sind häufig fest verpaarte
Individuen, deren Paarpartner sind ebenfalls dominant. Deshalb ist es für die Tiere ratsam, in solchen Situationen
nicht zu viel Lärm zu machen: Da die Gefahr groß ist, dass man es auch gleich mit dem Paarpartner, der
den Angreifer unterstützt, zu tun bekommt, ist die Rufrate niedrig.
Publikation in "Proceedings of the Royal Society B"
Szipl, G., Ringler, E. & Bugnyar, T. (2018): Attacked ravens flexibly adjust signalling behaviour according
to audience composition. Proceedings of the Royal Society B
DOI: http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.0375
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